Frischer Wind für den Tango
Hat die spanisch-argentinische Band Otros Aires den perfekten Tango kreiert - wie der Titel ihres neuen Albums nahelegt? So ist er nicht gemeint, sagt ein Mitglied der Gruppe. Der Zukunft des argentinischen Tango sind die Stücke aber in jedem Fall zuträglich.
Der Name der Band Otros Aires ist ein Wortspiel. In Anlehnung an Buenos Aires, also die guten Winde, wie die argentinische Hauptstadt in der Übersetzung heißt, nennen sich Miguel di Genova und seine Musiker Otros Aires "die anderen Winde" – aber man kann darunter auch "das andere Buenos Aires" verstehen. Denn die Gruppe vermischt seit 13 Jahren die typische Musik der Stadt, den Tango, mit anderen Musikstilen wie Pop oder Jazz und baut hier einen Rap ein, dort Samples berühmter Tangostücke. Dass er das fünfte Album jetzt "Perfect Tango" nannte, sei ironisch gemeint, erklärt di Genova.
"Denn dieses Album ist wahrscheinlich von all unseren Platten am weitesten vom Tango entfernt. Der Titel ist fast eine Provokation. Er spiegelt den Kampf wider, in dem der Tango steckt. Einerseits kann er sich mit Hilfe anderer Musikstile weiterentwickeln, andererseits sollte er aber seine Identität wahren."
Seiner Definition dessen, was der perfekte Tango ist, werden sicher nicht alle Kollegen aus diesem Genre zustimmen. Seine spielerische und kreative Herangehensweise verschreckt die Traditionalisten unter den Tango-Anhängern eher.
"Der perfekte Tango versteht die Gefühle der Menschen von Buenos Aires und gibt sie wieder – aber mit den Mitteln und der Sprache von heute. Es ist viel einfacher, Tango mit den Instrumenten, den Rhythmen und der Sprache des 20. Jahrhunderts zu schaffen. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass er dann gut klingt. Einen Tango nach dem 21. Jahrhundert klingen zu lassen ist viel schwieriger, weil diese Form immer noch in der Entwicklung steckt."
Otros Aires gehören zu den prominentesten Repräsentanten des Electrotango. Sie sind eine verlässliche Größe in der Szene.
"Die Entwicklung des Electrotango hat - wie alle Entwicklungen – ihre Höhen und Tiefen. Mal geht es voran, dann stagniert es oder geht sogar einen kleinen Schritt zurück. Eine Zeit lang gab es einen Stillstand. Zu viele der Bands, die Electrotango spielten, taten das nur, weil sie damit Geld verdienen wollten. Die Bands, die ihn wirklich mit Leidenschaft spielten, Bands wie Narcotango, Tanghetto, Otros Aires oder Ultratango sind dabei geblieben. Uns ist es egal, ob er angesagt ist oder nicht."
Schwierige Situation für Künstler
Dabei stehen die Zeichen nicht gut. Seit Mauricio Macri als argentinischer Regierungschef vor einem Jahr Cristina Kirchner abgelöst hat und seine Lobbypolitik durchzieht, geht es nur der absoluten Oberschicht besser. Und weitere fünf Millionen Argentinier sind unter die Armutsgrenze gerutscht. Daraus ergibt sich auch für das Gros der Künstler eine schwierige Situation. Für sein Genre wird es eng, meint di Genova.
"Zwar kann sich eine politische oder eine Wirtschaftskrise durchaus anregend auf die Kreativität auswirken. Zum Beispiel dadurch, dass man gezwungenermaßen mit Altbewährtem bricht. Aber in diesem Fall bin ich mir nicht sicher. Ich mache mir Sorgen, weil sich die neue Regierung in ihren Strategien vom Marktrausch lenken lässt. Macri und seine Leute haben keinerlei Interesse daran, das Land kulturell zu stärken und zum Beispiel die Entwicklung des Tango zu unterstützen. Mit dem traditionellen Tango lassen sich seit Jahren gute Geschäfte machen, weil er Touristen anzieht. Das muss reichen. Aber nicht mal dafür gibt es Förderung."
Als Verbeugung vor ihrem großen Vorbild Astor Piazzolla nahm die argentinische Band eine eigene Version seines Stücks "I've Seen That Face Before – Libertango" auf. Es war in den 80er-Jahren in allen Discos von Buenos Aires gelaufen.
"Piazzolla hatte das Problem, dass man zu seiner Musik nicht sehr gut tanzen kann. Bei vielen seiner Lieder war das Tempo viel zu schnell. Wir wollten dieses Stück für die Tanzflächen zugänglich machen."
Inspiration aus den Milongas von Buenos Aires
Im Song "Digital Ego" arbeiten Otros Aires – wie der Titel erwarten lässt - mit Verfremdungseffekten. Die Idee zum Text kam di Genova, als er das Buch "Digital Ego" des niederländischen Kommunikationswissenschaftlers Jacob Van Kokswijk las.
"Es geht in seinem Buch um virtuelle Identitäten und wie wir im sozialen Netz digitales Persönlichkeiten entwickeln können. Das kann eine Identität sein, die uns ähnlich ist, aber auch eine, die sich sehr von unserer unterscheidet. Zum Beispiel, wenn wir jemand anderen beschimpfen wollen. In diesem Song beschäftige ich mich mit dem Tanz dieser Identitäten. Wobei das Wort Tanz bei uns mehrdeutig ist. Es kann sich auch auf Probleme beziehen. Ich sage hier: Das Leben ist ein großer Tanz. In diesem Fall geht es aber nicht ums Tanzen."
Der 50-jährige di Genova findet seine Inspiration, indem er den Tangotänzern in den Milongas von Buenos Aires zusieht und zuhört. Er nennt das anthropologische Forschung. Früher hat er ausgiebig Samples verwendet. Diesmal gibt es nur in "Perro Viejo" ein Sample zu hören. Es stammt von Juan D'Arienzos Orchesta Típica.
"In 'Perro Viejo' geht es um einen Hund oder einen Mann. Oder beides. Auf Spanisch verwendet man gern den Begriff alter Hund für jemanden, der viel Erfahrung hat. 'Perro Viejo' bezieht sich aber auch auf einen Hund, der meinem Bruder gehörte. Er verhielt sich wie ein Mensch, und er hieß Tango. Der Text ist also zweideutig. Es kann ein Hund sein, der einem Menschen ähnelt oder ein Mensch, der an einen alten Hund erinnert."
Solange ideenreiche Bands wie Otros Aires durchalten, sieht es für die Zukunft des argentinischen Tangos gar nicht schlecht aus. Dieses Album beweist, dass der Tango viele Facetten haben kann, wenn man nur nach ihnen sucht und bereit ist, Tabus zu brechen. Otros Aires halten das Genre des Electrotango am Leben.