Pénélope Bagieu: "Schichten"
Aus dem Französischen von Silv Bannenberg
Reprodukt Verlag, Berlin 2022
144 Seiten, 24 Euro
Pénélope Bagieu: "Schichten"
Beklommene Jugend: "Schichten" ist der erste autobiografische Comic der Französin Pénélope Bagieu. © Reprodukt Verlag / Pénélope Bagieu
Skizzenbuch der Traumata und Träume
08:05 Minuten
Ihr Comic "Unerschrocken" über mutige Frauen ist ein internationaler Bestseller. Jetzt erzählt die französische Zeichnerin Pénélope Bagieu im Band "Schichten" von ihrer eigenen Kindheit und Jugend: skizzenhaft, persönlich und mit viel Selbstironie.
Das knallig Bunte, das frühere Comics von ihr auszeichnete, fehlt in Pénélope Bagieus neuem Band "Schichten". Aber ihr charakteristischer Humor, der vor allem auf Selbstironie beruht, findet sich in fast jeder der Storys wieder, versichert die Publizistin Sonja Eismann, Mitbegründerin des "Missy Magazins".
Zwar bleibe einem beim Lesen manchmal das Lachen im Hals stecken. "Aber es gibt auch sehr bestärkende Momente in diesen Coming-of-Age-Geschichten", betont Eismann.
Der erste Urlaub mit der großen Liebe
In einer Geschichte erzählt Bagieu davon, wie sie das erste Mal mit ihrer großen Liebe in den Urlaub fährt und beide von morgens bis abends Sex miteinander haben, bis auf einmal das große Jucken beginnt. Im Rückblick gehe es der Autorin gar nicht um das damalige Objekt der Begierde, sagt Eismann:
"Es geht vielmehr um die verständnisvolle Frauenärztin, die den Beiden ganz freundlich die Leviten liest und ihnen erst mal erklärt, was überhaupt sexuell übertragbare Krankheiten sind und warum Verhütung so wichtig ist – und dafür, sagt sie, ist sie heute noch dankbar."
Eigentlich hatte Bagieu die jetzt in "Schichten" versammelten Storys gar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen, erklärt Eismann. Entstanden sind sie zwischendurch, in Pausen oder auf Zugfahrten beim Kritzeln auf dem i-Pad. Anders als sonst bekam ihr Verlag die sehr persönlichen Geschichten – zum Beispiel über den Tod ihres notorisch untreuen Vaters, ihre manische Angst vor Kälte oder ihr Erasmus-Jahr in London – erst zu sehen, als der Band quasi fertig war.
Ein Comic wie ein Notizbuch
Bis zum Schluss hat das Buch deshalb einen skizzenhaften Charakter behalten, sagt Eismann: "Die Zeichnungen sind schwarz-weiß und wirken manchmal fast flüchtig dahingeworfen, die Geschichten haben sehr unterschiedliche Längen und Formate, und die französische Ausgabe sieht lustigerweise tatsächlich aus wie ein Notizbuch mit einem Gummibändchen drumherum."
Bekannt wurde Pénélope Bagieu mit "Porträts außergewöhnlicher Frauen": In zwei Bänden mit dem Titel "Unerschrocken" hat die Französin beeindruckende Frauen vorgestellt, deren Biografien kaum bekannt waren. Für diese im Original "Culottées" betitelte Geschichtensammlung erhielt sie 2019 den renommierten "Eisner Award". Auch ihre Comic-Adaption von Roald Dahls Kinderbuch "Hexen hexen" wurde ein großer Erfolg.
Traumatische Erfahrungen humorvoll verpackt
Aber Bagieu möchte sich nicht auf ein Genre festschreiben lassen, sagt Eismann: "Sie will nicht die Autorin sein, die nur noch diese lustigen, schlauen Kinderinhalte produziert."
Ihr neuer Comic handle zwar von Erlebnissen aus der eigenen Kindheit und Jugend, aber bei vielen dieser durchaus humorvoll verpackten Geschichten merkten Leserinnen und Leser nach einer Weile, "dass das vielleicht gerade gar nicht so lustig war, sondern eher traumatisch".
Bagieu erzählt unter anderem davon, wie sehr sich Situationen sexueller Übergriffe in ihrer Jugend wiederholten und wie sie sich, ob als Mädchen oder als junge Frau, immer selbst die Schuld gegeben habe. In einem Interview sagte die Comiczeichnerin dazu kürzlich, sie hoffe nicht, dass das der erste Kontakt mit Sexualität ist, den ihre junge Leserinnen haben können.
Ermutigende weibliche Solidarität
"Schichten" sei ein ebenso persönliches wie politisches Werk, urteilt Eismann. Was viele der Geschichten verbinde, sei der Gedanke einer weiblichen Solidarität:
"Männer kommen eher als diejenigen vor, die die junge Pénélope in der Métro begrapschen, die ihren Busen bewerten oder auch mal ihre Liebe nicht erwidern. Auch wenn Konflikte untereinander nicht ausgespart werden, sind es letztlich doch die Frauen, die die Leitfiguren in diesem Buch sind: Die ältere Schwester – die auch eine der ganz wenigen war, die das Buch vorab sehen durfte –, die Mutter, die verstorbene Großmutter, und immer wieder Freundinnen."
Die titelgebenden "Schichten" symbolisierten vordergründig zwar vor allem, wie die Autorin allmählich wurde, was sie heute ist, so Eismann. Gleichzeitig aber bilde die Unterstützung all dieser weiblichen Figuren auch einen schützenden „Schichten“-Kokon um die Erzählerin. "Und das entlässt die Leserin mit einem durchaus beglückenden Gefühl."