Penelopes Stimme
Die Lyrikerin und Multimediakünstlerin Barbara Köhler nimmt in "Niemands Frau" Bezug auf Homers "Odyssee". Sie setzt sich mit dem historischen Stoff auseinander und lässt Odysseus Frau Penelope zu Wort kommen.
Homers "Odyssee" gilt als ältestes Werk der abendländischen Literatur. Die Irrfahrten des Seefahrers und Trojakämpfers Odysseus, der auf seiner langen Heimfahrt nach Ithaka gegen die mythischen Naturgewalten kämpft, ist eine spannende Lektüre. Wer des Griechischen nicht mächtig ist, kann inzwischen aus einer Vielzahl von Übertragungen auswählen. Die klassische und von Deutschlehrern bevorzugte Version ist die von Johann Heinrich Voß aus dem Jahr 1781. Der Stoff der "Odyssee" und vor allem die Gestalt des Odysseus sind seit der Antike immer wieder literarisch bearbeitet worden. Es entstanden Opern, Theaterstücke sowie Filme und in der Comic-Welt ist das Epos inzwischen ein Klassiker.
Jeder, der sich mit diesem Stoff künstlerisch auseinandersetzt, weiß, dass er sich in eine umfangreiche Rezeptionsgeschichte einreiht. Die Lyrikerin und Multimediakünstlerin Barbara Köhler ist sich dessen bewusst und nennt ihr Buch "Niemands Frau". Mit diesem Titel signalisiert die 1959 in Burgstädt geborene Autorin zwei Lesarten. Zum einen ist es die souveräne Sprachgeste der Schreibenden. Sie leistet niemandem literarische Dienste. Andererseits nimmt sie aber die Dienste Homers sehr wohl in Anspruch. Denn beim Aufschlagen des Buches wird klar, dass die Autorin beiden gerecht wird. "Niemands Frau" bedeutet auch, in der Rolle von Odysseus Frau Penelope zu sprechen.
Im 9. Gesang der "Odyssee" wird berichtet, dass Odysseus dem Kyklopen Polyphem bei einem Trinkgelage seinen Namen nicht nennen will und "Niemand" sagt. Vielleicht hat der betrunkene Polyphem aber falsch verstanden und er sagte nicht oútis, sondern nannte seinen Kosenamen Odyss. Barbara Köhler ist an diesen historischen Versprechern interessiert. Angeregt durch klangliche Verschiebungen und Doppeldeutigkeiten in der Sprache, bietet sie mit ihren Gesängen einen eigenwilligen Dialog an. Wie im Epos sind es auch bei ihr 24. Im ersten Gesang, der dort wie hier der Muse gewidmet ist, stellt sie die Frage nach der Autorschaft der "Odyssee", die wohl nie geklärt werden wird: "Sage mir muse wer Er ist was Er wer Homer & warum ist Es wichtig & Es zu wissen sag mir wer du bist". Köhler setzt innerhalb der 3000 Jahre alten Tradierung des Stoffes eine weibliche Stimme als Erzählmedium ein und vollzieht damit einen reizvollen Perspektivwechsel. Konkret bedeutet das, mit einer anderen grammatischen Person Umgang zu haben. Daraus ergeben sich neue Varianten und Orte des Sprechens. Die kunstvolle Wortmusik der "Odyssee" inspiriert die an der Konkreten Poesie geschulte Lyrikerin zu Gesängen wie "Nausikaa: Rapport", "Orpheus: Voicebox" oder "Nachtstück: Arrhytmie". Lustvoll und mit einer kräftigen Portion Humor rüttelt Köhler am abendländischen Dichtgerüst. Aus Homers treuer Ehefrau Penelope wird im Gesang 06 eine "Gewebeprobe: penelope", was mit der Vorlage korrespondiert. Penelope hatte geschworen, erst dann wieder frei zu sein, wenn sie das Leichentuch des Laertes fertig gewebt hätte. Dass sie es nachts wieder auftrennte, entging den Freiern. So erfahren wir in Köhlers Version, "penelope verwebt & trennt auf / hat zeit gewinnt sie und gibt / sie nimmt sie sich wartet sie / nicht auf etwas trennt sie es / ist verwobene zeit getrenntes". Wie stark die Gesänge in "Niemands Frau" vom Rhythmus des Sprachmaterials gelenkt werden, ist in der beiliegenden CD nachzugehören. Köhlers Lesung erinnert an die Rhapsoden, die verschiedene Fassungen der "Odyssee" mündlich weitergaben, während ihr Gedächtnis durch die Metrik der Verse geschult wurde.
Rezensiert von Carola Wiemers
Barbara Köhler: Niemands Frau. Gesänge
Suhrkamp Verlag 2007
112 Seiten mit CD. 16,80 Euro
Jeder, der sich mit diesem Stoff künstlerisch auseinandersetzt, weiß, dass er sich in eine umfangreiche Rezeptionsgeschichte einreiht. Die Lyrikerin und Multimediakünstlerin Barbara Köhler ist sich dessen bewusst und nennt ihr Buch "Niemands Frau". Mit diesem Titel signalisiert die 1959 in Burgstädt geborene Autorin zwei Lesarten. Zum einen ist es die souveräne Sprachgeste der Schreibenden. Sie leistet niemandem literarische Dienste. Andererseits nimmt sie aber die Dienste Homers sehr wohl in Anspruch. Denn beim Aufschlagen des Buches wird klar, dass die Autorin beiden gerecht wird. "Niemands Frau" bedeutet auch, in der Rolle von Odysseus Frau Penelope zu sprechen.
Im 9. Gesang der "Odyssee" wird berichtet, dass Odysseus dem Kyklopen Polyphem bei einem Trinkgelage seinen Namen nicht nennen will und "Niemand" sagt. Vielleicht hat der betrunkene Polyphem aber falsch verstanden und er sagte nicht oútis, sondern nannte seinen Kosenamen Odyss. Barbara Köhler ist an diesen historischen Versprechern interessiert. Angeregt durch klangliche Verschiebungen und Doppeldeutigkeiten in der Sprache, bietet sie mit ihren Gesängen einen eigenwilligen Dialog an. Wie im Epos sind es auch bei ihr 24. Im ersten Gesang, der dort wie hier der Muse gewidmet ist, stellt sie die Frage nach der Autorschaft der "Odyssee", die wohl nie geklärt werden wird: "Sage mir muse wer Er ist was Er wer Homer & warum ist Es wichtig & Es zu wissen sag mir wer du bist". Köhler setzt innerhalb der 3000 Jahre alten Tradierung des Stoffes eine weibliche Stimme als Erzählmedium ein und vollzieht damit einen reizvollen Perspektivwechsel. Konkret bedeutet das, mit einer anderen grammatischen Person Umgang zu haben. Daraus ergeben sich neue Varianten und Orte des Sprechens. Die kunstvolle Wortmusik der "Odyssee" inspiriert die an der Konkreten Poesie geschulte Lyrikerin zu Gesängen wie "Nausikaa: Rapport", "Orpheus: Voicebox" oder "Nachtstück: Arrhytmie". Lustvoll und mit einer kräftigen Portion Humor rüttelt Köhler am abendländischen Dichtgerüst. Aus Homers treuer Ehefrau Penelope wird im Gesang 06 eine "Gewebeprobe: penelope", was mit der Vorlage korrespondiert. Penelope hatte geschworen, erst dann wieder frei zu sein, wenn sie das Leichentuch des Laertes fertig gewebt hätte. Dass sie es nachts wieder auftrennte, entging den Freiern. So erfahren wir in Köhlers Version, "penelope verwebt & trennt auf / hat zeit gewinnt sie und gibt / sie nimmt sie sich wartet sie / nicht auf etwas trennt sie es / ist verwobene zeit getrenntes". Wie stark die Gesänge in "Niemands Frau" vom Rhythmus des Sprachmaterials gelenkt werden, ist in der beiliegenden CD nachzugehören. Köhlers Lesung erinnert an die Rhapsoden, die verschiedene Fassungen der "Odyssee" mündlich weitergaben, während ihr Gedächtnis durch die Metrik der Verse geschult wurde.
Rezensiert von Carola Wiemers
Barbara Köhler: Niemands Frau. Gesänge
Suhrkamp Verlag 2007
112 Seiten mit CD. 16,80 Euro