Per Joystick gegen El Kaida
Für Amerika gelten unbemannte High-Tech-Flugzeuge längst als Mittel im Krieg gegen den Terror: Drohnen liefern gestochen scharfe Bilder und können gezielt Raketen abfeuern. Doch ethische und rechtliche Fragen sind ungelöst.
Zum traditionellen White House Korrespondenten Dinner in Washington kommen nicht nur Journalisten, auch Prominente sind geladen, unter den Gästen im vergangenen Jahr die Boy-Group Jonas Brothers. Die launige Rede des Präsidenten gilt als Höhepunkt des Abends und Barack Obama warnte die Band vor Avancen gegenüber seinen Töchtern. "Ich sage nur Predator Drohnen", scherzte Vater Obama, "ihr seht sie nicht kommen."
Es gab Kritik in den Tagen danach, vor allem liberale Kommentatoren sprachen von einem geschmacklosen Ausrutscher. Doch angemessen oder nicht, alle hatten den Witz sofort begriffen, niemand brauchte eine Erklärung. Die bewaffneten US-Drohnen sind vom Himmel über Afghanistan und Pakistan nicht mehr wegzudenken. Sie haben den Krieg dort verändert und sie sind dabei, Kriege allgemein zu revolutionieren.
Peter Singer arbeitet als Direktor der Verteidigungsinitiative 21. Jahrhundert bei Brookings, einer Denkfabrik in Washington. Sein Buch "Wired for War" gehört zur Pflichtlektüre für die Auseinandersetzung mit Verteidigungstechnologien der Zukunft:
"In Kriegen gibt es ab und zu, sehr selten, fundamentale Veränderungen. Durch das Schwarzpulver etwa, durch Maschinengewehre, Flugzeuge, die Atombombe. Durch Technologien, die nicht nur die Kriegsführung verändern, sondern auch politische, juristische und ethische Fragen. Unbemannte Systeme sind eine solche Veränderung."
Die Zahlen sprechen für sich. 2003, als der Irak-Krieg begann, verfügten die USA über, wörtlich gesprochen, eine Handvoll bewaffneter Drohnen, heute, acht Jahre später, sind es über 7.000. In diesem Jahr kaufen die amerikanischen Streitkräfte erstmals mehr Drohnen als konventionelle, bemannte Flugzeuge. Die Zahl der Angriffe in Afghanistan und Pakistan ist in den vergangenen drei Jahren drastisch gestiegen. Technologisch ist die Predator-Drohne längst durch den Reaper abgelöst. Höher, schneller, stärker heißt die Devise. Mit hochauflösenden Kameras und Raketen zum Beispiel vom Typ Hellfire sind die Drohnen vom Boden aus mit bloßem Auge am Himmel fast nicht zu erkennen, liefern aber aus 2.000 oder 3.000 Meter Höhe noch immer gestochen scharfe Bilder an Bodenstationen in den USA, Tausende von Kilometern entfernt.
Von dort, unter anderem von der Creech Air Force Base außerhalb von Las Vegas zum Beispiel, werden sie gesteuert, von dort wird gefeuert. Im Schichtdienst, denn die Drohne wird nicht müde, sie kann über 24 Stunden in der Luft bleiben. Auch so ein fundamentaler Bruch, sagt Peter Singer, "in den Krieg ziehen", was heißt das noch?
"5000 Jahre lang galt eine Gewissheit, egal ob für den Griechen im Kampf gegen Troja oder meinen Großvater gegen die Japaner - wer in den Krieg zog, musste mit dem Tod rechnen, damit, nicht zurückzukommen. So war das bis heute."
Oberstleutnant Matthew Martin war einer der ersten Predator-Piloten der US Air Force. Von Nevada aus flog er Einsätze im Irak und in Afghanistan. In seinem Buch "Predator" beschreibt er diese neue Kriegswelt. So wurde er eines Tages auf dem Weg zum Dienst wegen zu hoher Geschwindigkeit von einer Verkehrsstreife angehalten. Martin schreibt:
"Führerschein bitte", der Polizist sprach mit ausdrucksloser Miene. Ich war in Eile, wollte den diensthabenden Piloten ablösen und hatte nicht auf den Verkehr geachtet, bis ich das Blaulicht hinter mir sah. Was ist los mit diesem Polizisten, dachte ich, sieht der nicht, dass ich im Krieg bin. Bisher war es undenkbar, dass ein Kampfpilot mal schnell zum Frühstück mit seiner Frau nach Haus fährt und auf dem Rückweg einen Strafzettel bekommt. Eine Stunde später war ich mitten in einem Gefecht in Al Asad. Im Irak war es später Nachmittag.
Martin hat seine persönlichen Erfahrungen aufgeschrieben, im Interview spricht er als privater Bürger:
"Bisher konnte man sich über Wochen und Monate auf den Kampfeinsatz vorbereiten, dann kam der Flug ins Kriegsgebiet, dann war man über Monate auf den Einsatz konzentriert, das alles muss jetzt in der halben Stunde auf dem Weg zur Arbeit geschehen."
"Manchmal fühlte ich mich wie Gott, der von weither Donnerschläge schleuderte", schreibt Matt Martin im Vorwort seines Buches:
"Es ist surreal, in die Bodenstation zu kommen und sofort beteiligt zu sein, den Feind zu sehen, mit den Kameraden vor Ort zu sprechen, und auf Kommando von dort, eine tödliche Waffe auszulösen, während das Zielobjekt nichts von alledem mitbekommt."
Und doch, so allmächtig diese Möglichkeiten scheinen, Predator und Reaper, es sind Produkte einer Technologie in den Kinderschuhen. Peter Singer von Brookings:
"Mit dem Automobil verglichen sind wir auf der Stufe eines Ford Model T, eines Flugzeugs um 1914, Bill Gates sieht Robotersysteme zurzeit auf der Entwicklungsstufe von Computern 1980."
Und entwickelt wird in alle Richtungen. Es gibt Prototypen mit Flügeln so lang wie Fußballfelder, mit dem Ziel, diese Systeme über Wochen, Monate und Jahre in der Luft zu halten. Drohnen zur Aufklärung, so klein wie Insekten. Drohnen, die nicht nur in der Lage sind, Fußspuren am Boden zu erkennen, sondern diese auch zurückzuverfolgen. Auf der Edwards Air Force Base haben Testflüge mit Drohnen begonnen, die durch Tarnkappentechnik für das gegnerische Radar nur noch schwer zu erkennen sind.
Angesichts dieser Perspektiven klingt die Mahnung des Rechtswissenschaftlers Philip Alston umso dringlicher. Als UN-Sonderberichterstatter für außerrechtliche Tötungen schrieb er im vergangenen Mai in seinem Bericht:
"Weil die Ausführenden Tausende von Kilometern entfernt sind und ausschließlich über Computer-Bildschirme und Audio-Leitungen handeln, besteht das Risiko einer Playstation-Mentalität, wenn es um Tötungen geht. Staaten müssen durch eine entsprechende Ausbildung sicherstellen, dass Drohnen-Lenker ohne jegliche Kriegs- und Kampferfahrung die internationalen Menschenrechte achten."
Die Playstation-Mentalität! Da ist der Vorwurf, der Drohnen-Piloten wie Matthew Martin auf die Palme bringt. Hier der Soundtrack eines Trailers für "BlackOps", dem neuesten Teil des Computer-Kriegsspiels "Call of Duty". Doch Peter Singer nimmt die Soldaten in Schutz. Die Gefahr einer Verwechslung von Simulation und Wirklichkeit bestehe eher mit Blick auf die Gesellschaft als auf das Militär:
"Am Tag der Kriegsveteranen letztes Jahr, ein Feiertag, haben 4,7 Millionen Menschen in diesem Land das Kriegsspiel 'Modern Warfare' gespielt. Also erleben mehr Amerikaner den Krieg als Spiel auf dem Bildschirm als durch Sorge um Angehörige oder Freunde an der Front."
Nicht nur in amerikanischen Wohnzimmern wird gekämpft, geschossen und getötet wie nie zuvor. Doch Bildschirm und Joystick rechtfertigen keinen Vergleich, sagt Oberstleutnant Martin:
"Es ist nicht das erste Mal, das wir Waffen fernsteuern, auch ein Pilot im Kampfflugzeug ist für die Zielfindung auf Bildschirme angewiesen. Doch unsere Mentalität ist in diesen Fällen eine ganz andere als bei einem Spiel ohne Konsequenzen."
Wie seine Kollegen wehrt sich Matt Martin schon gegen das Wort Drohne:
"Die Idee von autonomen Maschinen, die durch mechanische Logik über Leben und Tod entscheiden, die ist falsch. Wir sprechen von ferngesteuerten Flugzeugen, um unseren menschlichen Anteil zu betonen, die Rolle erfahrener Piloten ist wichtig."
Sie ist nicht nur wichtig, sie ist unverzichtbar. Die Drohne im Mittleren Osten ist Werkzeug des Pilotengespanns in Amerika. Zusammen lenken sie das Flugzeug, beobachten Bildschirme, sind über Audio-Leitungen mit eigenen Truppen vor Ort verbunden. Sie werten gleichzeitig Daten aus, sie kommunizieren via Text und Chat auf einem weiteren Bildschirm, sie markieren Ziele, sie liefern Bilder, und: auf Anweisung auch tödliche Hellfire-Raketen. Doch eines liefern sie nicht: Antworten auf zunehmend dringliche politische, ethische und rechtliche Fragen:
"Diese Regierung hält die Praxis gezielter Tötungen – auch durch unbemannte Flugzeuge – für rechtmäßig", sagt Harold Koh, ranghöchster Rechtsberater im State Department. Seine Rede während einer internationalen Konferenz von Rechtsanwälten in Washington im vergangenen März gilt als die bisher ausführlichste öffentliche und offizielle Rechtfertigung der Obama-Regierung. Die internationale Kritik richtet sich nicht gegen den Drohnen-Einsatz der US-Streitkräfte, sondern gegen die CIA-Drohnen-Schläge in Pakistan und anderswo. Vom Hauptquartier in Langley, Virginia, unweit von Washington, steuern CIA-Zivilisten Einsätze gegen mutmaßliche El Kaida-Terroristen in Pakistan. Offiziell wird dies weder bestätigt noch bestritten.
Jonathan Manes ist Anwalt für die Bürgerrechtsbewegung ACLU, die ein Mindestmass an Informationen über die CIA-Aktivitäten vor Gericht erstreiten wollte. Bisher vergeblich:
"Die CIA weigert sich und pocht auf Geheimhaltung", so Manes. Ein Mosaik aus öffentlichen Quellen, zusammengestellt von der New America Foundation in Washington ergibt ein grobes Bild. Demnach ist die Zahl der CIA-Drohnen-Einsätze in den vergangenen Jahren massiv angestiegen, von 33 im Jahr 2008 auf 53 im Jahr 2009 und 118 im vergangenen Jahr. Bis Ende vergangener Woche wurden seit Januar 11 Schläge verzeichnet.
Professor Gary Solis ist ein ehemaliger Marinesoldat, er hat in Vietnam gekämpft, ist heute Jurist, Spezialist für das Recht im Krieg und in bewaffneten Konflikten. Er hat unter anderem an der Georgetown University und der Militärakademie West Point gelehrt. Mit Blick auf die CIA-Einsätze in Pakistan stellt er fest:
"Es sind Zivilisten, die mit Waffen direkt in kriegerische Handlungen eingreifen, so wird ein ungesetzlicher Kämpfer, ein unlawful combattant, definiert", meint Solis. Wer getötet wird und auf welcher Grundlage, wer über Leben und Tod entscheidet, wie viele unschuldige Zivilisten dabei ums Leben kommen − alles Fragen ohne offizielle Antworten.
Rechtsberater Harold Koh:
"Wir wählen unsere rechtmäßigen Ziele sorgfältig aus und neue Technologien haben unsere Fähigkeiten auf diesem Gebiet weiter verfeinert", so Koh, und weiter:
"Es gibt Kritiker, die angesichts tödlicher Gewalt gegen bestimmte Personen den Rechtsweg vermissen und uns illegaler außerrechtlicher Tötungen bezichtigen. Doch ein Staat kann im Krieg oder in Selbstverteidigung auch ohne Rechtsweg töten."
Zu den erwähnten Kritikern gehört der frühere UN-Sonderberichterstatter Philip Alston. Koh hat sich nicht für eine rechtliche Grundlage entschieden, er hat die CIA erst gar nicht erwähnt, so Alston. "Ohne offizielle Informationen können wir nicht von einer Rechtmäßigkeit ausgehen", so sein Fazit im Gespräch mit Democracy Now.
Auch Jonathan Manes, der ACLU-Anwalt ist nicht überzeugt:
"Er hat nicht erklärt, ob die Regierung einen Unterschied sieht zwischen gezielten Tötungen in Kriegsgebieten wie Irak oder Afghanistan oder Tausende von Kilometern entfernt, im Jemen zum Beispiel. Er hat auch nichts zu den Kriterien für die Auswahl von Todeskandidaten gesagt."
Doch wie sehr alte Gewissheiten und damit rechtliche Grundlagen wanken, verdeutlicht Professor Gary Solis an dieser Kritik. "Kriegsgebiet, was heißt das heute", fragt er am Beispiel von Pakistan, "das kann niemand beantworten."
Peter Singer, der Drohnen-Experte von Brookings in Washington, hält die Rechtsunsicherheiten nicht für überraschend:
"Die relevanten Gesetze stammen zumeist aus den späten 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Im Jahr der Genfer Konvention, nur als Vergleich, wurde der moderne Schallplattenspieler erfunden. Bestimmungen aus jener Zeit können kaum mit der aktuellen technologischen Entwicklung Schritt halten."
Den Kritikern der Regierung reicht das alles nicht. Sie wollen größere Transparenz, vor allem mit Blick auf die CIA in Pakistan. Nach einem Gespräch mit John Rizzo, CIA-Chefjustitiar von 2003 bis 2009, berichtete das Magazin Newsweek vor zwei Wochen über Einzelheiten des Verfahrens innerhalb der CIA. Demnach wird die Entscheidung über tödliche Gewalt gegen mutmaßliche Terroristen durch Anwälte, etwa zehn an der Zahl, innerhalb des Geheimdienstes getroffen. In einer Art Dossier, bis zu fünf Seiten lang, werden die Vorwürfe gegen Verdächtige zusammengetragen und den Anwälten vorgelegt. Die Zusammenfassung ende mit dem Satz: Deshalb beantragen wir die Genehmigung für gezielte tödliche Gewalt.
Für eben diesen Zweck erscheinen Drohnen ideal. Sie ermöglichen die Beobachtung und Verfolgung von Individuen, die Auswahl eines günstigen Moments, um Kollateralschäden möglichst zu vermeiden. Wie hier in einer PBS Fernsehdokumentation geschildert. Ein Verdächtiger auf einem Motorrad wurde aus mehreren Kilometern Höhe stundenlang überwacht, die Drohne folgte ihm von seinem Haus, zu einem Fußballplatz, zu einem Treffen mit anderen mutmaßlichen Kämpfern. Dort wurde zugeschlagen.
So beeindruckend die technischen Leistungen, Zweifel an der Effektivität dieser Art von Kriegsführung wachsen. Selbst vor dem Hintergrund der ungenauen Datenlage scheint klar: Immer häufiger trifft es bestenfalls Kämpfer der unteren und mittleren Ebene. Einer Analyse der New America Foundation zufolge sind im vergangenen Jahr mindestens 581 militante Kämpfer durch CIA-Drohnen in Pakistan getötet worden. Nur zwei dieser Opfer standen demnach auf einer US-Liste der meistgesuchten Terroristen. Durch insgesamt 33 Angriffe 2008 wurden angeblich zehn immerhin ranghohe Anführer getötet, 2010 waren es bei 118 Angriffen 12, zwei mehr.
Die Washington Post veranschlagt die Kosten eines Drohnen-Angriffs mit über einer Million Dollar. Die politischen Kosten sind weit schwerer zu kalkulieren. Die Schätzungen zu zivilen Opfern durch Drohnen in Pakistan schwanken erheblich, in jedem Fall taugt der Tod Unschuldiger für anti-amerikanische Propaganda in einem Krieg, in dem es angeblich auch darum geht, Herzen und Köpfe der Bevölkerung vor Ort zu gewinnen. Die seiner Meinung nach unsichere Rechtsposition der amerikanischen Regierung gehört nach Meinung von Philip Alston ebenfalls zu den politischen Kosten, er verweist angesichts der neuen technischen Möglichkeiten auf den Präzedenzcharakter der US-Perspektive hin:
"Die Rechtsauffassung der Amerikaner kommt Russland, China oder anderen Ländern möglicherweise bald sehr gelegen. Sie können auf Washington verweisen und Terroristen und andere wo immer angreifen. Das ist sehr problematisch."
Ein Szenario für die möglicherweise nicht mehr so ferne Zukunft. Über 40 Länder verfügen inzwischen über Drohnentechnologie. Auch wenn die Drohnenlenker auf heimischem Boden stationiert sind, von einem zukünftig risikolosen Krieg will Professor Gary Solis nichts wissen: "Bald werden unsere Feinde Drohnen besitzen und sie über den USA einsetzen."
Bis es soweit ist, erscheint der Drohneneinsatz für Politiker vergleichsweise einfach. Eine Drohne garantiert keinen Erfolg, doch sie ersetzt an der Front ein gefürchtetes Kondolenzschreiben an Eltern gefallener Soldaten. Wird die Entscheidung für Krieg dadurch leichter? Peter Singer vom Think Tank Brookings hält es für möglich:
"Wir halten doch die Demokratie als Staatsform auch deshalb für überlegen, weil die Gesellschaft als Kontrollinstanz auf dem Weg in einen Krieg dient. Was geschieht, wenn die Öffentlichkeit nicht mehr beteiligt ist, ja wenn es die Technologie erlaubt, die Öffentlichkeit gar nicht mehr zu fragen?"
Es gab Kritik in den Tagen danach, vor allem liberale Kommentatoren sprachen von einem geschmacklosen Ausrutscher. Doch angemessen oder nicht, alle hatten den Witz sofort begriffen, niemand brauchte eine Erklärung. Die bewaffneten US-Drohnen sind vom Himmel über Afghanistan und Pakistan nicht mehr wegzudenken. Sie haben den Krieg dort verändert und sie sind dabei, Kriege allgemein zu revolutionieren.
Peter Singer arbeitet als Direktor der Verteidigungsinitiative 21. Jahrhundert bei Brookings, einer Denkfabrik in Washington. Sein Buch "Wired for War" gehört zur Pflichtlektüre für die Auseinandersetzung mit Verteidigungstechnologien der Zukunft:
"In Kriegen gibt es ab und zu, sehr selten, fundamentale Veränderungen. Durch das Schwarzpulver etwa, durch Maschinengewehre, Flugzeuge, die Atombombe. Durch Technologien, die nicht nur die Kriegsführung verändern, sondern auch politische, juristische und ethische Fragen. Unbemannte Systeme sind eine solche Veränderung."
Die Zahlen sprechen für sich. 2003, als der Irak-Krieg begann, verfügten die USA über, wörtlich gesprochen, eine Handvoll bewaffneter Drohnen, heute, acht Jahre später, sind es über 7.000. In diesem Jahr kaufen die amerikanischen Streitkräfte erstmals mehr Drohnen als konventionelle, bemannte Flugzeuge. Die Zahl der Angriffe in Afghanistan und Pakistan ist in den vergangenen drei Jahren drastisch gestiegen. Technologisch ist die Predator-Drohne längst durch den Reaper abgelöst. Höher, schneller, stärker heißt die Devise. Mit hochauflösenden Kameras und Raketen zum Beispiel vom Typ Hellfire sind die Drohnen vom Boden aus mit bloßem Auge am Himmel fast nicht zu erkennen, liefern aber aus 2.000 oder 3.000 Meter Höhe noch immer gestochen scharfe Bilder an Bodenstationen in den USA, Tausende von Kilometern entfernt.
Von dort, unter anderem von der Creech Air Force Base außerhalb von Las Vegas zum Beispiel, werden sie gesteuert, von dort wird gefeuert. Im Schichtdienst, denn die Drohne wird nicht müde, sie kann über 24 Stunden in der Luft bleiben. Auch so ein fundamentaler Bruch, sagt Peter Singer, "in den Krieg ziehen", was heißt das noch?
"5000 Jahre lang galt eine Gewissheit, egal ob für den Griechen im Kampf gegen Troja oder meinen Großvater gegen die Japaner - wer in den Krieg zog, musste mit dem Tod rechnen, damit, nicht zurückzukommen. So war das bis heute."
Oberstleutnant Matthew Martin war einer der ersten Predator-Piloten der US Air Force. Von Nevada aus flog er Einsätze im Irak und in Afghanistan. In seinem Buch "Predator" beschreibt er diese neue Kriegswelt. So wurde er eines Tages auf dem Weg zum Dienst wegen zu hoher Geschwindigkeit von einer Verkehrsstreife angehalten. Martin schreibt:
"Führerschein bitte", der Polizist sprach mit ausdrucksloser Miene. Ich war in Eile, wollte den diensthabenden Piloten ablösen und hatte nicht auf den Verkehr geachtet, bis ich das Blaulicht hinter mir sah. Was ist los mit diesem Polizisten, dachte ich, sieht der nicht, dass ich im Krieg bin. Bisher war es undenkbar, dass ein Kampfpilot mal schnell zum Frühstück mit seiner Frau nach Haus fährt und auf dem Rückweg einen Strafzettel bekommt. Eine Stunde später war ich mitten in einem Gefecht in Al Asad. Im Irak war es später Nachmittag.
Martin hat seine persönlichen Erfahrungen aufgeschrieben, im Interview spricht er als privater Bürger:
"Bisher konnte man sich über Wochen und Monate auf den Kampfeinsatz vorbereiten, dann kam der Flug ins Kriegsgebiet, dann war man über Monate auf den Einsatz konzentriert, das alles muss jetzt in der halben Stunde auf dem Weg zur Arbeit geschehen."
"Manchmal fühlte ich mich wie Gott, der von weither Donnerschläge schleuderte", schreibt Matt Martin im Vorwort seines Buches:
"Es ist surreal, in die Bodenstation zu kommen und sofort beteiligt zu sein, den Feind zu sehen, mit den Kameraden vor Ort zu sprechen, und auf Kommando von dort, eine tödliche Waffe auszulösen, während das Zielobjekt nichts von alledem mitbekommt."
Und doch, so allmächtig diese Möglichkeiten scheinen, Predator und Reaper, es sind Produkte einer Technologie in den Kinderschuhen. Peter Singer von Brookings:
"Mit dem Automobil verglichen sind wir auf der Stufe eines Ford Model T, eines Flugzeugs um 1914, Bill Gates sieht Robotersysteme zurzeit auf der Entwicklungsstufe von Computern 1980."
Und entwickelt wird in alle Richtungen. Es gibt Prototypen mit Flügeln so lang wie Fußballfelder, mit dem Ziel, diese Systeme über Wochen, Monate und Jahre in der Luft zu halten. Drohnen zur Aufklärung, so klein wie Insekten. Drohnen, die nicht nur in der Lage sind, Fußspuren am Boden zu erkennen, sondern diese auch zurückzuverfolgen. Auf der Edwards Air Force Base haben Testflüge mit Drohnen begonnen, die durch Tarnkappentechnik für das gegnerische Radar nur noch schwer zu erkennen sind.
Angesichts dieser Perspektiven klingt die Mahnung des Rechtswissenschaftlers Philip Alston umso dringlicher. Als UN-Sonderberichterstatter für außerrechtliche Tötungen schrieb er im vergangenen Mai in seinem Bericht:
"Weil die Ausführenden Tausende von Kilometern entfernt sind und ausschließlich über Computer-Bildschirme und Audio-Leitungen handeln, besteht das Risiko einer Playstation-Mentalität, wenn es um Tötungen geht. Staaten müssen durch eine entsprechende Ausbildung sicherstellen, dass Drohnen-Lenker ohne jegliche Kriegs- und Kampferfahrung die internationalen Menschenrechte achten."
Die Playstation-Mentalität! Da ist der Vorwurf, der Drohnen-Piloten wie Matthew Martin auf die Palme bringt. Hier der Soundtrack eines Trailers für "BlackOps", dem neuesten Teil des Computer-Kriegsspiels "Call of Duty". Doch Peter Singer nimmt die Soldaten in Schutz. Die Gefahr einer Verwechslung von Simulation und Wirklichkeit bestehe eher mit Blick auf die Gesellschaft als auf das Militär:
"Am Tag der Kriegsveteranen letztes Jahr, ein Feiertag, haben 4,7 Millionen Menschen in diesem Land das Kriegsspiel 'Modern Warfare' gespielt. Also erleben mehr Amerikaner den Krieg als Spiel auf dem Bildschirm als durch Sorge um Angehörige oder Freunde an der Front."
Nicht nur in amerikanischen Wohnzimmern wird gekämpft, geschossen und getötet wie nie zuvor. Doch Bildschirm und Joystick rechtfertigen keinen Vergleich, sagt Oberstleutnant Martin:
"Es ist nicht das erste Mal, das wir Waffen fernsteuern, auch ein Pilot im Kampfflugzeug ist für die Zielfindung auf Bildschirme angewiesen. Doch unsere Mentalität ist in diesen Fällen eine ganz andere als bei einem Spiel ohne Konsequenzen."
Wie seine Kollegen wehrt sich Matt Martin schon gegen das Wort Drohne:
"Die Idee von autonomen Maschinen, die durch mechanische Logik über Leben und Tod entscheiden, die ist falsch. Wir sprechen von ferngesteuerten Flugzeugen, um unseren menschlichen Anteil zu betonen, die Rolle erfahrener Piloten ist wichtig."
Sie ist nicht nur wichtig, sie ist unverzichtbar. Die Drohne im Mittleren Osten ist Werkzeug des Pilotengespanns in Amerika. Zusammen lenken sie das Flugzeug, beobachten Bildschirme, sind über Audio-Leitungen mit eigenen Truppen vor Ort verbunden. Sie werten gleichzeitig Daten aus, sie kommunizieren via Text und Chat auf einem weiteren Bildschirm, sie markieren Ziele, sie liefern Bilder, und: auf Anweisung auch tödliche Hellfire-Raketen. Doch eines liefern sie nicht: Antworten auf zunehmend dringliche politische, ethische und rechtliche Fragen:
"Diese Regierung hält die Praxis gezielter Tötungen – auch durch unbemannte Flugzeuge – für rechtmäßig", sagt Harold Koh, ranghöchster Rechtsberater im State Department. Seine Rede während einer internationalen Konferenz von Rechtsanwälten in Washington im vergangenen März gilt als die bisher ausführlichste öffentliche und offizielle Rechtfertigung der Obama-Regierung. Die internationale Kritik richtet sich nicht gegen den Drohnen-Einsatz der US-Streitkräfte, sondern gegen die CIA-Drohnen-Schläge in Pakistan und anderswo. Vom Hauptquartier in Langley, Virginia, unweit von Washington, steuern CIA-Zivilisten Einsätze gegen mutmaßliche El Kaida-Terroristen in Pakistan. Offiziell wird dies weder bestätigt noch bestritten.
Jonathan Manes ist Anwalt für die Bürgerrechtsbewegung ACLU, die ein Mindestmass an Informationen über die CIA-Aktivitäten vor Gericht erstreiten wollte. Bisher vergeblich:
"Die CIA weigert sich und pocht auf Geheimhaltung", so Manes. Ein Mosaik aus öffentlichen Quellen, zusammengestellt von der New America Foundation in Washington ergibt ein grobes Bild. Demnach ist die Zahl der CIA-Drohnen-Einsätze in den vergangenen Jahren massiv angestiegen, von 33 im Jahr 2008 auf 53 im Jahr 2009 und 118 im vergangenen Jahr. Bis Ende vergangener Woche wurden seit Januar 11 Schläge verzeichnet.
Professor Gary Solis ist ein ehemaliger Marinesoldat, er hat in Vietnam gekämpft, ist heute Jurist, Spezialist für das Recht im Krieg und in bewaffneten Konflikten. Er hat unter anderem an der Georgetown University und der Militärakademie West Point gelehrt. Mit Blick auf die CIA-Einsätze in Pakistan stellt er fest:
"Es sind Zivilisten, die mit Waffen direkt in kriegerische Handlungen eingreifen, so wird ein ungesetzlicher Kämpfer, ein unlawful combattant, definiert", meint Solis. Wer getötet wird und auf welcher Grundlage, wer über Leben und Tod entscheidet, wie viele unschuldige Zivilisten dabei ums Leben kommen − alles Fragen ohne offizielle Antworten.
Rechtsberater Harold Koh:
"Wir wählen unsere rechtmäßigen Ziele sorgfältig aus und neue Technologien haben unsere Fähigkeiten auf diesem Gebiet weiter verfeinert", so Koh, und weiter:
"Es gibt Kritiker, die angesichts tödlicher Gewalt gegen bestimmte Personen den Rechtsweg vermissen und uns illegaler außerrechtlicher Tötungen bezichtigen. Doch ein Staat kann im Krieg oder in Selbstverteidigung auch ohne Rechtsweg töten."
Zu den erwähnten Kritikern gehört der frühere UN-Sonderberichterstatter Philip Alston. Koh hat sich nicht für eine rechtliche Grundlage entschieden, er hat die CIA erst gar nicht erwähnt, so Alston. "Ohne offizielle Informationen können wir nicht von einer Rechtmäßigkeit ausgehen", so sein Fazit im Gespräch mit Democracy Now.
Auch Jonathan Manes, der ACLU-Anwalt ist nicht überzeugt:
"Er hat nicht erklärt, ob die Regierung einen Unterschied sieht zwischen gezielten Tötungen in Kriegsgebieten wie Irak oder Afghanistan oder Tausende von Kilometern entfernt, im Jemen zum Beispiel. Er hat auch nichts zu den Kriterien für die Auswahl von Todeskandidaten gesagt."
Doch wie sehr alte Gewissheiten und damit rechtliche Grundlagen wanken, verdeutlicht Professor Gary Solis an dieser Kritik. "Kriegsgebiet, was heißt das heute", fragt er am Beispiel von Pakistan, "das kann niemand beantworten."
Peter Singer, der Drohnen-Experte von Brookings in Washington, hält die Rechtsunsicherheiten nicht für überraschend:
"Die relevanten Gesetze stammen zumeist aus den späten 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Im Jahr der Genfer Konvention, nur als Vergleich, wurde der moderne Schallplattenspieler erfunden. Bestimmungen aus jener Zeit können kaum mit der aktuellen technologischen Entwicklung Schritt halten."
Den Kritikern der Regierung reicht das alles nicht. Sie wollen größere Transparenz, vor allem mit Blick auf die CIA in Pakistan. Nach einem Gespräch mit John Rizzo, CIA-Chefjustitiar von 2003 bis 2009, berichtete das Magazin Newsweek vor zwei Wochen über Einzelheiten des Verfahrens innerhalb der CIA. Demnach wird die Entscheidung über tödliche Gewalt gegen mutmaßliche Terroristen durch Anwälte, etwa zehn an der Zahl, innerhalb des Geheimdienstes getroffen. In einer Art Dossier, bis zu fünf Seiten lang, werden die Vorwürfe gegen Verdächtige zusammengetragen und den Anwälten vorgelegt. Die Zusammenfassung ende mit dem Satz: Deshalb beantragen wir die Genehmigung für gezielte tödliche Gewalt.
Für eben diesen Zweck erscheinen Drohnen ideal. Sie ermöglichen die Beobachtung und Verfolgung von Individuen, die Auswahl eines günstigen Moments, um Kollateralschäden möglichst zu vermeiden. Wie hier in einer PBS Fernsehdokumentation geschildert. Ein Verdächtiger auf einem Motorrad wurde aus mehreren Kilometern Höhe stundenlang überwacht, die Drohne folgte ihm von seinem Haus, zu einem Fußballplatz, zu einem Treffen mit anderen mutmaßlichen Kämpfern. Dort wurde zugeschlagen.
So beeindruckend die technischen Leistungen, Zweifel an der Effektivität dieser Art von Kriegsführung wachsen. Selbst vor dem Hintergrund der ungenauen Datenlage scheint klar: Immer häufiger trifft es bestenfalls Kämpfer der unteren und mittleren Ebene. Einer Analyse der New America Foundation zufolge sind im vergangenen Jahr mindestens 581 militante Kämpfer durch CIA-Drohnen in Pakistan getötet worden. Nur zwei dieser Opfer standen demnach auf einer US-Liste der meistgesuchten Terroristen. Durch insgesamt 33 Angriffe 2008 wurden angeblich zehn immerhin ranghohe Anführer getötet, 2010 waren es bei 118 Angriffen 12, zwei mehr.
Die Washington Post veranschlagt die Kosten eines Drohnen-Angriffs mit über einer Million Dollar. Die politischen Kosten sind weit schwerer zu kalkulieren. Die Schätzungen zu zivilen Opfern durch Drohnen in Pakistan schwanken erheblich, in jedem Fall taugt der Tod Unschuldiger für anti-amerikanische Propaganda in einem Krieg, in dem es angeblich auch darum geht, Herzen und Köpfe der Bevölkerung vor Ort zu gewinnen. Die seiner Meinung nach unsichere Rechtsposition der amerikanischen Regierung gehört nach Meinung von Philip Alston ebenfalls zu den politischen Kosten, er verweist angesichts der neuen technischen Möglichkeiten auf den Präzedenzcharakter der US-Perspektive hin:
"Die Rechtsauffassung der Amerikaner kommt Russland, China oder anderen Ländern möglicherweise bald sehr gelegen. Sie können auf Washington verweisen und Terroristen und andere wo immer angreifen. Das ist sehr problematisch."
Ein Szenario für die möglicherweise nicht mehr so ferne Zukunft. Über 40 Länder verfügen inzwischen über Drohnentechnologie. Auch wenn die Drohnenlenker auf heimischem Boden stationiert sind, von einem zukünftig risikolosen Krieg will Professor Gary Solis nichts wissen: "Bald werden unsere Feinde Drohnen besitzen und sie über den USA einsetzen."
Bis es soweit ist, erscheint der Drohneneinsatz für Politiker vergleichsweise einfach. Eine Drohne garantiert keinen Erfolg, doch sie ersetzt an der Front ein gefürchtetes Kondolenzschreiben an Eltern gefallener Soldaten. Wird die Entscheidung für Krieg dadurch leichter? Peter Singer vom Think Tank Brookings hält es für möglich:
"Wir halten doch die Demokratie als Staatsform auch deshalb für überlegen, weil die Gesellschaft als Kontrollinstanz auf dem Weg in einen Krieg dient. Was geschieht, wenn die Öffentlichkeit nicht mehr beteiligt ist, ja wenn es die Technologie erlaubt, die Öffentlichkeit gar nicht mehr zu fragen?"