Die Wege der Bertha von Suttner
"Wo Männer fechten, hat das Weib zu schweigen!" Nicht nur der Rechtsgelehrte Felix Dahn, auch Schriftsteller wie Rainer Maria Rilke, Stefan Zweig oder Karl Krauss haben sich um 1900 über die Friedenaktivistin Bertha von Suttner mokiert.
"Erstmal war sie eine wunderschöne Frau. Und das ist ja auch ganz interessant: Neun von zehn Bildern zeigen diese dicke, alte Witwe, diese mit dem Witwenhäubchen da. Eine dicke, alte Frau – und das regt mich immer wieder auf."
Die Wiener Friedensaktivistin Susanne Jalka sitzt in ihrem Büro und erzählt von Bertha von Suttner, der Schriftstellerin und Friedensaktivistin, die 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis bekam.
"Die war schön, die war elegant, wenn sie irgendwo reingekommen ist, dann haben die Leute hui gemacht, weil sie so etwas Besonderes war. Und so eine mutige, selbstbewusste, intelligente Frau. Sie hat ja in vier Sprachen fließend parlieren können und Vorträge halten können. Und da müssen sie so ein schiaches, altes Weib dahin machen. – Lachen."
Bertha von Suttner wurde am 9. Juni 1843 als Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau geboren. Das Haus der böhmischen Adelsfamilie steht am Altstädter Ring in Prag. Ihr Vater starb vor ihrer Geburt, ein Onkel wurde ihr Vormund, und sie wuchs bei ihrer Mutter auf. Diese war eine geborene Körner und mit dem Dichter Theodor Körner verwandt. Sophie Wilhelmine war eine etwas überspannte Frau, die sich als verhinderte Opernsängerin sah und ihr Vermögen in den Kasinos von Wiesbaden und Bad Homburg verlor.
Der Vater war ein pensionierter k.u.k.-Generalleutnant, also ein hoher Militär, wie seine drei Brüder, die alle in der kaiserlich-königlichen Armee dienten.
Damals wäre die kleine Bertha gerne ein Junge gewesen und mit dem Schwert in den Kampf gezogen. In ihren Memoiren beschreibt sie sich als ehrgeiziges und schwärmerisches Kind, das in der Welt des Adels seinen Platz finden wollte. Weil eine Karriere als „Heldenjungfrau" nicht möglich war, begnügte sie sich mit guten Noten, „um der Umgebung Bewunderung abzuzwingen".
Es war eine kriegerische Zeit. Italien und Österreich kämpften um die Lombardei, die nach der Schlacht bei Solferino 1859 zu Italien kam. In ihrem Roman „Die Waffen nieder" wird Bertha von Suttner später die Ereignisse eindringlich beschreiben.
Seit 1976 wohnt die Familie Glawischnig auf Schloss Harmannsdorf, einem geräumigen Wasserschloss mit weitläufigem Park und Wirtschaftsgebäuden, eine Stunde nördlich von Wien.
"Wir sind hergekommen, mein Mann hat Ställe gesucht, die haben wir dann gefunden. Und wir hatten da ungefähr 350 Schweine, da sind wir drauf gekommen, dass die Bertha von Suttner hier gewohnt hat.
Veronika Glawischnig begann, sich für deren Leben zu interessieren. Später fuhr sie auch nach Prag, wo am Altstädter Ring das Palais der Familie Kinsky steht. Graf Kinsky hatte nicht standesgemäß geheiratet, Berthas Mutter gehörte nicht zum Hochadel, was der Hochadel Mutter und Tochter auch deutlich spüren ließ:
"Bei ihren ersten Hofball ist sie überhaupt nicht aufgefordert worden, weil sie nicht zur Hocharistokratie gehört hat. Und das hat sie geprägt natürlich. Aus dem Grund heraus ist das Ganze entstanden, weil sie doch einen gewissen Leidensweg durchgemacht hat, sich durchsetzen musste, und sie ist dann auf die wunderbare Idee gekommen, dass sie Frieden stiften will. Aber genau in der Zeit, wo alles auf Militarismus ausgerichtet war."
Die Schauspielerin Anita Zieher sitzt im Salon ihrer freundlichen Gründerzeitwohnung im 7. Wiener Bezirk. In ihrem Stück „Peace Please! Ein Bertha von Suttner Journal" schlüpft sie in die Rolle der Friedensaktivistin, auch mit dem Anspruch, Bertha von Suttner „vom Staub der Geschichte zu befreien":
"Sie hat dann später in ihrem Roman ‚High Life' ein sehr sarkastisches und bissiges Bild gezeichnet von der aristokratischen Gesellschaft. Nur es taucht auch immer wieder auf, dass sie es auch ein bisschen bedauert hat, und es hat auch später noch in ihren Erzählungen immer wieder eine Rolle gespielt. Die Garderobe angemessen, wo dabei zu sein. Dieses Dazuzugehören zu den Mächtigen oder zu den großen, bekannten Leuten, das zieht sich bis zu ihrem Lebensende."
Der Roman "High Life" und die Autobiografie "Mein Leben" sind höchst lesenswerte Bücher, geschrieben in einer klaren, unverstellten Sprache.
Es kam ja einiges zusammen: Der Standesdünkel der Adelsgesellschaft, das militaristisch geprägte Umfeld, der festgefügte Verhaltenskodex und der Zwang, standesgemäß unter die Haube zu kommen.
Anita Zieher: "Den Bruder von Heinrich Heine wollte sie heiraten, der war Millionär. Und dann war es aber so: Nach der Verlobung hat er sie zum ersten Mal geküsst, und das hat ihr so geekelt, dass sie am nächsten Tag die Verlobung aufgelöst hat. Dann gab es eine zweite Verlobung, das war ein Heiratsschwindler, hat sich dann herausgestellt, in Paris, der hatte geglaubt, sie hat Geld, und hat schon ihr erzählt, er kauft Verlobungsringe und was weiß ich. Und sie saß bei der Verlobungsfeier – und er taucht nicht auf. Und dann gab es noch einen Prinzen, allerdings hatte der seelische Probleme. Da ist gar nicht so sicher, ob der nicht irgendwann sogar entmündigt worden wäre, und mit dem war sie auch wieder verlobt, und der ist dann nach Amerika gefahren und ist auf der Seereise gestorben."
Es waren seltsame Erfahrungen. Wolfram Huber, Psychologe aus Wien, der eigentlich aus Gotha stammt, wo Bertha von Suttners Urne steht, wirkt nachdenklich. Es braucht ja nicht viel Empathie, um diese Katastrophen in ihrer tragischen Dimension nachzuvollziehen. Huber hat nach seinem aktiven Berufsleben mit wachsender Begeisterung das Leben der Bertha von Suttner studiert, er hat in vielen Archiven gestöbert und in Wien und in Gotha umfassend recherchiert:
"Wenn man liest, wie ihre erste Lebenshälfte verlaufen ist, kann man sich eigentlich nicht vorstellen, was dann in der zweiten Lebenshälfte aus ihr geworden ist. Sie hat wirklich das seriöse, zum Teil ein bisschen kitzelnde Leben einer jungen Adligen gehabt. Man beschäftigte sich mehr mit Garderobe, wann ein Ball stattfindet. Und da sind ihr dreimal Sachen passiert, tragisch, Pech gehabt, aber es ist natürlich nicht gerade selbstverständlich gewesen, auch damals nicht, dass man dreimal verlobt war. Sie war es mit 18 Jahren, sie war es mit 25 und sogar mit 29 Jahren."
Mit 30 beschloss Bertha, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Sie wollte nicht als Komtess verspießern, sondern arbeiten und selbst Geld verdienen, zumal die Mutter das Vermögen am Spieltisch verloren hatte. Also trat sie in Wien im Hause Suttner eine Stelle als Gouvernante an. Es war eine halbwegs standesgemäße Beschäftigung für eine Adelsfrau, allerdings verliebte sie sich prompt in den jüngsten Sohn des Hauses. Arthur war 23 Jahre alt. Doch diesmal war es eine tiefe, beständige Liebe, die trotz vieler Widrigkeiten ein Leben lang hielt.
Wolfram Huber: "Es ist wirklich beeindruckend, wie sie ihren Mann darstellt. Sie war ihm in vielen Dingen sicher weit überlegen, aber sie hat ihn nie bloßgestellt. Zum Schluss, in ihrer letzten Zeit, als sie in der Zedlitzgasse 7 gewohnt hat, war hinter ihrem Schreibtisch ein großes Bild von ihm. Das war für sie wirklich der Lebensmensch gewesen. Die zwei haben sich schon viel gegeben, das hat funktioniert, die haben beide was voneinander gehabt."
Bertha musste das Haus verlassen, nachdem die Baronin von Suttner die Liaison mitbekam. Man fand für sie eine neue Stelle. Bertha ging nach Paris, um die persönliche Sekretärin von Alfred Nobel zu werden, einem reichen Industriellen, der das Dynamit erfunden hatte. Hier kam sie zum ersten Mal mit der Friedensbewegung in Berührung, die in ihrer zweiten Lebenshälfte zum zentralen Thema wurde.
Anita Zieher: "Der Nobel war sicher eine ambivalente Person, hatte auch eine ambivalente Einstellung seinen eigenen Erfindungen gegenüber. Er war tatsächlich überzeugt, wenn es eine Waffe gäbe, die so stark wäre, dass damit schon die Vernichtung der Menschheit vorprogrammiert wäre, dann würde Krieg von alleine aufhören, und darüber haben sie debattiert, weil sie gesagt hat, das ist nicht die Lösung, eine solche Waffe zu kreieren. Was eine Lösung ist, das Elend der Völker abschaffen."
Trotzdem stimmte die Chemie zwischen den beiden. Vielleicht hatte sich Alfred Nobel auch etwas mehr von seiner jungen Sekretärin erhofft. Aber sie blieb nicht lange in Paris. Schon nach wenigen Tagen bekam Bertha ein Telegramm von Arthur: Er könne nicht ohne sie leben. Sie stieg in den Zug nach Wien, und am 12. Juni 1876 wurde heimlich geheiratet. Arthur wurde enterbt, und sie sind dann in den Kaukasus abgehauen, erzählt Anita Zieher, was auch aus heutiger Sicht völlig verrückt gewesen sei.
Das junge Paar ging nach Georgien und wohnte bei einer Fürstin, die Bertha noch aus Bad Homburger Zeiten kannte, als ihre Mutter dort das Geld verspielte. Jetzt erhoffte sie sich nützliche Kontakte zum russischen Zarenhof.
Wolfram Huber: "Sie saßen dort in Georgien. Man hat sich zwar ihnen gegenüber nett verhalten, hat ihnen das eine oder andere gegeben, aber in ihrem Sinne ist sie nicht von der Stelle gekommen. Nun mussten sie sehen, wo sie Geld her bekamen, und sie haben also erst einmal ihre Lebensweise sehr nach unten korrigieren müssen, mussten viele Arbeiten selber machen, haben auch tatsächlich manchmal gehungert."
Arthur begann zunächst, Artikel zu schreiben. Er berichtete in österreichischen Gazetten über den gerade begonnenen Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich.
Anita Zieher: "Dann hat sie versucht, auch mal etwas zu schreiben und hat einen ersten Erfolg gleich gelandet, hat sofort 20 Gulden als Schriftstellerhonorar bekommen und hat dann mehrere Sachen geschrieben und hat dann unter einem Pseudonym, unter B. Oulet, Fortsetzungsromane, seichte Novellen, Liebesgeschichten, für die hatte sie sowieso ein Fable, also so kleine Geschichtchen geschrieben."
Bertha nutzte ihr Talent zum Broterwerb. In ihrem Buch "Es Löwos" schreibt sie:
(Lesung Anita Zieher) "Neben der Ehre ist aber auch keine geringe Freude das Geld. Solche, die niemals Entbehrungen gelitten haben, die niemals in die Lage kamen, dass sie nicht wussten, wovon sie am kommenden Tage leben, wovon sie eine dringende Schuld zahlen würden, solche Leute wissen nichts von der Wonne, die in solchen Fällen eine hereingeschneite Summe bringt. Eine so ehrenvoll verdiente noch dazu."
Es hat ihr damals durchaus Spaß gemacht, sich in einem fremden Land ihre eigene Welt zu erfinden, bei der die Sehnsüchte und Verletzungen als Adelstochter indirekt zur Sprache kommen konnten. Der Kaukasus als Landschaft oder die prekären Lebensumstände vor Ort kamen in ihren Romanen und Erzählungen jedenfalls nicht vor.
Erst das Thema Frieden brachte Bertha von Suttner zu einer realistischen Prosa. Als theoretisches Rüstzeug hatte sie schon in Georgien Charles Darwin gelesen. Sie interessierte sich für die Evolution und die Entwicklung des Menschen.
Wolfram Huber: "Sie ist nicht in den Darwinismus rein, im Sinne der wüsten Selektion: Es setzt sich nur der Stärkere durch. Sie ist auf die andere Schiene geraten, in die Richtung Edelmensch. Sie hat einen Weg begangen, der natürlich auch verfänglich war. Sie ist davon ausgegangen: Das entwickelt sich schon von der biologischen Seite her, von der physiologischen Seite alles in Richtung des Besseren, und das ist auch eine Grundlage dafür, dass es dann eines Tages mal keine Kriege mehr geben wird."
Mit der Familie hat sich Arthur später ausgesöhnt. Zurück aus Georgien zogen er und Bertha auf den Landsitz der Suttners nach Harmannsdorf, wo sie ein bescheidenes aber doch standesgemäßes Leben führten. Eben in jenem Schloss, wo heute Veronika Glawischnig wohnt:
"Was mir die Dorfbewohner erzählt haben, sie hat vor dem Schloss einen Sessel gehabt, und da ist sie immer gerne gesessen. Und irgendeines Tages sitzt ein kleiner Bub drauf, und den hat sie dermaßen weggestoßen vom Sessel. Sie hat gesagt, da hast du nichts verloren, und das sind dann so Sachen, wo ich denke, wie passt das eine zu dem anderen zusammen? Und das ist allgemein gewesen da. Auf der einen Seite natürlich die hohe Frau, die überall herumfährt, und auf der anderen Seite doch irgendwie, dass sie sich doch nicht so herabbeugt zu den Leuten, also das war wieder die Zeit, das muss man auch einkalkulieren."
Im Schloss wurden Gäste empfangen, und in einem Nebengebäude wurde Theater gespielt.
Veronika Glawischnig: "Da wurde Getreide gelagert, in den einzelnen Etagen. Ein barocker Schüttkasten ist das, und ebenerdig ist ein sehr schöner Saal mit Seccomalereien, und da hat die Bertha von Suttner Theater gespielt unten."
Es ist jener Saal, in dem Anita Zieher mit ihrem Stück über Bertha von Suttner 2009 Premiere hatte:
"Ich meine, das Theaterspielen war etwas, was die Adeligen damals als Zeitvertreib gemacht haben. Der Arthur hat anscheinend die Stücke geschrieben, in einer sehr schwulstigen Sprache. Ich glaube, das Theaterspielen kann man nicht als wirklich künstlerische Ambition von ihr betrachten. Das Schreiben sehr wohl, also das war sicher sehr wichtig, und das Thema Anerkennung natürlich auch."
Äußerlich ist es das Landleben einer standesbewussten Herrschaft. Doch die Innensicht ist komplizierter, zumal eine Nichte mit in dem Haushalt lebte. Arthur hatte eine emotional sehr enge, wohl auch intime Beziehung zu Marie von Suttner. Bertha ist gekränkt und eifersüchtig, doch andererseits gibt es die Arbeit mit ihm, den gemeinsamen Kampf für Frieden und gegen Antisemitismus.
Damals reflektierte Bertha von Suttner ihre Herkunft noch einmal neu. Sie richtete ihren Blick auf eine militante Gesellschaft, die den Krieg für selbstverständlich hielt.
Susanne Jalka: "Sie hat das als völlig selbstverständlich sehen müssen, dass in jeder Familie die Männer beim Militär sind und hohe Funktionen übernehmen. Auch der Kaiser Franz Joseph ist ja nie ohne Uniform in die Öffentlichkeit gekommen. Die Männer, die was auf sich gehalten haben, aus guten Familien, die sind alle in Uniformen durch die Straßen spaziert. Das Militärische war völlig selbstverständlich, so wie heute die Jeans, die alle Leute tragen."
Susanne Jalka beschreibt dann einen Paradigmenwechsel, wie Bertha von Suttner beginnt, radikal über den Frieden neu nachzudenken:
"Was ist das denn da auf den Schlachtfeldern? Was machen die denn da? Und wie sieht das denn aus, und wie fühlt sich das an, wenn da tausend Sterbende rumstöhnen und da rumliegen, und niemand kann sich um sie kümmern, und Pferde dazwischen, die verrecken. Sie hat dann begonnen, sich das richtig vorzustellen, und daraus hat sie dieses Entsetzen gewonnen, die Erkenntnis gewonnen: Das können wir nicht so weiter machen."
Das Friedensthema verändert Stil und Ton ihrer Prosa, die jetzt von einem neu gewonnenen Realismus bestimmt wird. Bertha von Suttner verfolgt jetzt ein klares Ziel. Sie will ihre Friedensbotschaft vermitteln und mit friedlichen Mitteln kämpfen. In ihrem Roman „Inventarium einer Seele" wird diese neue Haltung erstmals sichtbar: ihre Fortschrittsgläubigkeit und ihre Überzeugung, dass sich die Menschheit zum Besseren entwickelt und letztlich vervollkommnet.
Lesung Anita Zieher: "Das Bekämpfen der Elemente, welche uns oft feindlich gegenübertreten, das Bekämpfen der Krankheiten und des Elends fordert auch seine Helden. Berge sprengen, Dämme bauen, Feuer löschen, Spitäler besuchen, heilen, helfen, das sind wohl nicht feige Taten. Zu kämpfen gibt es immerhin genug, ohne sich untereinander auf Kommando zu schlagen. Krankheiten, Überschwemmungen, Lawinen, Elend, Wahnsinn, wilde Tiere und wilde Menschen, das sind alles Feinde, gegen welche sich zur Wehr zu setzen gar viele Kampfeslust befriedigen kann. In Technik, Kunst, Wissenschaft, Wohltätigkeit: Überall winken dem Ehrgeiz schönere Ziele als auf den Schlachtfeldern."
In Harmannsdorf steht Veronika Glawischnig in ihrem Salon und denkt über Bertha von Suttner nach, die hier vor gut einem Jahrhundert Schlossherrin war:
"Ich führe Sie dann in das Seminarzimmer, dann kommt das Terrassenzimmer, und dann ist das Büro von der Bertha von Suttner. Es ist jetzt auch mein Büro, aber Sie haben dann vielleicht ein bisschen einen Eindruck, da ist ein Schreibtisch gestanden, angeblich, was wir gehört haben, auf der einen Seite saß Arthur und da auf der anderen Seite Bertha von Suttner."
Hier schrieb Bertha von Suttner ihren bedeutendsten Roman. Zunächst wanderte das Manuskript von Verleger zu Verleger. Niemand wollte es drucken. 1889 erscheint dann doch „Die Waffen nieder!". Der Roman trifft einen Nerv der Zeit, er wird schnell zum Bestseller. Es gibt billige Volksausgaben und Übersetzungen in zwölf Sprachen.
Es ist ein klassischer Bildungsroman. Geschrieben in einer klaren und schnörkellosen Prosa, die bis heute gut lesbar ist. Bertha von Suttner beschreibt eine selbstbewusste Frau, die mit schlichten Worten erzählt, wie sie zu einer glühenden Pazifistin wurde. Trotz der erfundenen Geschichte will der Roman realistisch sein. In ihren Memoiren beschreibt sie später ihre Arbeitsweise.
Lesung Anita Zieher: "Damit aber die eingefügten historischen Ereignisse der Wirklichkeit entsprächen, damit die Schilderungen der Schlachtszenen wahrheitsgetreu ausfielen, musste ich vorher Studien machen, Material und Dokumente sammeln. Ich las in dickbändigen Geschichtswerken nach, stöberte in alten Zeitungen und Archiven, um Berichte der Kriegskorrespondenten und Militärärzte zu finden. Ich ließ mir von solchen meiner Bekannten, welche im Felde gestanden, Schlachtenepisoden erzählen, und während dieser Studienzeit wuchs meine Abscheu vor dem Kriege bis zur schmerzlichen Intensität heran."
Für ihr Buch "Das Maschinenzeitalter" hatte sie noch das Pseudonym "Jemand" gewählt. Es sollte sie schützen. Eine berechtigte Sorge, denn als sie später unter ihrem eigenen Namen veröffentlichte, war die Liste der Kritiker, die mit Häme über sie herfielen, reichlich lang. Der junge Rilke schrieb ein patriotisches Schmähgedicht, auch Karl Kraus machte sich über die „Friedens-Bertha" lustig, und Stefan Zweig argwöhnte, sie mache sich lächerlich mit ihrem "Friedensgeschrei", als eine Art weiblicher Don Quichote, der vergeblich gegen Windmühlen kämpft.
Als Schriftstellerin suchte Bertha von Suttner den Kontakt zu Kollegen. Schon im Kaukasus hatte sie mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Hamerling und mit Conrad Ferdinand Meyer korrespondiert.
Anita Zieher: "Speziell auch mit Verlegern von Zeitschriften, wie zum Beispiel dem Leopold von Sacher-Masoch, der eine Zeitschrift geführt hat, und dem Balduin Groller, der auch ein großer Fan von ihrem Schreiben war. Später dann eben Rossegger, Karl May, das Ehepaar Arthur Schnitzler, also sie war an diesem Austausch sehr interessiert. Je älter sie wurde und je mehr sie in der Friedensbewegung drin war, umso mehr gab es mehr Kontakte zu Friedenskollegen als zu Schriftstellerkollegen."
Im Dezember 1902 starb Arthur von Suttner. Das Ehepaar hatte eine Feuerbestattung vereinbart. Das musste im thüringischen Gotha geschehen, wo es damals das einzige Krematorium in Europa gab, erzählt der Gothaer Historiker Matthias Wenzel:
"Seine Urne ist wohl dann nach Wien überführt worden, und das war wohl nachweislich der einzige Besuch der Witwe Bertha von Suttner. Ich habe es noch einmal nachgelesen: Also sie war hier, ihre Schwiegermutter und der Vorsitzende der Deutschen Friedensgesellschaft. Also die waren hier, haben im Gothaer Hotel genächtigt. Ja und dann ihre nächste Reise hat sie ja im Sarg angetreten."
Ihr bleiben noch zwölf Jahre. Schloss Harmannsdorf war so verschuldet, dass es versteigert werden musste. Bertha von Suttner zog nach Wien. In ihrem letzten Lebensjahrzehnt stand die Friedensarbeit im Mittelpunkt und nicht die Literatur, was sie gelegentlich bedauert hat, aber nun gab es viele Schriftsteller, die ihre Friedensarbeit unterstützten. Wolfram Huber ist immer noch etwas erstaunt, zu welchen Allianzen es damals kam:
"Ich war nicht darauf vorbereitet, im Zusammenhang mit Bertha von Suttner auf Karl May zu stoßen, dass es zwischen Karl May und Bertha von Suttner tatsächlich eine Freundschaft gegeben hat. Nicht nur deswegen, weil er sich in ganz anderen künstlerischen Richtungen bewegt hat, er war ja auch schwer kriminell, aber er hat eine Entwicklung genommen und hat dann auch diesen Begriff ‚Edelmenschen' von ihr mit übernommen. Man kommt nicht daran vorbei, dass auch Karl May sehr, sehr viel mehr Substanz entwickelt hat, auch umgesetzt hat, als man sich das vorstellt, wenn man zum Fasching ein paar Buben mit Indianerfedern rumlaufen sieht."
1905 hatte Bertha von Suttner Karl May kennengelernt. Sie hielten Kontakt bis zu seinem Tod. Am 22. März 1912 trat er in Wien noch einmal vor ein bunt gemischtes Publikum, um einen Vortrag „Empor ins Reich der Edelmenschen" zu halten. Bertha von Suttner saß vorne im Publikum, und Adolf Hitler – so berichtet der Karl-May-Biograf Hans Wollschläger – soll unter den Zuhörern „weiter hinten gehockt" haben.
Bertha von Suttner kämpfte nun unermüdlich, gründete Friedensgesellschaften, organisierte Tagungen, besuchte Kongresse und ging auf Vortragsreisen.
Wolfram Huber: "Sie hat es zum Beispiel geschafft, im Jahre 1912 – das war zwei Jahre vor ihrem Tod – eine Amerikareise anzutreten über sechs Monate, mit Besuchen und Vorträgen in sage und schreibe 60 Orten und Städten. Das ist auch für den Menschen von heute schon fast nicht mehr vorstellbar. Und sie hat Menschen begeistert, es hat dort wirklich Ovationen gegeben, sie ist dort fast zum Teil schon verherrlicht worden. Das sind auch Dinge, von denen sie dann gelebt hat, denn der Zuspruch, den sie in Österreich bekommen hat, der war ziemlich knapp."
Am 21. Juni 1914 ist Bertha von Suttner schwerkrank gestorben, nur wenige Wochen, bevor der Erste Weltkrieg ausbrach. Ihre Leiche wurde nach Gotha überführt und verbrannt.
Matthias Wenzel: "Die Urnenhalle gab es ja noch nicht, und nachweislich ist ja auch die Urne von Bertha von Suttner eben zunächst unter freiem Himmel aufgestellt worden – entgegen ihrem letzen Willen – und erst 1953, konkret zum 75 Jahrestag des Krematoriums, dann in der Urnenhalle an dem noch heute existenten Platz aufgestellt worden."
Die Gothaer Urnenhalle ist ein glasüberdachter Raum, hell, licht und freundlich. Vor Bertha von Suttners Stele liegen ein paar schon etwas verwelkte Blumen mit einem kleinen Zettel, der sich an der Rändern wellt. Friedhofsleiterin Claudia Heß hebt ihn auf:
"Da steht drauf: Für Bertha von Suttner, von der Bertha-von-Suttner-Schule Nidderau."
Die Stele hat einen prominenten Platz.
Claudia Heß: "Hier in der Mitte, man blickt also direkt von dem Eingang auf die Stele mit der Schmuckurne und der Urne von Bertha von Suttner."
Wolfram Huber: "Und das ist das neue Suttnerhaus, dieser Suttnerhof, das ist eben auch in den 50er Jahren gebaut worden, und das ist das Denkmal hier."
Das Denkmal im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten hat wenig mit Bertha von Suttners Leben zu tun. Susanne Jalka ist sich sicher: Diesen Ort des Gedenkens hätte die Suttner nicht gemocht.
"Ich rege mich ja immer wieder so darüber auf, dass es in Wien keinen einzigen prominenten Ort gibt, der nach der Suttner benannt ist. Und das hat damit zu tun, dass die Sozialdemokraten damals, die ja sehr stark in der Friedensbewegung sich international geäußert haben, dass die mit ihr und ihren hochadligen Habitus nix anfangen konnten. Und sie hat sich denen nicht angebiedert. Bei den meisten ging es damals nicht um Friedenspädagogik, sondern darum, durch eine Revolution andere gesellschaftliche Verhältnisse herzustellen – und das war nicht Suttner."
Wolfram Huber: "Wir können erst einmal rumgehen. Das Denkmal ist eigentlich nicht schlecht. Na ja, das ist so dieses Flehen um den Frieden. Mutter mit Kindern − das ist also nicht die Bertha von Suttner, die hatte ja auch keine Kinder."
Im Zentrum gibt es einen weiteren Ort der Erinnerung. Ein kleiner Platz, der zunächst Suttner-Platz hieß und dann zum Rilke-Platz wurde. Etwas verschämt verweisen Schilder an den Häuserfronten auf diesen Sachverhalt. Hilfloses Gedenken. Was bleibt? Was könnte Bertha von Suttners Vermächtnis sein? Susanne Jalka hat eine klare, überzeugende Antwort:
"Diese Aufforderung, dass die Menschen in sich selber hineinhorchen, und sich fragen, ob ihnen bewusst ist, dass zum Beispiel die Zeit, die wir Frieden nennen, die Zeit ist, in der überall aufgerüstet wird. Was für ein Blödsinn, das ist nicht Frieden! Und sie hat es eben dargestellt, Frieden hat etwas mit einer Geisteshaltung zu tun, und zu dieser Geisteshaltung zu kommen, das ist die große Aufgabe. Dass es darum geht, selbst zu denken, und selbst Entscheidungen zu treffen, und zu sagen: Ihr müsst in Euch hineinhorchen, nicht draußen schauen, was man von Euch erwartet. Da drinnen ist die Wahrheit, was Du erwarten sollst von Dir!"
Besetzung : Frank Arnold und Anita Zieher