Stimmtraining gegen Rechts
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Mit einer Stimmtrainerin das Stimmvolumen ausdehnen - wie das geht, zeigte die Romanautorin A.L.Kennedy bei einem Auftritt in der Berliner Akademie der Künste. Das angekündigte Thema "Sprechen in rechtspopulistischen Zeiten" blieb allerdings vage.
Nein, das langgezogene "Aaah", das in der Berliner Akademie der Künste erklingt, ist keine Gesangsprobe einer mäßig begabten Opernsängerin, sondern die schottische Starautorin A.L. Kennedy bei einer Performance. Und ums Singen ging es streng genommen bei ihrem Auftritt, der als Workshop angekündigt war, auch nicht. Das Format, bei dem sie im Dialog mit der Stimmtrainerin Ros Steen ihr Stimmvolumen auszudehnen versuchte und dabei oft ziemlich angestrengt aussah, war gewöhnungsbedürftig.
Umso erfrischender waren ihre Texte und die Idee, die dem Ganzen zugrunde lag. Denn vor 100 Jahren erlitt der Soldat Alfred Wolfsohn in den Schützengräben der Westfront ein akustisches Trauma, das ihn dazu brachte, sich zeit seines Lebens mit der Frage zu beschäftigen, warum die Stimmen der Sterbenden lebendiger waren als die der Lebenden. Seine therapeutische Arbeit am Stimmvolumen versuchte in die tiefsten Sphären der inneren Psyche vorzudringen.
Zehn Jahre Stimmarbeit
Das konnte man bei A.L. Kennedy live beobachten: Sie wollte mit einer Bühnenperformance von ungefähr einer Stunde eine Tour machen und hatte Angst um ihre Stimme, erinnert sich Kennedy:
"Da bekam ich den Tipp, mit Ros Steen zusammenzuarbeiten. Es gibt ja deine Stimme auf dem Papier und die Stimme im Kopf, oder auch die Stimme, mit der ich dann spreche. Und die haben alle verschiedene Farben. Als Schriftstellerin ist man ziemlich kopflastig, so als bestünden wir nur aus einem Gehirn und dabei vergessen wir schnell, dass da ja auch noch ein Körper ist, der das Schreiben unterstützt. Und das finde ich am spannendsten."
A.L. Kennedy schreibt nicht nur Romane und Kinderbücher, sie lehrt auch kreatives Schreiben an der Warwick University und tritt regelmäßig als Stand-up-Comedian auf. Seit zehn Jahren arbeitet sie mit Ros Steen an ihrer Stimme:
"Ich hab ja so einige Stimmtrainings hinter mir, denn schon als Kind war ich schüchtern, schmalschulterig und bekam beim Sprechen kaum die Zähne auseinander." Nicht umsonst sei sie Schriftstellerin geworden, raunt Kennedy, da müsse man sich diesen Ängsten nicht stellen, sondern könne sich einschließen "und den Text für sich sprechen lassen".
Ausatmen ist das Wichtigste
Dass sie ihre Ängste anscheinend ziemlich gut therapiert hat, stellt Kennedy unter Beweis, als sie einen eigens für den Abend geschriebenen Text auf Deutsch vorträgt.
Es sei ein bisschen wie das Stimmen einer Violine, bei der die Violine und der Musiker keine Verbindung zueinander haben, beschreibt Ros Steen ihre Methode, mit der sie seit 30 Jahren arbeitet.
Ein tiefes Ausatmen. So wird sich einmal ihr letzter Atemzug anhören, beschreibt es Kennedy später:
"Manchmal ist dieses Ausatmen spirituell, manchmal metaphorisch und manchmal bedeutet es nur: Wie schön, jetzt brauche ich eine Woche lang nicht nachzudenken. Nur ein- und ausatmen. Daraus entstehen dann wieder Texte oder Bücher bei mir. Ausatmen ist bei uns im Vereinigten Königreich das Wichtigste dieser Tage. Wir sind schon ganz krank davon, die ganze Zeit den Atem anzuhalten, wohlwissend, dass es immer schlimmer wird."
Zwischen den Zeilen lesen
Man musste an diesem Abend schon zwischen den Zeilen lesen können, um aus A.L. Kennedys Stimmworkshop die in der Einladung versprochenen performativen Fähigkeiten zu entwickeln, die ungeahnte politische Dimensionen verleihen. Auch in der angeschlossenen Diskussionsrunde wünschte man sich von allen Beteiligten mitunter klarere Bezüge zur Thematik "Sprechen in rechtspopulistischen Zeiten".
Immerhin benannte A.L. Kennedy, was passiert, wenn – wie im Vereinigten Königreich – eine kleine Gruppe politisch Mächtiger hörbar, die große Masse der Leute jedoch unhörbar bleibt.
Bleibt nur: tönen und ausatmen.
(abr)