Kleist im genderutopischen Lichtspalt
Johann Simons hat in Salzburg Kleists mörderischen Liebeskampf zwischen Penthesilea und Achilles inszeniert. Unser Kritiker Christoph Leibold ist begeistert von einem Lichtspalt auf der Bühne - und dem utopischen Raum, den er öffnet.
Die Salzburger Festspiele haben für diese Saison Produktionen eingeladen, die die Passion und den Rausch wie auch das Leiden daran in Szene setzen. Johann Simons, der viele Jahre Chef der Kammerspiele München und Intendant der Ruhrtriennale war und nun das Schauspiel Bochum leitet, hat passenderweise Heinrich von Kleists Trauerspiel "Penthesilea" neu inszeniert.
In Salzburg sagte er vor der Premiere: "Für mich ist das ein Schrei um Liebe, dieses Stück. Auch ein Schrei gegen den Krieg. Es ist unfassbar komplex, aber es ist auch sehr klar, wie ich das Ende gerne zeigen möchte."
"Wie zwei Sterne, die gegeneinander schmettern"
Unser Theaterkritiker Christoph Leibold war bei der Premiere und erklärt, dadurch dass es keine Ablenkung auf der Bühne gegeben habe, seien Sandra Hüller als Amazone Penthesilea und Jens Harzer als Achilles in ihrem Wahn dem Publikum voll ausgesetzt gewesen: "Wie zwei Sterne, die gegeneinander schmettern." Auf der Bühne habe es nur einen schmalen Lichtspalt gegeben, mehr nicht. Durch das Verschieben von Deckenplatten sei dieser Lichtspalt langsam größer, der Raum also heller geworden. "Wenn sie aus dem Wahn herauskommen, dann ist es ganz hell."
Die Fokussierung auf die beiden Protagonisten habe aber auch Tücken gehabt: Da das Stück auch Text anderer Personen beinhalte, sei dieser Text dann von den beiden selbst gesprochen worden. Die Schauspieler seien sich dabei stellenweise selbst nicht ganz sicher gewesen, wieso sie das jetzt sprechen, sagt Leibold. Es sei zu Übersprungshandlungen gekommen. Bei diesen verwirrenden Textrezitationen könnte es sich aber auch um eine Traumebene gehandelt haben, so Leibold weiter.
Penthesilea und Achilles hätten beide eine Affinität zu dem, was für das jeweils andere Geschlecht steht, gezeigt. Sie habe eine Kurzhaarfrisur getragen, er sich feminin bewegt. Das Heraustreten aus zugeschriebenen Geschlechterrollen sei sehr stimmig und mithilfe des Lichtspalts sehr gut umgesetzt gewesen.
Hüller sei zudem bekannt für einen hemdsärmeligen Ton, was der Inszenierung stellenweise gutgetan habe, manchmal habe sich aber der Blankvers dagegen gesperrt, so dass dies comic-artig gewirkt habe. Jens Harzer hingegen habe mit seiner schwebenden, ätherischen Art, seinem Singsang aufpassen müssen, nicht ins "Nölen" abzudriften.
"In der Mitte tut sich ein utopischer Raum auf"
"Das Ende ist der Anfang", fasst unser Theaterkritiker zusammen. Der Lichtspalt weite und verenge sich, in der Mitte tue sich ein utopischer Raum auf. Leibold erklärt, er habe fast so etwas wie eine Genderutopie im Stück entdeckt, die Protagonisten seien beide einer männlichen, kriegerischen Eroberungslogik gefolgt. Der Kriegsgott Mars spiele eine wesentliche Rolle bei den Amazonen und Achilles habe sich nur zum Schein unterworfen.
Doch "schließlich begegnen sie sich auf dem Lichtplatz, treten aus den Geschlechterrollen heraus und verbeißen sich ineinander". Die Utopie befinde sich im Licht in der Mitte der Bühne. "Am Ende schließt sich der Lichtspalt wieder, es ist fast dunkel, die Utopie ist tot und Achilles und Penthesilea sind tot."