Perchlorat in Lebensmitteln

Unkrautkiller aus dem All

Paprika, Spinat, Mangold, Zwiebel, Möhren, Porree und Brokkoli liegen in einem Supermarkt.
Woher kommt das Perchlorat im Gemüse? © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Eine Kolumne von Udo Pollmer |
In Kräutern, Blattgemüse oder Brokkoli lässt sich Perchlorat nachweisen. Aber woher kommt der Unkrautkiller, der längst verboten wurde? Bei ihren Forschungen stießen Wissenschaftler auf ein bislang unterschätze Pestizidquelle.
Ein Pestizid, von dem man annahm, es sei aus den ökologischen Kreisläufen längst entschwunden, ist einfach nicht kleinzukriegen. In schöner Regelmäßigkeit finden die Chemiker beachtliche Rückstände. Belastet sind hauptsächlich Kräuter, grünes Blattgemüse, Brokkoli, aber selbst Pudding kann betroffen sein. Für Kampagnen taugt das Pflanzenschutzmittel weniger, weil sich diesmal kein bekannter Hersteller ans Kreuz nageln lässt.
Es geht um den Unkrautkiller Perchlorat, der bereits vor einem Jahrzehnt verboten wurde. Irritierend ist, dass die zulässigen Höchstmengen recht hoch angesetzt sind, bei Treibhaus-Rucola sogar hundertmal höher als bei anderen verbotenen Mitteln. Und das bei einem Pestizid, das bis in die Muttermilch gelangt. Nach einer Bewertung durch österreichische Fachbehörden sind die Grenzwerte viel zu hoch angesetzt. Bei häufigem Gemüseverzehr befürchten sie Nebenwirkungen auf die Schilddrüse.
Perchlorat kann nicht nur durch eine Ausbringung auf dem Feld ins Gemüse geraten, sondern auch über Düngemittel, die damit verunreinigt sind. Als weitere Quelle gilt eine Desinfektion von Blattsalaten und Kräutern mit chlorhaltigem Wasser. Dies ist allerdings bei uns nicht erlaubt. Der mit Abstand wichtigste Einsatzzweck ist jedoch ein militärischer: Perchlorat dient als Treibstoff für Raketen. Dabei geht natürlich einiges verschütt und gerät in die Umwelt. Damit und mit den Folgen der Kernwaffentests erklärten die Amerikaner bisher ihre Rückstände in Gewässern.

Perchlorat entsteht im Sonnensystem

Lange Zeit ging die Fachwelt davon aus, dass wir Belastungen gewöhnlich menschlichen Aktivitäten verdanken. Nun aber rücken natürliche Quellen in den Focus der Forschung. Perchlorate werden durch Blitze in der Atmosphäre gebildet, womit das verbreitete Vorkommen im Wasser sinnvoller erklärt wäre. Doch nun wurde eine gigantische Pestizidquelle entdeckt: das Universum. Perchlorat entsteht im Sonnensystem und wie es scheint auf dem gleichen chemischen Weg wie in der Atmosphäre: aus dem allgegenwärtigen Chlor und Ozon. Die Isotopenmuster sind identisch.
Der Marsboden ist satt mit dem Raketentreibstoff und Pestizid verunreinigt. Daneben fanden sich zu allem Überfluss auch noch Chlorkohlenwasserstoffe, die auf der Erde verboten sind. Wer Schadstoffe grundsätzlich für "menschengemacht" hält, darf jetzt die kleinen grünen Männchen verdächtigen, das Gift heimlich in einem der Marskrater zusammengerührt zu haben. Als Treibstoff für ihre fliegenden Untertassen. Als sie abgehauen sind, haben sie ihren Giftmüll einfach liegen lassen.
Vielleicht rühren daher auch die polycyclischen Kohlenwasserstoffe, die auf Erden als krebserregend eingestuft werden, aber ungeniert überall im All herumschwirren. Eigentlich entstehen sie ja in Verbrennungsmotoren. Diesel und Erdgas gäbe es im Universum genug. Neben gewaltigen Mengen an klimaschädlichem Methan wabert reichlich Erdöl durch die endlosen Weiten des Pferdekopfnebels. Wie diese sogenannten "fossilen Brennstoffe" wohl dahin geraten sind?

Müllhalde Universum

Der Himmel hängt nicht nur voller Geigen, Gift und Gas, sondern lockt auch mit Süßem. In Meteoriten findet sich ein breites Sortiment an Zuckerstoffen. Es sind zwar nur Spuren, aber rechnet man dies aufs Weltall um, dann dürften bereits die Zuckervorräte, die in der Milch(!)straße ungenutzt herumdümpeln, grenzenlos sein.
Ohne Sinn für die fernen Verlockungen, entsenden wir dagegen unseren Schrott ins All: Im irdischen Orbit fliegen kaputte Satelliten, Werkzeugtaschen, sogar ein Astronauten-Handschuh herum, – tausende Tonnen. Bald ist das Universum randvoll mit menschlichen Hinterlassenschaften. So schnell kann‘s gehen.
So bleibt nur die tröstende Einsicht Albert Einsteins: "Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher." Mahlzeit!

Literatur:
Wolheim A et al: Neu entdeckt: Kontamination von pflanzlichen Lebensmitteln mit Perchlorat. CVUA Stuttgart, 20. Juni 2013
Vejdovszky K et al: Risk Assessment of dietary exposure to perchlorate for the Austrian population. Food Additives & Contaminants Part A Chem Anal Control Expo Risk Assessment. 2018 Jan 11. /epub ahead of print
Jackson WA et al: Heterogeneous production of perchlorate and chlorate by ozone oxidation of chloride: Implications on the source of (per)chlorate in the solar system. ACS Earth Space Chemistry, Dec. 2017, epub ahead of print
McMullen J et al: Identifying subpopulations vulnerable to the thyroid-blocking effects of perchlorate and thiocyanate. Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 2017; 102: 2637-2645
Zhang T et al: Placental transfer of and infantile exposure to perchlorate. Chemosphere 2016; 144: 948-954
Jackson AW et al: Widespread occurrence of (per)chlorate in the Solar System. Earth and Planetary Science Letters 2015; 430: 470-476
Paghosyan A et al: Perchlorate in the Great Lakes: isotopic composition and origin. Environmental Science & Technology 2014; 48: 11146-11153
Cooper C, Riosa AC: Enantiomer excesses of rare and common sugar derivatives in carbonaceous meteorites. Proc Natl Acad Sci 2016; 113: E3322–E3331
Fuchs GW: Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe im All. Kreislauf eines kosmischen Überlebenskünstlers. Physik in unserer Zeit 2009; 40: 290-295
Wadsworth J, Cockell CS: Perchloratees on Mars enhance the bacteriocidal effects of UV light. Scientific Reports 2017; 7: e4662
Galvin DP et al: Evidence for perchlorates and the origin of chlorinated hydrocarbons detected by SAM at the Rocknest aeolian deposit in Gale Crater. Jornal of Geophysical Research: Planets 2103; 118: 1955–1973
LAVES: Chlorat und Perchlorat in Lebensmitteln. 9.2. 2016
Seidler C: Die kosmische Müllkippe. Spiegel Online 22. April 2017
Anon: Kosmische Raffinerie im Pferdekopfnebel. Handelsblatt Online 25. Nov. 2011
Кропоткин ПН: Дегазация Земли и происхождение углеводородов. Бюллетень Московского общества испытателей природы. Отдел геологический 1985; 60 (Вып. 6): 3-18
Gould T: The Deep Hot Biosphere – the Myth of Fossil Fuels. Springer, New York 2001
Mehr zum Thema