Alle, die wir da reingerutscht sind und uns heute zur Wahl stellen werden, sind da irgendwie mitgerissen worden von dieser Energiewelle.
PEN Berlin
Interview vor der Gründung des PEN Berlin im Garten am Literaturhaus Berlin: Die Schriftstellerin Eva Menasse und der Journalist Deniz Yücel bilden die Spitze der neu gegründeten Schriftstellervereinigung. © picture alliance / dpa / Christoph Soeder
Am Anfang war das Wort Bratwurstbude
12:32 Minuten
Mit der Beschimpfung des PEN Deutschland als "Bratwurstbude" hat sich Deniz Yücel als Präsident und Mitglied der Literatenvereinigung verabschiedet und dann PEN Berlin mitgegründet. Beim neuen Verband geht es voran. An einer Stelle aber stockt es noch.
Es hatte so gut angefangen. Mit Deniz Yücel wählte der PEN Deutschland letztes Jahr im Oktober wieder einen Autor als Präsidenten, der mit seiner Person für die Ideale des PEN einsteht: Hilfe für verfolgte Schriftsteller. Deniz Yücel hatte selbst ein Jahr lang zum Teil in strenger Einzelhaft in einem türkischen Gefängnis gesessen. Der haltlose Vorwurf lautete auf "Terrorpropaganda". Um seine Freilassung zu fordern, gab es für ihn 2017 in ganz Deutschland Autokorsos.
Diese Erfahrung, erfolgreich Massen zu mobilisieren zu können, ist vielleicht der Schlüsselpunkt, um Deniz Yücel zu verstehen. Deniz Yücel aus Flörsheim am Main, satirischer Kolumnist und Journalist für die "Jungle World" und die "taz", dann 2015 von Springer für die "Welt" abgeworben. Ein schillernder Vogel mit scharfer Zunge.
Diese Erfahrung, erfolgreich Massen zu mobilisieren zu können, ist vielleicht der Schlüsselpunkt, um Deniz Yücel zu verstehen. Deniz Yücel aus Flörsheim am Main, satirischer Kolumnist und Journalist für die "Jungle World" und die "taz", dann 2015 von Springer für die "Welt" abgeworben. Ein schillernder Vogel mit scharfer Zunge.
Bratwurstbude PEN
Yücel sollte dem in Ehren und Würden ergrauten PEN wieder dynamisches Leben einhauchen. Vor allem gilt er als ein kompromissloser Kämpfer für die Freiheit des Wortes, "und wenn es sein muss, auch für die Freiheit des dummen Wortes und der bescheuerten Kunst. Das heißt nicht, dass mir das dumme Wort egal wäre", sagte er im Oktober 2021.
Deniz Yücel war erst wenige Monate als Präsident des PEN im Amt, da war es dann raus, das dumme Wort: "Bratwurstbude!"
Der PEN - eine Bratwurstbude! Wie konnte es soweit kommen? Am 24. Februar hatte Russland die Ukraine überfallen und Deniz Yücel hatte wie andere Intellektuelle auch eine Flugverbotszone über der Ukraine gefordert. Gleich fünf ehemalige Präsidenten des PEN-Deutschland forderten seinen Rücktritt: Ihre Begründung: Yücel habe die Befugnisse seines Amtes überschritten und gegen die Charta des PEN verstoßen. Zudem wurde von Mitarbeiterinnen der PEN-Geschäftsstelle der machohafte Führungsstil von Deniz Yücel kritisiert.
Gothaer Höllenspektakel
Nach einer regelrechten Schlammschlacht in der Presse, in der freigiebig aus internen E-Mails zitiert wurde, fand dann im Mai die Jahrestagung des PEN im beschaulichen Gotha statt - ein unwürdiges, zehnstündiges Höllenspektakel.
"Ach Entschuldigung, Frau Jähner, das Arschloch hab' ich gehört", sagte Yücel da.
Renan Demirkan sagte: "Ich hab' eben schon keine Luft bekommen und es kann nicht sein, dass wir so miteinander umgehen, Leute"
"Ich habe nichts Vergleichbares erlebt bisher", sagt Josef Haslinger.
Yücel und Johano Strassser liefern sich ein Wortgefecht, dass Yücel mit den Worten eröffnet: "Dieses anmaßende, diese anmaßende Behauptung, dass Johano Strasser besser weiß, was im Sinne der Ukraine ist und wie man die Ukraine besser verteidigt", im Verlauf sagt er in Richtung Strasser: "Du hast diese Bühne bald ganz für dich allein und deinesgleichen."
So kommt es dann auch. Mit einem großen Knall.
"Dieser Verein, in einer Mehrheit von lauter selbstbezogenen, kleinen Wichtigtuern, ich möchte nicht, ich möchte nicht Präsident dieser Bratwurstbude sein, ich trete zurück", Beifall brandet auf. "Und ich trete hiermit aus diesem Verein aus!" Weiter Applaus.
Neuanfang als PEN Berlin
Hinterher herrscht betretenes Schweigen, verlegen wird nach Worten gesucht. Noch nie hat sich eine Schriftstellervereinigung in der Öffentlichkeit so sehr blamiert. 113 Autoren starten darauf einen Aufruf zur Gründung eines neuen PEN – PEN Berlin. Am 10. Juni ist es soweit im Berliner Literaturhaus.
Eva Menasse und Deniz Yücel präsentieren sich als die beiden Sprecher. "Das ist eine Verzweiflungstat, viele von uns haben das lange diskutiert, was können wir tun, um diesen alten PEN zu reformieren, aber der Reformversuch war ja genau dieser. Das Präsidium Yücel war der Reformversuch der so spektakulär gescheitert ist", erläuterte Eva Menasse, warum ein neuer Verein gegründet werden soll.
"Wir hoffen, dass wir einiges gut machen werden, wir wollen auch Freude dabei haben", sagt Deniz Yücel. "Ich finde, in einem PEN-Verein kann man auch mal Witze machen, ich glaube, das ist in den letzten siebzig Jahren nicht allzu oft passiert in dem Verein. Aber ja, wir schließen niemanden aus, wir konkurrieren mit niemandem. Wir machen unser Ding und gerne auch mit allen, die auf der gleichen Wertebasis mit uns kooperieren."
Und Eva Menasse merkt an: "Natürlich weiß ich nicht, ob es klappt."
Vieles übernimmt man aus dem alten PEN und seiner Satzung, aber einiges will man anders machen: "Wir haben einen Vorschlag für die Satzung, der muss heute angenommen werden, wir sind ja noch nicht gegründet, das werden wir erst heute tun, aber die Tendenz geht dazu, wir wollen in die Breite auch politische Publizistik, das ist auch ein Aufnahmekriterium, das jetzt neu ist."
Wer soll rein in den PEN Berlin?
Erste Kritik wird noch vor Gründung vor allem in den sozialen Medien geäußert. Rückt der PEN nach rechts? Schließlich ist doch Deniz Yücel bei Springer. Wie offen will man sein, nähme man zum Beispiel einen Uwe Tellkamp auf? Diese Fragen kann man in einigen Gesprächsfetzen vor Versammlungsbeginn aufschnappen.
Unter den aktiven Gründungsmitgliedern ist auch Alban Nikolai Herbst. "Es geht darum, einen möglichst breit aufgestellten PEN zu haben, das heißt, da gehören selbstverständlich auch die Konservativen mit hinein, genauso wie die Linke da hineingehört und die Mitte da hineingehört", sagt er. "Und die Diskussionen werden dann unter uns, aber mit Respekt geführt."
Schaut man sich die aktuelle Mitgliederliste an, findet man die politischen Lager tatsächlich gleichermaßen vertreten.
Streben nach Grundkonsens
In dieser ersten Mitgliederversammlung spürt man aber vor allem deutlich den Willen zum Neuanfang und Aufbruch. Statt Streit und Diskussion sucht man nach der Erfahrung in Gotha jetzt in Berlin unbedingt den Konsens.
Nur einmal knirscht es. Die Satzung hat man sich fast eins zu eins vom alten PEN ausgeliehen. Da fragt jemand, warum es jetzt möglich sein soll, ein Mitglied schon mit einfacher Mehrheit auszuschließen, statt mit einer Zweidrittelmehrheit wie bisher. Doch darüber geht Deniz Yücel forsch hinweg, es ging gerade um die Gewinnung von Mitgliedern und nicht den Ausschluss.
Die Wahl ist zudem schlampig vorbereitet. Yücels Nerven liegen schnell blank. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Veranstaltung zu kippen. Aber das will eben niemand. Und so wird die Satzung einstimmig angenommen. Mit hundert Prozent aller Stimmen wird die Schriftstellerin Eva Menasse zu einer der beiden Sprecherinnen gewählt, wie auch Deniz Yücel mit nur wenigen Gegenstimmen.
Ebenso bestätigt wird das ein neunköpfiges Board, das die beiden Sprecherinnen in ihrer Arbeit unterstützen wird. Als erste Handlung des neuen PEN Berlin wird Julian Assange als Ehrenmitglied aufgenommen.
Wieder drei deutsche PEN-Organisationen
Nun es gibt es also drei PEN Organisationen. Nichts Neues, das gab es schon mit dem PEN Ost der sich erst 1998 mit dem PEN West wiedervereinigte. Auch in anderen Ländern gibt es mehrere Sektionen, oftmals handelt es sich um Exil-Sektionen, wie zum Beispiel die chinesischen Exilautoren in den USA.
Der dritte deutsche PEN Club ist der Exil PEN, der von deutschen Emigranten 1934 in London gegründet wurde und der nach wie vor existiert. "Ich hab heute Morgen noch beim Exil-PEN einen Mitgliedsantrag gestellt so als Zeichen der gegenseitigen Sympathie", sagt Deniz Yücel. Umgekehrt gehört Marko Martin vom Exil PEN wiederum zu den Gründungsmitgliedern des PEN Berlin.
Aufgaben eines PEN
Exil, Autoren, die verfolgt oder in Haft sind – das sind die Hauptaufgaben des PEN. Maxi Obexer, inzwischen als Co-Präsidentin des PEN Deutschland gewählt, sieht aber gerade bei dieser Aufgabe noch erheblichen Nachholbedarf: "Die Frage, was ist eine heutige NGO und was muss die bringen? Mal abgesehen davon, dass es sich beim PEN um eine intellektuelle, literarische Großorganisation handelt, muss auch ein PEN alles Erforderliche mitbringen, auch an Schulungen des Personals, um all dem, was da politisch, aber auch menschlich auf sie zukommt, um einzelnen Leuten gerecht zu werden." Es gehe auch sehr viel um Verwaltung und Organisation.
Manche Autoren haben Foltererfahrung oder sind anders traumatisiert und brauchen daher professionelle Betreuung. Zudem müssen sie ganz anders in die literarische Szene Deutschlands eingeführt werden.
Für den PEN Deutschland ist die Stadt Kamen dafür eine Ausgangsbasis, weil PEN-Generalsekretär Heinrich Peuckmann dort lebt. Gerade Peuckmann war einer der Auslöser für den Kladderadatsch von Gotha. Zunächst glaubt Maxi Obexer an die Reform des PEN Deutschland. "Das gemeinsame Wort war Erneuerung. Mit diesem Versprechen bin ich angetreten und dann begannen die Kämpfe."
Übertritt vom PEN Deutschland in den PEN Berlin
Vier Wochen hält sie stand: Den Anfeindungen, dem Gift, den alten Herren. "Und irgendwann hab ich eingesehen: Ich bin nicht da, um Kämpfe gegen Männer mit einem - ja ich würde sagen "männlichen" - Herrschaftsgebaren zu führen." Sie schmeißt hin und tritt in den PEN-Berlin ein.
Der erste öffentliche Auftritt von PEN Berlin ist eine Solidaritätslesung für Salman Rusdie am Berliner Ensemble, der im August in den USA mit einem Messer schwer verletzt worden war. Neben einem weiteren Abend für Julian Assange, kümmert sich der PEN Berlin um einen afghanischen Autor im Exil und die kurdische Autorin Miral Simsek. "Da ist es uns im Juli gelungen, sie nach Berlin zu holen; wenige Tage vor einem Gerichtsverfahren, das ihr aus politischen Gründen gedroht hat", sagt Eva Menasse.
Die Konkurrenz durch den neuen Pen Berlin scheint umgekehrt den alten PEN Deutschland zu verstärktem Engagement neu anzutreiben. Auch hier gibt es jetzt einen Podcast und vermehrt Aktivitäten.
In der ersten regulären Mitgliederversammlung des PEN-Berlin im September, bei der noch 90 neue Mitglieder hinzugewählt werden, wird der strittige Punkt in der Satzung korrigiert. "Wir haben die Satzung diesbezüglich angepasst, das heißt wir haben jetzt auch diese deutlich erschwerte Ausschlussmehrheit von Zweidrittel."
Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Geld
Insofern konkurrieren jetzt zwei fast identische PEN-Clubs. Was sie allein unterscheidet: Der PEN Berlin setzt mehr auf publizistisch starke Stimmen und weniger rein literarische. Das ist ein Vorteil, wenn es um das knappe Gut Aufmerksamkeit geht, birgt aber auch die größere Zerreißgefahr im politischen Streit, vor allem wenn das polemische Temperament mit Deniz Yücel wieder durchgeht.
Das zweite knappe Gut betrifft die Fördergelder: PEN Deutschland finanziert sich ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Das Writers-in-Exile-Prorgamm aber wird durch das Bundesministerium für Kultur und Medien (BKM) finanziert. Noch hält sich das BKM bedeckt, wie es die Gelder künftig verteilen wird, denn auch der PEN Berlin hat die beiden Programme writers in exile und writers in prison in seine Satzung geschrieben. (*)
Der PEN Berlin sucht daher nach neuen Geldgebern und will sich hier auch breiter aufstellen. Die wichtigste Voraussetzung dafür, die Anerkennung der Gemeinnützigkeit, ist inzwischen erreicht.
Warten auf die Anerkennung von PEN International
Für den letzten Schritt, die schnelle Anerkennung durch den PEN International war man jedoch zu optimistisch: "Diese drei Monate waren einfach zu kurz. Es sind auch andere auf der Warteliste und man wollte nicht den Eindruck erwecken, dass Deutschland wieder auf der Überholspur ist", berichtet Eva Menasse.
Vom PEN International ist nun zu hören, dass es üblicherweise zwei Jahre dauere, bis die Vollmitgliedschaft erreicht werde, aber bis dahin arbeite PEN International mit dem aufstrebenden PEN Berlin zusammen, „um ihn auf seinem Weg zu einem vollwertigen PEN-Zentrum zu unterstützen“.
Vom PEN International ist nun zu hören, dass es üblicherweise zwei Jahre dauere, bis die Vollmitgliedschaft erreicht werde, aber bis dahin arbeite PEN International mit dem aufstrebenden PEN Berlin zusammen, „um ihn auf seinem Weg zu einem vollwertigen PEN-Zentrum zu unterstützen“.
Womöglich begreift man dann in dieser Übergangszeit, dass den weltweit verfolgten Autorinnen mit einem starken und geeinten PEN wahrscheinlich doch besser gedient wäre.
(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben Angaben zur Finanzierung korrigiert.