Kommentar
Es ist gefährlich, wenn nur noch Aufrüstung propagiert und andere Positionen diffamiert werden, meint der Publizist Heribert Prantl. © IMAGO / imagebroker / IMAGO / imageBROKER / Florian Gaul
Pazifisten-Shaming führt in die Sackgasse
Es ist fatal, wenn Pazifisten schlecht gemacht, Militaristen aber gepriesen werden. Wenn Friedenspolitik zum Schimpfwort wird, dürfen sich die etablierten Parteien nicht wundern, dass Aufrüstungsgegner – weil sie die AfD meiden wollen – BSW wählen.
Wer von den Kriegsverbrechen spricht, von den Verbrechen also, wie sie in der Ukraine oder in Palästina begangen werden, wer diese Verbrechen zu Recht anprangert, wer sie anklagt und verurteilt, der spricht von den Verbrechen im Krieg, nicht vom Krieg als Verbrechen.
Wir sind es gewöhnt zu unterscheiden zwischen dem gerechten, dem regelbestimmten, dem notwendigen, dem angeblich sauberen Krieg einerseits und andererseits den Verbrechen, die in diesem Krieg begangen werden. So lehrt es auch das Völkerrecht.
Krieg ist nie „recht“
Aber: Krieg ist nie „recht“, auch dann nicht, wenn er völkerrechtlich geregelt ist. Er ist an sich und in sich und ganz grundsätzlich und in toto ein Verbrechen. Karl Kraus hat das vor über hundert Jahren in seiner Tragödie über „Die letzten Tage der Menschheit“ furchtbar eindrucksvoll beschrieben. Diese Beschreibung galt damals und sie gilt heute - und da hilft es nichts, wenn der letzte Satz Gottes in diesem Drama heißt: „Ich habe es nicht gewollt.“
Wenn der Krieg beginnt, sind die entscheidenden Fehler zumeist schon gemacht worden. Der Pazifismus ist daher der große und wichtige Widerspruch gegen den Krieg, er ist die radikale Anklage gegen den alten Spruch, dass der, der den Frieden will, den Krieg vorbereiten müsse. Es ist genau anders: Wer den Frieden will, muss den Frieden suchen – nicht erst im Krieg, sondern lange vorher, bevor er zu köcheln und zu kochen beginnt.
Ein Pazifist ist für mich ein Mensch, der nur in absolut äußersten Notfällen den Einsatz militärischer Gewalt tolerieren kann. Das ist meine Sicht auf den Pazifismus. Man kann eine solche Haltung für zwar nobel, aber naiv halten, für unrealistisch also. Aber es ist ungut, den Aufrüstungsgegnern, wie es in Zeiten des Ukrainekriegs geschieht, einen Stechschritt-Pazifismus vorzuwerfen. Es ist fatal, wenn Pazifisten als politikunfähige Schwärmer schlecht gemacht, Militaristen aber als Realisten gepriesen werden. Eine friedliche Politik kann sich so nicht entwickeln.
SPD, FDP und Grüne propagieren Aufrüstung
Es ist gefährlich, wenn nur noch Aufrüstung regiert, wenn nur noch Aufrüstung propagiert wird, wenn andere Positionen diffamiert werden. Die SPD propagiert Aufrüstung, die FDP propagiert noch mehr Aufrüstung und die Grünen tun das mit besonderer Vehemenz; sie haben ihre pazifistischen Wurzeln abgeschnitten. Leute wie Antje Vollmer und Christian Ströbele haben posthum keine Heimat mehr. Die Militärpolitik der Grünen ist heute von der der CDU/CSU nicht zu unterscheiden.
Es ist extrem ärgerlich, ja katastrophal, wenn das Thema Krieg und Frieden auf diese Weise den Rechtsaußen- und Rechtsdraußenleuten von der AfD überlassen wird; die AfD ist eine Partei, die Friedensliebe heuchelt, weil sie das Spaltungspotential des Themas erkannt hat.
Wenn nun die Zweifel so vieler Menschen an immer mehr Waffenlieferungen abgebürstet werden, wenn Friedenspolitik auf diese Weise zum Schimpfwort und schon die Forderung nach einem Waffenstillstand verketzert wird – dann müssen sich CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne nicht wundern, wenn Kriegs- und Aufrüstungsgegner, weil sie die neonazistische Nähe der AfD meiden wollen, das Bündnis Sahra Wagenknecht wählen.
Denn ansonsten gibt es keine starke politische Gruppierung, die pazifismusnahe Positionen vertritt. Es geht um das Ringen um den richtigen Weg. Dieses Ringen gehört zur Demokratie und es wäre gut, wenn wenigstens die SPD offensiv zeigen könnte, dass in ihr sowohl ein Boris Pistorius Platz hat als auch ein Rolf Mützenich. Beiden geht es um die Sicherheit Deutschlands. Der Verteidigungsminister Pistorius wirbt für die militärische Abschreckung. Der Fraktionsvorsitzende Mützenich erinnert an deren Gefahr.
Früher hätte man gesagt, so ein Spektrum kennzeichnet eine Volkspartei. Dieses Wort will einem kaum noch über die Lippen, wenn es um die SPD geht. Wenn das jemals noch einmal anders werden soll, muss diese Partei das Mützenich-Pistorius-Spektrum ausleben – dann darf sie nicht länger so tun, als geniere sie sich für die aufrüstungskritische Haltung ihres Fraktionschefs Mützenich. Der Frieden ist eine zu ernste Sache, um ihn allein den Parteien an den politischen Rändern zu überlassen.