Perfektionismus im Job

Wenn der eigene Ehrgeiz zum Verhängnis wird

Eine Illustration eines Frauenkopfes, der in viele kleine Stücke zu zerfallen scheint.
Etwa 65 Prozent der Erwerbstätigen leiden unter eigenem Leistungsdruck, wie eine Forsa-Umfrage zeigt. Das kann zu psychischen Problemen wie einem Burnout führen. © picture alliance / Westend61 / Gary Waters
Arbeiten bis zur Erschöpfung: Viele Menschen leiden im Job unter massivem Stress, oft durch die eigenen, zu hohen Ansprüche. Woher kommt der Drang, perfekt zu sein? Wann wird Perfektionismus krankhaft? Und wie kann man ihm entkommen?
Stress im Job ist an sich nichts Ungewöhnliches. Doch was passiert, wenn die Belastung dauerhaft anhält und man sich bis zur völligen Erschöpfung verausgabt?
Eine aktuelle Forsa-Umfrage zeigt, dass immer mehr Menschen in Deutschland genau das erleben: Sie fühlen sich durch die Arbeit stark gestresst. Rund 65 Prozent der Erwerbstätigen leiden unter dem selbstgemachten Leistungsdruck. Sie hetzen ihren eigenen, oft viel zu hohen Ansprüchen hinterher. Bei jedem Vierten bleibt dies nicht ohne Folgen – der Perfektionismus kann sogar zu ernsthaften psychischen Problemen führen.

Was ist Perfektionismus?

Perfektionisten arbeiten sehr genau, sind ehrgeizig und stecken sich hohe Ziele. Laut der Psychologin Elisabeth Prestele haben Perfektionisten oft überzogene Erwartungen an ihr sogenanntes Ideal-Selbst, also das Bild, das sie von ihrer eigenen perfekten Version im Kopf haben.
Viele Perfektionisten richten den Blick nur auf sich selbst und können kaum mit eigenen Fehlern umgehen. Andere wiederum erwarten auch von ihrem Umfeld, von Freunden, der Familie oder Kollegen, perfekt zu sein, sagt Prestele.
Die Infografik der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) zeigt, dass 86 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland sich im Job gestresst fühlen. Der häufigste Grund ist der eigene Anspruch, Aufgaben perfekt zu erledigen.
Eine im Juli 2024 veröffentlichte Umfrage der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) zeigt, dass 86 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland unter Stress im Job leiden. Der Hauptgrund dafür ist der eigene Anspruch, Aufgaben perfekt zu erledigen.© dpa-infografik GmbH / dpa-infografik GmbH
Der Arbeitspsychologe Christian Dormann beschreibt Perfektionismus als ein „relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal“. Menschen, die perfektionistisch sind, zeigen dieses Verhalten also konstant. Besonders in unsicheren Situationen tendieren sie dazu, noch stärker nach Perfektion zu streben, da sie Angst haben, Fehler zu machen oder Erwartungen anderer nicht zu erfüllen. Obwohl Perfektionismus in der Psychologie zunehmend Thema ist, gibt es bislang nur wenige Studien zu dem Thema.

Woher kommt Perfektionismus?

Perfektionismus hat verschiedene Ursachen. Eine oft unterschätzte Rolle spielt laut der Psychologin Elisabeth Prestele unter anderem die genetische Veranlagung. Aber auch die Erziehung kann großen Einfluss haben, besonders, wenn Eltern hohe Erwartungen an die schulischen Leistungen und den Erfolg ihrer Kinder stellen. Manche Eltern verlangen von ihren Kindern sogar mehr, als sie selbst erreicht haben.
Gerade in einem unberechenbaren Umfeld neigen Menschen laut Prestele eher dazu, Perfektionismus als Mittel zu nutzen, um Kontrolle zu erlangen, zum Beispiel, wenn die familiären Verhältnisse schwierig sind. Und auch soziale Medien spielen eine Rolle, so Prestele: Die ständige Konfrontation mit idealisierten Bildern und Lebensstilen erhöhe den Druck, selbst perfekt zu sein.
Der Arbeitspsychologe Christian Dormann sieht mehr Wettbewerbsdruck und eine unsichere Arbeitswelt als weitere Gründe für Perfektionismus. Besonders im Homeoffice, wo klare Anweisungen und direkte Rückmeldungen oft fehlen, steigt dann auch die persönliche Unsicherheit.

Ab wann macht Perfektionismus krank?

Eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse KKH zeigt, dass Perfektionismus einer der größten Stressfaktoren im Job ist – besonders bei Frauen. Viele stehen unter dem Druck, sowohl als Mutter als auch im Beruf perfekt zu sein. Diese hohen Erwartungen führen zu Stress. Perfektionismus erhöht laut der Studie das Risiko für psychische Erkrankungen.
Doch nicht jeder Perfektionismus macht automatisch krank. Man kann zwischen gesundem und ungesundem Perfektionsdrang unterscheiden.
Menschen mit einem gesunden Perfektionsdrang sind ehrgeizig und verfolgen ihre Ziele. Dabei können hohe Ziele durchaus motivierend sein, erklärt der Arbeitspsychologe Christian Dormann. Bei kurzfristigen Zielen könnten Personen mit hohem Perfektionismus auch leistungsstärker als Kolleginnen oder Kollegen sein, die schneller zufrieden sind. Doch bei unrealistischen oder langfristigen Zielen kehrt sich der Effekt um: Dann drohen psychische Probleme wie Burnout und Ängste.
Ein Anzeichen dafür, dass Perfektionismus ins Negative kippt, sei eine ständige innere Alarmbereitschaft, erklärt Daniela Elsner, Dozentin für Coaching an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz: „Wenn ich mir nicht mehr erlaube, Fehler zu machen, wenn ich immer Angst davor habe, dass es eben nicht perfekt wird.“

Wie können Arbeitgeber perfektionistischen Mitarbeitern helfen?

In unserer Gesellschaft wird das Streben nach hohen Leistungen weiterhin sehr geschätzt, betont die Psychologin Elisabeth Prestele. Perfektionismus werde selten als Schwäche angesehen. "Tatsächlich ist es aber so, dass er uns aufhält", sagt Prestele.
Perfektionisten brauchen häufig mehr Zeit für ihre Aufgaben - und ihr Drang nach Perfektion kann auch zwischenmenschliche Konflikte verursachen. Diese negativen Folgen und der Anstieg psychischer Belastungen sollten Arbeitgeber motivieren, ihre Mitarbeitenden zu unterstützen, betont die Psychologin.
Ein erster Schritt wäre, eine andere Fehlerkultur im Unternehmen zu etablieren, erklärt Prestele. In den USA werde immer öfter nach dem Motto „fail better“ gearbeitet, das einen positiven Umgang mit Fehlern fördert. Auch in Deutschland entwickelt sich dieser Ansatz langsam.
Vorgesetzte sollten außerdem versuchen, mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen realistische Ziele in einem klaren Zeitrahmen zu formulieren, sagt der Arbeitspsychologe Christian Dormann. Das helfe Perfektionisten, nicht ständig Dinge aufzuschieben - eine häufige Begleiterscheinung bei Personen mit hohem Perfektionismus.
Immer mehr Unternehmen setzen bereits auf externe Beratungsangebote, um konkrete Belastungen im Arbeitsalltag zu erkennen, berichtet die Gesundheitswissenschaftlerin Reinhild Fürstenberg. „Da geht es oft darum, mit den Teams an ganz konkreten Situationen im Arbeitsalltag zu arbeiten.“ Vor allem Vertrauen sei im Team wichtig, um Druck gemeinsam zu bewältigen.

Wie entkommt man selbst der Perfektionismusfalle?

Menschen mit einem hohen Ausmaß an Perfektionismus tendieren laut dem Arbeitspsychologen Christian Dormann dazu, sich sozial zu isolieren oder isoliert zu werden. Diese Isolation sei oft mit sozialer Ängstlichkeit verbunden, was es für Betroffene erschwere, Unterstützung zu suchen. Trotzdem sei es immer sinnvoll, das Gespräch mit Vorgesetzten zu suchen, um die Arbeitssituation zu verbessern.
Wenn der Perfektionismus noch nicht stark ausgeprägt ist, empfiehlt die Psychologin Elisabeth Prestele, bewusst kleine Fehler im Alltag zuzulassen, um zu sehen, ob die befürchteten negativen Konsequenzen wirklich eintreten. Oft merke man dann, dass kleine Makel – wie etwa ein fehlendes Komma in einer E-Mail – kaum auffallen. Dies kann helfen, den übertriebenen Anspruch an die eigene Perfektion zu relativieren.
Ein weiterer hilfreicher Ansatz ist ein Perspektivwechsel: Nicht ständig auf Fehler achten, sondern sich auf Erfolge und positive Aspekte fokussieren. Doch wenn man merke, dass der Alltag stark durch den eigenen Perfektionismus beeinträchtigt sei, weil Selbstkritik und Angst ausgeprägt seien, sollte man sich professionelle Hilfe suchen, empfiehlt Prestele. Therapeutische Ansätze wie die kognitive Verhaltenstherapie können dabei helfen, überhöhte Ansprüche an sich selbst zu hinterfragen und den Umgang mit Fehlern zu verbessern.

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