"Peer Gynt" in Bochum

Kein Bock mehr, auf den Mann zu warten

10:08 Minuten
Die Schauspielerin Anna Drexler als Peer Gynt im Halbdunkel der Bühne bei der Aufführung am Schauspielhaus Bochum.
MIt Anna Drexler spielt in der "Peer Gynt"-Inszenierung von Dušan David Pařízek eine Frau die Titelrolle. © Schauspielhaus Bochum / Matthias Horn
Moderation: Susanne Burkhardt |
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Für "Peer Gynt" in Bochum hat Schauspielerin Anne Rietmeijer ein neues Ende geschrieben: Ihre Solveig hat keine Lust mehr auf Peer Gynt zu warten. Hier erklärt sie, warum der klassische Dramenkanon nicht mehr zeitgemäß ist.
Henrik Ibsen entwarf schon vor 150 Jahren eine Figur, die an einer Krankheit leidet, die auch heute viele Menschen befallen hat: Die ICH-Sucht. Peer Gynt, Ibsens Antiheld aus dem Norden, ist ein notorischer Single, einer, der nichts auslässt. Ein Kapitalist und chronischer Rumtreiber, ein narzisstischer Lügner – und ein größenwahnsinniger Ego-Shooter.
Bis heute fasziniert dieser Typ Theatermacher und Theatermacherinnen. In Bochum gibt es jetzt eine neue Version des Stoffs, inszeniert von Dušan David Pařízek. Am 24. und am 25. April ist das Stück im Livestream zu sehen.

"So kann man das heute nicht mehr machen"

Anders als im Original fällt in Bochum das große Erlösen und Verzeihen durch die geduldig wartende, liebende Solveig aus. Denn Solveig, gespielt von der niederländischen Schauspielerin Anne Rietmeijer, hat keine Lust mehr, ihren Peer einfach nur liebend beim Sterben zu begleiten.
Rietmeijer hat ihrer Figur ein Gedicht geschrieben, in dem sie abrechnet mit Peer Gynt. Entstanden ist der Text aus einer Unzufriedenheit, sagt die junge, niederländische Schauspielerin, die erst seit drei Jahren zum Bochumer Schauspielhaus gehört.
Es störe sie, dass die Frauenrollen im klassischen Dramenkanon meistens problematisch seien: "Man liest die Rolle und denkt, so kann man das heute nicht mehr machen". Auch Ibsens "Peer Gynt" bleibe eine Geschichte "über einen Mann, der durch die Welt reist und eine Frau, die das ganze Leben auf ihn wartet".

Abrechnung mit dem klassischen Dramenkanon

Und obwohl in Pařízeks Inszenierung mit Anna Drexler eine Frau den "Peer Gynt" spielt, blieb das Problem bestehen – also bat der Regisseur Anne Rietmeijer, einen neuen Text für ihre Figur Solveig zu schreiben, "Solveigs Lied".
Die Schauspieler Michael Lippold, Lukas von der Lühe, Anna Drexler, William Cooper (v. li.)
Peer Gynt (Anna Drexler, 2. v. r.), Kapitalist und chronischer Rumtreiber, lässt nichts aus. © Schauspielhaus Bochum / Matthias Horn
Ihr Lied versteht Rietmeijer auch als Abrechnung mit dem klassischen Dramenkanon und der Rolle der Frau darin, die entweder ein Problem habe oder auf jemanden warte. Es habe sie lange als Frau verunsichert, "dass ich Stücke sehe oder Literatur lese oder Filme sehe, und dass ich das Gefühl habe, so bin ich nicht, aber dass die Männer davon träumen. Dass ich das erfüllen müsse, aber nicht kann."
Kritisch sieht Rietmeijer die unhinterfragte Wiederholung der gleichen Geschichten: "Wenn ich das jetzt spiele und trotzdem versuche, diese Idealfrau zu spielen, dann geht das so weiter, dann schauen sich das junge Mädchen an und denken das Gleiche. Und werden das dann auch versuchen. Irgendwie möchte ich das brechen."

Immer öfter spielen Frauen Männerrollen

Dass immer öfter Frauen Männerrollen spielen, erlebt die Niederländerin als eine Art Trend bei klassischen Stücken: "Ich finde es komisch, dass das Beste, was man als Schauspielerin erreichen kann, ist, einen Mann zu spielen. Erst wenn man eine Männerfigur bekommt, kann man beginnen, ein Mensch zu sein – sonst ist man immer nur eine Frau."
Schauspielerin Anne Rietmeijers Figur Solveig wartet abermals auf Peer Gynt.
Kein Bock aufs Warten: Schauspielerin Anne Rietmeijer gibt Solveig ihre Stimme. © Schauspielhaus Bochum / Matthias Horn
Rietmeijer stellt sich oft die Frage, ob man bestimmte Stücke nicht einfach nur lesen sollte: "Was erreicht man damit, das immer wieder vorzuführen"?
In ihrer Version des "Peer Gynt"-Endes verschwindet Solveig einfach. Sie hat keine Lust mehr, ihr Leben zu verwarten:
(Auszug):
Solveig:
Ich wollte einfach, dass du weißt
Dass, wenn du nächstes Mal verreist
Ich nicht mehr da bin, wenn du heim-
kehrst. Klar, es wartet noch der Reim.
Aber die Worte bleiben leer
und ich bin irgendwo am Meer
(vielleicht) und warte nicht mehr hier
Ich passe nicht mehr auf Papier.
Ich lasse dich allein!
Ich möchte Solveig nicht mehr sein.

Schauspielhaus Bochum: "Peer Gynt"
Regie: Dušan David Pařízek
Unter Verwendung eines Interviews mit der ghanaischen Autorin Ama Ata Aidoo
Online-Aufführungen am 24. und 25. April

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