Pawel Szypulski: "Grüße aus Auschwitz"

Ob man Postkarten aus KZs verschicken darf

Postkarten aus Auschwitz-Birkenau
Postkarten aus Auschwitz-Birkenau © Deutschlandradio / Arkadiusz Luba
Von Arkadiusz Luba |
Seit der Befreiung von Auschwitz-Birkenau haben Millionen von Touristen die Gedenkstätte besucht. Der eine oder andere hat auch eine Postkarte aus dem ehemaligen Konzentrationslager nach Hause geschickt. Doch kann diese Gedenkstätte wie jeder andere touristische Ort behandelt werden?
"Ich halte mich in Auschwitz auf. Wir schlafen in dem Konzentrationslager wie auf der Rückseite. Ich gebe Dir keine Adresse, denn morgen fahre ich weiter nach Krakau. Ich grüße alle. Jana"
"Mit dem Rauschen des Sommerwindes sende ich einen Transport von heißen Grüßen aus Auschwitz. Czesieks Schwester"
Solche und ähnliche Worte findet man auf touristischen Postkarten, die man seit dem Kriegsende aus dem größten ehemaligen NS-Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschickt hatte.
Eine Postkarte hatte seit ihrem Anfang mehrere Funktionen: Sie war ein Sammelobjekt und später ein Bild, das man mit ein paar netten Worten verschickt hat. Sie war ein Kommunikations- und ein Informationsmedium. Auf eine Postkarte druckte man alles, was wesentlich zu sein schien. So waren es Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur idyllische Landschaften, sondern auch Opfer des ersten Weltkrieges, zerstörte Städte, Irrenanstalten oder sogar elektrische Stühle aus den USA.
An diesem Tag ist es windig und grau in Auschwitz, es nieselt. Eine Gruppe deutschsprachiger Besucher nimmt an einer Führung teil. Darunter auch Anna, Mitte dreißig. Eigentlich besuchte sie einige Herkunftsorte ihrer Familie in Schlesien. Auschwitz war in der Nähe, so entschied sie sich bei der Gelegenheit hierher zu kommen. Auch Anna wollte eine Postkarte zu ihrer Familie nach Bochum schicken. Was wollte sie schreiben?
Anna: "Da müsste ich mir noch so ein paar Gedanken machen. Aber auf jeden Fall nichts Schönes, nichts wo man im Ausland ist und irgendwie Strandurlaub macht und darauf schreibt »Schöne sonnige Grüße aus«... weiß ich nicht, woher. Das, was man hier fühlt, das kann man gar nicht in Worte fassen."
Und doch hat man es schon mehrere Male getan... Die Reduktion des Wissens über den Holocaust auf einen banalen, immer wieder den gleichen Gruß, versehen mit einem Foto des Vernichtungsortes, ruft einen gewissen Widerspruch hervor. Diese Zusammenfügung ist höchst unangemessen und unzulässig, meint der Anthropologe Paweł Szypulski. Szypulski ist Autor des Albums "Grüße aus Auschwitz", das – wie der Titel verrät – eine Auswahl von Nachkriegspostkarten aus Auschwitz dokumentiert.

Menschen aus aller Welt kaufen die Postkarten

Szypulski: "Es schockiert besonders dann, wenn wir mehrere von solchen unbedachten Postkarten auf einmal sehen. Denn wir sind darauf nicht vorbereitet. Besuche in ehemaligen Vernichtungslagern sollten uns ernsthaft erschüttern. Und so glaube ich nicht, dass jemand, der sich über die Gräueltaten der Nazis bewusst ist, könnte so eine Postkarte aus Auschwitz versenden."
"Bitte machen Sie keine Fotos…", sensibilisiert der Gruppenführer die Besucher. Laut der Pressestelle stellt das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau keine Postkarten mehr her. Stattdessen verkauft es Sets mit hochqualitativen Fotos des ehemaligen Konzentrationslagers. Aber in einem Kiosk vor dem Museumseingang kann man immer noch Postkarten kaufen. Und sie werden von Besuchern jeder Nation und jeden Alters gekauft, stellt die Verkäuferin fest:
"Viele Leute kaufen diese Postkarten als Geschenk oder zu schicken. Das ist natural für viele Leute zu schicken Karten. Ich finde, dass kann man nicht schicken diese Karte, weil die sind von Auschwitz-Birkenau. Sie wissen, was bedeutet Auschwitz-Birkenau!"

Banalität und Kommerz umgeben den Holocaust

Darauf, was außerhalb des Museums passiert, kann das Museum keinen Einfluss nehmen, meint Paweł Sawicki, Mitarbeiter der Pressestelle. Er ist auch Fotograf von vielen Motiven des ehemaligen KZ-Lagers, die veröffentlicht wurden:
Sawicki: "Wir leben in einer Bilderära und erinnern uns an unsere Erlebnisse durch Bilder. So werden auch hier verschiedene Fotos gemacht. Was jedoch wichtig ist, ist das Bewegungsmotiv. Die Foto-Sets des Museums zum Beispiel sind nicht zum Verschicken gedacht. Unsere Foto-Sets sollen eher die Besucher zum Nachdenken motivieren darüber, was sie gesehen haben. Somit wollen wir Bildung und Erinnerung schaffen."
Es sei dahingestellt, ob es mit den ästhetisierten Bildern gelingt.
Die Erinnerung wird zunehmend alltäglich, oft ohne den gehörigen Respekt. Banalität und Kommerz umgeben den Holocaust. So besteht die Gefahr, dass die Fakten durch Fiktionen verdrängt werden. Am besten illustrierte es 1996 der polnische Künstler Zbigniew Libera, indem er aus Protest das Werk "LEGO. Concentration Camp" schuf – einen Karton der weltbekannten Spielzeugfirma mit einem Konzentrationslager.
Nachdem sie über all das nachgedacht hat, kommt für Anna aus Bochum eine Postkarte aus Auschwitz nicht mehr in Frage:
"Eh, eher nicht. Ne!"

Pawel Szypulski: Grüße aus Auschwitz
Edition Patrick Frey, Zürich 2016
88 Seiten, 75 Farbabbildungen, 34 Euro

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