Pendler zwischen zwei Welten

    Von Franziska Rattei |
    Als Berufspolitiker versteht sich Carsten Sieling nicht - obwohl er seit vier Jahren im Bundestag sitzt und gute Chancen auf eine Wiederwahl hat. Denn: Der studierte Volkswirt, der sich in Berlin vor allem um Finanzfragen kümmert, sorgt in seinem Bremer Wahlkreis für die nötige Bürgernähe und Bodenhaftung.
    In Carsten Sielings Wahlkreis, Bremen Eins, leben rund 250.000 Menschen. Vom Millionär über den Studenten bis zum Hartz-IV-Empfänger. Die kann man nicht über einen Leisten ziehen, sagt er.

    "Und das machts spannend und richtig. Die ganze Welt."

    Der gelernte Industriekaufmann und studierte Volkswirt mit Doktortitel ist ein Pendler zwischen zwei Welten – so beschreibt er es. Wenn der Bundestag Sitzungswochen hat, arbeitet Sieling in Berlin. Die übrige Zeit verbringt er in Bremen. Und auch dort pendelt er viel: von der Bürgersprechstunde zur Konferenz im Rathaus, von der Quartiersvisite zum Praxistag. Mit diesen Ausflügen in die Bremer Arbeitswelt hat er vor rund drei Jahren angefangen, erzählt er.

    "Ich hab Pakete ausgefahren, Essen auf Rädern gemacht, war bei Mercedes am Band und im Rohbau dort, hab beim Friseur gearbeitet, in einer kleinen Tischlerei. Alles, was man sich so vorstellen kann. Im Pflegeheim – das kannte ich vorher aus meiner beruflichen Tätigkeit auch nicht."

    Auf Carsten Sielings Internetseite ist das alles gut dokumentiert, aber mit Wahlkampf haben die Praxistage nichts zu tun, sagt er. Deshalb hört er damit jetzt auch auf; kurz vor der Bundestagswahl. Stattdessen will Sieling Hausbesuche machen. Die politisch Desinteressierten erreiche er via Internet, Facebook und Twitter nicht.

    "Wenn ich jetzt Leute gewinnen will und sage: wir müssen was für die Demokratie tun und die Wahlbeteiligung hochbringen, weiß ich, dass ich das darüber nicht unbedingt schaffe. Sondern da muss ich andere, direkte Formen finden. Und ich glaube, das geht von Mensch zu Mensch immer noch am besten."

    Was Carsten Sieling über Bodenhaftung und Bürgernähe erzählt, stimmt, sagt seine frühere Kollegin Maren Bullermann, ebenfalls SPD-Mitglied. Man merke ihm an, dass er kein Berufspolitiker ist. Vor seiner SPD-Karriere arbeitete Sieling in der freien Wirtschaft und unter anderem auch für die Uni. Maren Bullermann ist Arbeitnehmervertreterin bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewoba und hat Sieling kennengelernt, als er noch Mitglied im Aufsichtsrat war; als Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion.

    Maren Bullermann: "Carsten Sieling hat diese Aufgabe sehr lange wahrgenommen, was ich auch sehr außergewöhnlich finde. Wir haben sonst im Aufsichtsrat häufig, dass die Menschen wechseln, was ich persönlich und für die Zusammenarbeit nicht gut finde. Das hat er sehr ernst genommen, was dann auch ne fruchtbare Zusammenarbeit bringt."

    Damals, vor acht Jahren, hatte Sieling sich dafür eingesetzt, das Unternehmen in der öffentlichen Hand zu behalten statt zu privatisieren. Er wollte, dass die Wohnungen der Gewoba bezahlbar bleiben, für alle Bevölkerungsgruppen in Bremen. Inzwischen arbeitet Sieling zwar in Berlin, aber seine Philosophie von sozialer Gerechtigkeit vertritt er noch immer, findet Maren Bullermann.

    Bullermann: "Das kann man überraschenderweise auch tun, indem man sich mit Steuerfragen befasst und indem man sich in haushaltspolitische Dinge einbringt. Das mag einem erst trocken erscheinen, aber das geht."

    Vom kleinen Bremen ins große Berlin
    Sie meint Sielings Arbeit im Finanzausschuss und sein Engagement gegen überhöhte Dispo-Zinsen und für Girokonten für alle - verbrauchernahe Themen also. Auch das Finanzmarkt-Gremium, wo Sieling über Spekulation und die Kontrolle des Bankenrettungsschirms berät, habe ihn nicht verändert, sagt sie. Nach wie vor schätze sie ihn als offenen Kollegen. Sie könne ihn immer anrufen. Aus Carsten Sielings Perspektive hat sich schon etwas verändert in den vergangenen vier Jahren. Vom kleinen Bremen ins große Berlin -

    "Man hat total viele unterschiedliche Themen, lernt unterschiedliche Leute kennen. Ist manchmal sehr schnelllebig, aber ein Stück weit genieße ich das auch."

    Deshalb kandidiert Sieling für eine zweite Legislaturperiode. Und die Chancen, wiedergewählt zu werden, stehen gut. Seit 1949 ist sein Wahlkreis noch immer an die SPD gegangen.

    Links:
    Homepage von Carsten Sieling

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