Pauline de Bok: Beute. Mein Jahr auf der Jagd
Übersetzt von Gregor Seferens
C.H.Beck Verlag, 272 Seiten, 19,95 Euro
Der Machtrausch einer Jägerin
Ein Tier zu jagen und zu töten, löst bei manchen Menschen Gefühle von Erhabenheit aus - auch bei Pauline de Bok. Ihr Buch "Beute" beschreibt die Jagd wortgewaltig. Allerdings spielt dabei offenbar auch eine zweifelhafte Lust am Blutvergießen eine große Rolle.
Die Stunden nicht zählen. Das Leben keinem Takt unterwerfen. Tagelang still sitzen, ohne Hetze, während die Jahre vergehen. Es ist dieses Alleinsein, fern der Menschen, das Pauline de Bok sucht und über das sie in ihrem neuen Buch "Beute" sprachmächtig schreibt.
Wenn die Autorin bei Wind und Wetter draußen auf dem Hochsitz in die Landschaft späht, spanne sich, so erzählt sie, der Bogen ihres Lebens zurück in die Kindheit – zu den Kinderspielen auf Feldern und Wiesen. Zu den Haustieren, deren Leben und Sterben sie mit ansah. Schon immer sei es in ihrem Leben um Schicksal und Vergänglichkeit gegangen. Als Jägerin sei sie mit dieser Frage nun auf neue Weise konfrontiert, körperlich und sehr direkt, als "Tier inmitten von Tieren".
Sehnsucht nach dem "Lebenshirsch"
Doch so poetisch diese Autorin schreiben kann – sanft bleibt es in ihrem Buch nicht. Der Mensch sei nun einmal ein "Top-Prädator", ein Beutegreifer an der Spitze der Nahrungskette, und müsse sich seiner Rolle stellen. Darum jagt Pauline de Bok – wie süchtig, allein vom Hochsitz aus, auf Drückjagden mit Horden von Menschen und Meuten von Hunden, geht abends mit dem Gedanken an ihre Beute schlafen und wacht früh morgens damit auf. Es gehe um Bestandsregulierung und Schadensbegrenzung, begründet sie bisweilen ihre Leidenschaft, doch tatsächlich macht das Buch offensichtlich: Es geht um sehr viel mehr.
Zum Beispiel darum, sich mit Macht aufzupumpen. Das zeigt eine Episode, in der sie voller Sympathie von einem Jäger berichtet, der seit Jahren auf der Suche ist nach seinem "Lebenshirsch" – dem größten und stärksten aller Hirsche. Tatsächlich findet und tötet er diesen Hirsch immer wieder. Doch kurz darauf kehrt die Sehnsucht zurück – nach einem Tier, noch stärker, noch größer als alle zuvor. Es müsse doch ein gewaltiges Gefühl sein, sinniert Pauline de Bok, die Macht, die man spüre, wenn man ein solches Urtier erlegt habe, "wenn man sein Blut vergießt, wenn die Potenz dieses mächtigen Tiers auf einen übergeht."
Eine Frau, die töten will
Das Geweih sei dafür nur das Symbol. Auch das Fleisch brauche man nicht. Ganz im Gegenteil:
"Offenbar reicht es, das Prachtstück achtlos als Kadaver zurückzulassen, auch das ist Macht. Man hat es sich zu eigen gemacht, man verfügt darüber. Man siegt im Kampf gegen die eigene Endlichkeit, auf zum nächsten Lebenshirsch."
An anderen Stellen beschreibt sie die große Ruhe, die sie überkommt, wenn sie geschossen und getroffen hat und ein Tier zuckt und stirbt. So drastisch schildert die Autorin ihre Tötungs- und Ausweideerlebnisse – mit den Armen bis zu den Ellbogen im Blut stecken, Speiseröhren aus Kehlen ziehen, Organe im hohen Bogen in Schüsseln werfen, Schädel auskochen, erstickte Föten aus den Gebärmuttern von Wildschweinen zerren – dass sich mit zunehmender Lektüre der Eindruck nicht mehr abwehren lässt: Diese Frau will töten, sie will und muss mit den Schuhen im Blut waten und tote Leiber "aufbrechen", wie es in ihrer Jägersprache heißt – um Innigkeit zu erleben. Nähe. Zugehörigkeit. Glück.
Das ist traurig. Nicht nur für die getöteten Tiere.