Wie eine Kleinstadt um ihre Schule kämpft
Aus Penkun in Mecklenburg-Vorpommern sind schon viele Menschen abgewandert. Wenn erst die Schule schließt, so die Befürchtung, gehen in der Kleinstadt die Lichter aus. Deswegen streiten die Penkuner mit allen Mitteln für deren Erhalt.
Bernd Netzel ist ein vielbeschäftigter Mann, und wer ihn persönlich treffen möchte, hat im zweiten Stock des früheren Penkuner Amtsgebäudes relativ gute Chancen. Denn hier hat Bernd Netzel zwei kleine Räume für sein Tourismus- und Fuhrdienstunternehmen gemietet. Direkt daneben: sein Büro als ehrenamtlicher Bürgermeister.
Es ist halb 10 Uhr, und bei Kaffee und Gebäck beginnt der Ur-Penkuner über seine Stadt zu erzählen, die drei Autostunden von der Landeshauptstadt Schwerin und anderthalb Stunden von der Kreisstadt Greifswald entfernt liegt. Nach Berlin geht es allemal schneller.
"Wir sind ja die kleinste Stadt in Mecklenburg-Vorpommern mit 1200 Einwohnern, und es ist im Prinzip eine alte Ackerbürgerstadt, die Stadt Penkun."
Reporterin: "Wenn Sie mir mal ganz kurz an Ihr Bürofenster folgen und beschreiben, was wir sehen. Also zur linken sehe ich eine Kirchturmspitze …"
"Also wenn wir jetzt aus dem Fenster gucken: Von der rechten Seite kommen wir in die Stadt reingefahren. Penkun ist ja wie eine Insel. Alles ringsherum ist Wasser. Wir haben circa 180 Hektar Wasserfläche, und aus dem Grunde ist es so, dass wir nur von drei Seiten reingefahren kommen. Hier, wo die Fahrzeuge fahren, fahren Sie in die Stadt. Die asphaltierte Straße geht durch Penkun, erschließt sich bis hoch zum Schloss und führt dann wieder Richtung Brandenburg raus – also Richtung Prenzlau. Und dann, wo die Kirche ist: Hinter der Kirche haben wir den Marktplatz."
Reporterin: "Wenn Sie mir mal ganz kurz an Ihr Bürofenster folgen und beschreiben, was wir sehen. Also zur linken sehe ich eine Kirchturmspitze …"
"Also wenn wir jetzt aus dem Fenster gucken: Von der rechten Seite kommen wir in die Stadt reingefahren. Penkun ist ja wie eine Insel. Alles ringsherum ist Wasser. Wir haben circa 180 Hektar Wasserfläche, und aus dem Grunde ist es so, dass wir nur von drei Seiten reingefahren kommen. Hier, wo die Fahrzeuge fahren, fahren Sie in die Stadt. Die asphaltierte Straße geht durch Penkun, erschließt sich bis hoch zum Schloss und führt dann wieder Richtung Brandenburg raus – also Richtung Prenzlau. Und dann, wo die Kirche ist: Hinter der Kirche haben wir den Marktplatz."
Nach rechts fällt der Blick aus dem Bürgermeisterfenster auf das alte Spital, denkmalschutzgerecht saniert in gelbem Farbanastrich. Hier sollen im Frühjahr acht Wohneinheiten für demenzkranke Menschen entstehen. Direkt daneben: ein großes Gebäude, das in dem Grau des Tages dennoch fast untergeht – die Regionale Schule Penkun.
Die Schule wurde 1957 gebaut
"Ein Schulbau, der 1957 entstanden ist. Das ist ein Drei-Flügel-Bau. Wir haben eine wunderschöne Turnhalle. Wir haben auch eine Aula da drinne. Es gab damals schon Fachkabinette. Jetzt haben wir natürlich auch die Computer-Kabinette und so etwas. Aber es ist ein gewisser Sanierungsstau da. Heizung, Elektrik und natürlich auch optisch muss etwas passieren."
Um das mit großen Fenstern, breiten Flurgängen und einer beachtlichen Wendeltreppe versehene Gebäude zu sanieren, müsste das zuständige Land Mecklenburg-Vorpommern viel Geld bereitstellen. Doch das passiert nur, wenn die Lehreinrichtung danach garantiert noch eine Weile in Betrieb bleibt. Von 20 Jahren Bestandsgarantie sei hier zunächst die Rede gewesen, erinnert sich Bernd Netzel und schüttelt den Kopf, denn:
"20 Jahre voraus kann man kaum gucken. Aber wenn wir zehn Jahre nachweisen können, und da sind wir dran – denk ich mal, dass wir auch Mittel dafür bekommen."
Ein Blick auf die Landkarte zeigt das Problem: Penkun hat kein klassisches Einzugsgebiet, denn es liegt da wie ein vorpommerscher Außenposten ohne viel vorpommersches Hinterland.
"Wir sind ja wie eine Enklave im Brandenburgischen und Polen. Nur zur einen Seite geht´s raus nach Mecklenburg-Vorpommern. Andere können ihren Zirkel 360 Grad schwingen. Wir im Prinzip nur höchstens 90 Grad. Alles andere ist 'Feindesland' – nicht böse gemeint – die Nachbarländer, wo es andere Bedingungen gibt, um dort Schüler zu akquirieren."
Viel Platz für immer weniger Menschen
Drüben in der Regionalschule beginnt die Hofpause. Gelegenheit, mich telefonisch im Sekretariat anzumelden und kurzerhand zum Schulleiter zu gehen. Der Weg vom Amts- zum Klassenzimmer führt über den großen angrenzenden Schulhof, der dem Kreis Vorpommern-Greifswald ähnelt: Viel Platz für ziemlich wenige, ja immer weniger Menschen.
In der Penkuner Regionalschule gibt es derzeit 122 Schüler und in allen Stufen von 5 bis 10 nur jeweils eine Klasse. Eigentlich zu wenig für einen Weiterbetrieb, verlangt das Schulgesetz doch höhere Mindestschülerzahlen, erklärt Schulleiter Roland Ganske, der mich in einem Mathematikraum erwartet.
"Die Situation in Penkun ist schon seit 2002 immer prekär gewesen. Seit diesem Zeitpunkt leben wir im Prinzip weitestgehend mit einer Ausnahmegenehmigung."
Die Lage verschärfte sich, nachdem Mecklenburg-Vorpommern einseitig den schulrechtlichen Teil des Staatsvertrages mit dem benachbarten Land Brandenburg gekündigt hatte. Schwerin wollte den eigenen Schulen nicht mehr den Lastenausgleich von rund 375 Euro pro brandenburgischen Schüler zahlen. Den müssen die Schulträger nun selbst übernehmen – im Fall der Regionalen Schule die Stadt Penkun.
Doch wegen des defizitären Haushaltes hat die Kommunalaufsicht im Schweriner Innenministerium der Stadt diese Ausgaben vor vier Jahren praktisch untersagt – und damit u.a. die Beschulung von Kindern aus dem drei Kilometer entfernten Tantow unmöglich gemacht. Wurden zuvor stets rund 50 Brandenburger in Penkun beschult, sind es derzeit nur noch acht ältere Semester.
Ein schul- und finanzpolitisch heikles Thema, zu dem sich Schulleiter Ganske nicht weiter äußern möchte. Anders bei der Frage, ob es seiner Meinung nach die Regionale Schule Penkun 2035 noch geben werde.
"Ich bin ja kein Hellseher. Ist ja noch ein bisschen hin bis 2035. Ja, ich hoffe es."
Ein Grund: Von der Stadtgrenze bis zur Auffahrt auf die A 11 ist es kein Kilometer. Von dort bis in die wirtschaftlich und kulturell vibrierende polnische Hafen- und Universitätsstadt Szczecin bzw. Stettin dauert die Fahrt circa 20 Minuten.
Polnische Familien sind zugezogen
"Penkun wird später zum Speckgürtel von Stettin gehören. Wir haben auch sehr viele polnische Familien hier in Penkun und Umgebung, die hierher gezogen sind und deren Kinder dann auch hier zur Schule gehen mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Wenn sie in der Penkuner Grundschule waren, dann haben sie meist schon intensiv Deutsch gelernt. Eine Idee besteht auch darin, dass man künftig auch polnische Schüler hier beschulen kann, obwohl sie nicht in dem Bereich hier wohnen."
Eine Idee von vielen, die vorigen Sommer im jüngsten Projekt "UniDorf" besprochen wurden.
An der mecklenburgischen Hochschule Neubrandenburg leitet Professor Peter Dehne den deutschlandweit einzigartigen Studiengang Naturschutz und Landnutzungsplanung. Weil er sich viel mit der Entwicklung ländlicher Räume befasst, ist Dehne auch im territorial riesigen, aber dünnbesiedelten und in vielen Ecken überalterten Nachbarlandkreis Vorpommern-Greifswald ein gefragter Mann.
"Wir machen seit mittlerweile zehn Jahren dieses sogenannte 'UniDorf'. Auf der einen Seite bringen die Studenten ihre Ideen mit. Sie gehen in die Dörfer und Kleinstädte hier in der Region und lernen gleichzeitig, wie ein Dorf, wie eine Kleinstadt funktioniert."
Die vorpommerschen Orte Lassan, Ducherow, Tutow, Eggesin und Loitz standen schon auf dem Programm. Nun also Penkun, denn:
"Seit einiger Zeit machen wir das mit dem Landkreis Vorpommern-Greifswald ganz gezielt in Orten mit Schulen, die Probleme haben aufgrund des demografischen Wandels, der Alterung der Bevölkerung insgesamt. Und die Idee ist, dass Schule und Ortsentwicklung zusammengehören. Ist die Schule schwierig, hat die Probleme, heißt das: Es gibt auch Probleme für den Ort. Andererseits ist die Schule auf einen funktionierenden und lebendigen Ort angewiesen."
Kürzlich präsentierten Dehnes UniDorf-Studenten ihre Ergebnisse in Penkun - in Form von "SPEKTIV", einem selbstgestalteten "Magazin für die Zukunft Penkuns" auf Hochglanzpapier und in modernem Layout. Was ist besonders haften geblieben?
"Ich fand´s ganz schön, dass die uns ab 'ner bestimmten Zeit gegrüßt haben. Also die kannten uns alle gar nicht, aber die wussten: Okay, das sind neue Gesichter, und dann grüßen wir die eben schön."
Die Studenten wurden anfangs kritisch beäugt
"Also anfangs hatte ich das Gefühl, wurden wir ein bisschen kritisch beäugt. 'Das sind Studenten, die wollen uns was erzählen!' Aber dann nach einigen Tagen, wenn man da ist und auch mit einigen Leuten gesprochen hat, hat man halt auch gemerkt, dass viele unzufrieden sind mit der Situation. Wir hatten dann ja diese Zukunftskonferenz, und da waren zu unserer Überraschung viel mehr, als wir angenommen haben. Und das war, denke ich, ein gutes Zeichen, dass sich doch viele eingesetzt haben für den Ort."
"Da waren unter anderem Ideen, dass beispielsweise eine S-Bahn aus Stettin nach Penkun fährt, oder auch dass das Schloss in der Stadt – also momentan ist es ein Museum – dass es anders genutzt wird als Hotelanlage, dass das erhalten bleibt bzw. sich weiterentwickelt."
So könnte eine "Arbeitsgemeinschaft Gebäudepool für Haussuchende" den Leerstand in der kompakten Altstadt analysieren und offene Eigentumsverhältnisse klären. Eine andere AG könnte sich um Mobilität mit BürgerBus, Autopool und reaktivierten Bahnstrecken kümmern. Zudem sollte sich die Schule noch besser mit der regionalen Wirtschaft verbinden, meint Projektleiter Peter Dehne.
"Berufsorientierung ist wichtig, damit die Schule stärker verankert ist im Ort. Oder auch: Schüler gehen raus und lernen, wie Handwerk oder überhaupt das Leben funktioniert zum Beispiel. Das wäre eine Grundidee. Die zweite Grundidee ist, die Lage zu Polen zu nutzen, sich zu profilieren als deutsch-polnischer Schulstandort. Das heißt dann natürlich auch die Sprache anzubieten."
Zurück in der Regionalen Schule Penkun, die den ersten Vorschlag des UniDorfes bereits umsetzt. Denn die aktuelle 8. Klasse hat mit dem sogenannten Rotationspraktikum begonnen. Die Schüler sind nun jeden Donnerstag in einem Betrieb und wechseln nach einem Vierteljahr das Berufsbild. Außerdem lege sich die Schule einen großen Schau-Acker zu, eine Art Riesen-Schulgarten, erzählt Michael Weiß, Sportlehrer und stellvertretender Schulleiter.
"Wir tun alles, damit die Schule bleibt"
Reporterin: "So, Herr Weiß, die Sportstunde ist rum. Die 5. Klasse war´s. Wie viele Schüler hat die 5. Klasse?"
"25 Schüler."
Reporterin: "Wo sehen Sie diese Regionalschule in zehn Jahren? Ist es eher so, dass Sie sagen: 'Ich hoffe, dass es sie dann überhaupt noch gibt.'? Oder würden Sie sagen: 'Ich bin mir sicher, dass es sie noch gibt.'?"
"Ja, ich bin ja auch im Stadtrat und wir versuchen alles dafür zu tun, dass die Schule bestehen bleibt, und wir haben ja eigentlich auch die Zusage vom Kreis und vom Land."
Reporterin: "Woran könnte es scheitern?"
"Lehrermangel. Alle Bundesländer haben ein Problem Lehrer zu akquirieren, und wir sind hier der letzte Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern und vom Kreis. So, und das ist wirklich schwierig dann, diese Lehrer entsprechend zu bekommen."
Reporterin: "Nun sind Sie ja hier Lehrer. Warum? Sie sind ja auch irgendwann mal nach Penkun gekommen ..."
"25 Schüler."
Reporterin: "Wo sehen Sie diese Regionalschule in zehn Jahren? Ist es eher so, dass Sie sagen: 'Ich hoffe, dass es sie dann überhaupt noch gibt.'? Oder würden Sie sagen: 'Ich bin mir sicher, dass es sie noch gibt.'?"
"Ja, ich bin ja auch im Stadtrat und wir versuchen alles dafür zu tun, dass die Schule bestehen bleibt, und wir haben ja eigentlich auch die Zusage vom Kreis und vom Land."
Reporterin: "Woran könnte es scheitern?"
"Lehrermangel. Alle Bundesländer haben ein Problem Lehrer zu akquirieren, und wir sind hier der letzte Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern und vom Kreis. So, und das ist wirklich schwierig dann, diese Lehrer entsprechend zu bekommen."
Reporterin: "Nun sind Sie ja hier Lehrer. Warum? Sie sind ja auch irgendwann mal nach Penkun gekommen ..."
"Ja, das war Lenkung. Ich bin zu DDR-Zeiten hierher nach Penkun gekommen, und ich hatte gar keine Chance. Ich musste hierher. Ich habe auf Kosten des Staates studiert – das wurde mir immerzu gesagt, und: 'Sie gehen als Nächstes dahin, wo wir Sie gern haben wollen.' Und dann bin ich in Penkun gelandet."
Reporterin: "Nun sind Sie aber auch geblieben. Warum?"
"Einmal die Freunde, der Bekanntenkreis, den man sich aufgebaut hat. Haus gebaut. Und es macht auch hier Spaß. Denn wir sind übersichtlich. Ich kenne zum größten Teil auch die Eltern, denn die waren meine Schüler. Und wenn man hier Lehrer werden will an der Schule, dann hat man auch ein dementsprechend kleines Kollektiv. Alle halten zusammen. Alle stehen füreinander. Und wir haben auch überschaubare Klassen. Wir gehen nicht über 30. Also kleine Klassen, und das ist dann auch sehr brauchbar für das normale Lehrerdasein – Arbeiten durchgucken und solche Sachen. Und auch im Unterricht selber."
Reporterin: "Nun sind Sie aber auch geblieben. Warum?"
"Einmal die Freunde, der Bekanntenkreis, den man sich aufgebaut hat. Haus gebaut. Und es macht auch hier Spaß. Denn wir sind übersichtlich. Ich kenne zum größten Teil auch die Eltern, denn die waren meine Schüler. Und wenn man hier Lehrer werden will an der Schule, dann hat man auch ein dementsprechend kleines Kollektiv. Alle halten zusammen. Alle stehen füreinander. Und wir haben auch überschaubare Klassen. Wir gehen nicht über 30. Also kleine Klassen, und das ist dann auch sehr brauchbar für das normale Lehrerdasein – Arbeiten durchgucken und solche Sachen. Und auch im Unterricht selber."
Auf hungrige Schüler darf der Bäckerladen nicht hoffen
Es ist Mittagszeit, und hungrige Schüler sind für Bäckerläden normalerweise eine Überlebensgarantie. Nicht so für den Backwarenladen am Marktplatz von Penkun, denn die Regionale Schule liegt zu weiter entfernt, sagt die Betreiberin, die einst selbst auf diese Schule ging.
"Die Julian-Marchlewski-Oberschule – so hieß sie. Und von wann? 1967 bis 1977."
Reporterin: "Und sehr viel mehr Schüler als heute, oder?"
"Ja, bei weitem mehr Schüler. Der Schulhof war immer voll."
Reporterin: "Und sehr viel mehr Schüler als heute, oder?"
"Ja, bei weitem mehr Schüler. Der Schulhof war immer voll."
Seit Jahren kommt die Schule in der kleinsten Stadt von Mecklenburg-Vorpommern mit relativ wenigen Schülern über die Runden. Doch in Löcknitz, das weiter nördlich an der deutsch-polnischen Grenze liegt und auch zum Penkuner Amtsgebiet gehört, wird gerade ein neuer Schulcampus gebaut. Deshalb bezweifelt die Penkuner Bäckerin, dass der hiesigen Regionalen Schule eine Zukunft beschieden ist. Die Ideen der "UniDorf"-Studenten hin oder her.
"Hm, das habe ich mitbekommen, ja. Aussehen tut´s traurig, glaube ich. Hoffen tun wir es alle, dass die Schule noch bleibt, denn wenn die Schule erst weg ist, denn ist Penkun wirklich tot. Dann ist der Rest weg."
Es sei schon so schwer genug. Jedenfalls für Händler und Gewerbetreibende wie sie:
"Ja, es ist traurig. Sie sehen es ja selbst: Ist heute überhaupt nichts los. Und so ist der Trend. Die Älteren gehen ins Pflegeheim. Und Junge sind nicht in Sicht. Wenn die Polen nicht wären, würden schon die Häuser halb leer stehen."