Perfekt tanzen mit Elektroschocks

Von Gerd Brendel |
In seinen Arbeiten setzt sich Choy Ka Fai immer wieder mit digitalen Welten und analoger Realität auseinander. Beim Festival "Tanz im August" lässt er einer Tänzerin Solo-Partien berühmter Choreografen nachtanzen - mithilfe von Elektroschocks.
Im Probenraum in Berlin-Kreuzberg klebt Choy Ka Fai Pflaster mit Elektroden um meinen Unter- und Oberarm. Mit Kabeln sind sie mit seinem Laptop verbunden und einem Trafo, der Stromstöße in die Elektroden schickt. "Locker lassen" sagt der Künstler, bevor die Stromfrequenz erhöht. Ein unangenehmes Kribbeln - und mein Arm schnellt in die Höhe.

In der Medizin dient die Technik dazu, Muskeln von Schlaganfall-Patienten zu stimulieren. Choy Ka Fai, Performance- und Video-Künstler aus Singapur benutzt die Elektroden, um Tänzer berühmte Choreographien nachtanzen zu lassen. Das zumindest ist das Versprechen seiner Lecture Performance "Dance Fiction". Auf der Leinwand sieht man zum Beispiel Pina Bauschs Solo aus Café Müller. Ihre Bewegungen hat Choy mit Hilfe eines aufwändigen Computerprogramms in elektronische Impulse übersetzt, die er live an eine verkabelte Tänzerin weiterleitet. Sind Menschen für Choy also nur Maschinen?

"Ja, eine Art weiche Maschine. Mir ging es nur um die physische Bewegung, ohne Charisma oder Seele. Das Experiment wirft viele Fragen auf. Vor allem: Können wir eine Bewegung wirklich genau wiederholen?"

Aber Choy Ka Fai geht es nicht darum, computergesteuerte Menschenroboter zu erfinden, sondern um die Weitergabe der Tradition.

Werden Computer und Videoprojektionen in Zukunft die realen Personen auf der Bühne ersetzen? Auf jeden Fall half die Technologie Choy Ka Fai dabei, seinen Platz abseits des Rampenlichts zu finden.

"Ich hab als Performance-Künstler angefangen, aber ich habe immer gesagt, dass ich kein guter Performer bin."

Später beim Essen in einem asiatischen Restaurant ein paar Ecken weiter wird er deutlicher:

"So wie ich aussehe, käme niemand auf die Idee, dass ich was mit Tanz zu tun habe."
Dem untersetzten Künstler in T-Shirt und Jeans, nimmt man sofort ab, dass er wie fast alle seine Landsleute gerne und gut isst. Für die Bewohner des Inselstaates ein Teil der nationalen Identität: Was noch zu dieser Identität gehört? Alles und Nichts:

"Ich sehe aus wie ein Chinese, aber ich bin kein Chinese, ich bin Singapurer. Der Unterschied ist der, dass wir unseren Nachbarn Indonesiern oder Philippinen viel näher stehen als Menschen in China. Singapur ist ein Schmelztiegel, und das Gute daran ist, dass ich kein kulturelles Gepäck aus der Vergangenheit mit mir herumtragen muss."

Die meisten "Singaporeans" haben ihre Wurzeln anderswo. Choys Großeltern zum Beispiel sind noch in China geboren. Sein Vater, der schon in Singapur zur Welt kam, machte als Verwaltungsbeamter eine bescheidene Karriere. Für Kunst war nur am Feierabend Zeit:

"Meine Eltern sind verhinderte Künstler, mein Vater hat früher viel chinesische Kalligrafie gemacht und meine Mutter singt sehr viel. Aber auf die Kunsthochschule haben sie mich nur gelassen, weil ich ihnen erzählt habe, dass ich Videokunst studiere, um später in einer Werbeagentur zu arbeiten. Und bis auf den heutigen Tag fragen sie mich, wann ich denn endlich eine vernünftige Arbeit machen wolle."

Dabei hat es Choy Ka Fai mit Anfang 30 weit gebracht. Ein Stipendium ermöglichte ihm das Weiterstudium am Royal College of Art in London. Er hat zahlreiche internationale Preise gewonnen. Neben seinen Arbeiten zum Thema digitales Bewegungsgedächtnis, spürt er mit seinen Video-Performances immer wieder vergessene Kapitel aus der Historie Singapurs auf: wie die Geschichte eines Shinto-Schreins aus der Zeit japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Mittlerweile allerdings lebt er die Hälfte des Jahres in London.

"Singapur ist so klein, es erstickt mich."

Das mag auch an der direkten und der indirekten Zensur in seiner Heimat liegen: Öffentliche Kunstförderung existiert zwar in Singapur, aber sie hat ihren Preis:
"Wer schwul-lesbische Themen behandelt oder die Regierungspartei kritisiert, verliert sofort jegliche Art von Förderung und wird mundtot gemacht."

Elektronische Daten werden in Singapur wie überall von den Behörden zu Kontrollzwecken gesammelt. Dass Choy Ka Fai in seiner "lecture performance" digitale Informationen nutzt, um die Kunst etwa einer Pina Bausch zu bewahren, kann man als subtilen Kommentar zu den Überwachungsmethoden in seiner Heimat und überall auf der Welt verstehen.
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