"Zu isoliert, zu künstlerisch, zu literarisch"
Über 150 europäische Kulturinstitutionen haben ein von Ulrike Guérot und Robert Menasse verfasstes Manifest verkündet und symbolisch die "Europäische Republik" ausgerufen. Unsere Korrespondenten aus drei Städten ziehen eine ernüchternde Bilanz.
Zur Verkündung einer Republik gehöre natürlich, dass Flugblätter von Balkonen geworfen würden, sagt Ludger Fittkau launig aus Frankfurt am Main. Das habe man auch gemacht und die Leute auf der Straße hätten diese auch aufgelesen. "Es war schon eine 'echte' Situation. Man konnte sich erinnern an die Bilder von 1918 (als Scheidemann die Republik in Deutschland ausrief). Das war schon recht gelungen."
Republikanische Tradition in Frankfurt
Die Stadt Frankfurt inszeniere sich gerne in solch einer Tradition, meint Fittkau. Ab und zu könne man vom Oberbürgermeister hören, dass in Frankfurt die Republik, die Demokratie erfunden worden sei. "Da unterschlägt er halt mal kurz 2500 Jahre Demokratiegeschichte. Der Balkon heute war aber tatsächlich direkt neben der Paulskirche, das wurde in den Reden natürlich auch vermerkt. Frankfurt hat da ein Selbstbewusstsein, dass man zumindest hierzulande der Hort der Demokratie ist. Da passt es natürlich, dass der Oberbürgermeister selbst den Balkon aufgeschlossen hat, auf dem man sich versammelt hat."
Etwa 500 Personen seien da gewesen und das sei nicht erstaunlich, sagt Fittkau. "Seitdem 'Pulse of Europe' sich in Frankfurt gegründet hat, gibt es hier eine Tradition von Europa-Freunden. Und bei solchen Anlässen haben die einen Stamm von Leuten. Heute kamen ja auch noch viele vom Theater dazu. Für Frankfurt ist das angemessen und offenbar auch deutlich mehr als in vielen anderen Städten. Frankfurt ist da ganz schön weit vorne."
Desinteresse der britischen Medien
Aus London berichtet Marten Hahn, dass offizielle Performances in London, Bristol, Glasgow, Newcastle stattgefunden hätten. "Hier war das aber deutlich weniger inszeniert, obwohl es in London im Rahmen des Theaterfestivals 'Voila! Europe' stattfand. Die Veranstalter hatten in das Foyer eines Theaters geladen. Vor der Proklamation fand eine Podiumsdiskussion statt unter dem Titel 'Keep the Channel open'. Da ging es zuerst um die Bedeutung des 'Brexit' für den Kulturbetrieb. Erst danach hat Ray Cunningham, der Übersetzer des Buches 'Warum Europa eine Republik werden muss' von Ulrike Guérot, das Manifest verlesen. Das war aber eine relativ kleine Runde hier in London."
Ray Cunningham habe schon vor der Veranstaltung gesagt, dass das untergehen würde und dass niemand von der britischen Presse kommen würde. "Und das war dann auch so. In der britischen Medienlandschaft findet das kaum Erwähnung. Die wenigen Leute vor Ort, etwa 30 waren da, die waren sehr gemischt, Briten, Franzosen, Spanier, Polen, die haben danach noch debattiert. Und die sagten: Diese Krise, die wir gerade durchleben, das ist auch eine Chance. Auch der Moderator sagte: 'Never let a good crisis go to waste' (Eine gute Krise sollte man nie verschwenden). Eine polnische Teilnehmerin sagte dazu, sie betrachte sich als Europäerin und der Brexit habe ihr dabei geholfen dies zu artikulieren."
Fast keine Resonanz in Ungarn
In Ungarn habe es so gut wie keine Resonanz gegeben, sagt Wilhelm Droste aus Budapest. "Ich kann mir aber gut vorstellen, dass viele Ungarn in Wien dabei waren." Auf Facebook-Seiten habe es eine gewisse Aufmerksamkeit gegeben. "Aber hier im Land ist das Problem: Wir haben so elementare Probleme mit der Republik überhaupt, dass man an solch wunderbare Utopien nicht mal an Feiertagen glaubt. Es fehlen so viele selbstverständliche Grundlagen. Das Wort 'Republik' wurde 2012 aus der Verfassung gestrichen. Das Land heißt jetzt Ungarn und nicht mehr Republik Ungarn. Der Platz der Republik wurde umbenannt und heißt jetzt Johannes-Paul-II.-Platz. Hier ist praktisch nichts passiert."
Wenn ein Theater, das auf staatliche Unterstützung angewiesen sei, sich entschieden hätte bei dem Projekt mitzumachen, hätte es sich politisch in große Gefahr begeben und wäre sehr isoliert gewesen, vermutet Droste.
Erhebende Momente in Frankfurt
Das Engagement mit dem sich die Schauspieler in Frankfurt präsentiert hätten, und das in verschiedenen europäischen Sprachen, habe durchaus erhebendene Momente gehabt, sagt Fittkau. "Das Ganze ging ja nur zehn Minuten. Aber so wie sie es inzeniert haben und in dem Wissen sich in einer zutiefst europäischen Stadt wie Frankfurt zu befinden, in der viele Menschen für europäische Institutionen arbeiten, da konnte man schon spüren, dass Frankfurt wahrscheinlich die europäischste aller deutschen Städte ist."
Die Frankfurter Theaterstars hätten sich mit einer großen Ernsthaftigkeit eingemischt, sagt Fittkau, und glaubt, dass das zumindest in Frankfurt in den nächsten Monaten im Vorfeld der Europawahl weiter gehen wird. "Man will die Rückkehr zu den Nationalismen in Europa nicht akzeptieren."
In London dagegen gebe es wegen des Brexits gerade andere Probleme, sagt Marten Hahn. "Zu so einem großen utopischen Wurf fehlt hier gerade die Kraft. Hier muss erst der politische Alltag geordnet werden."
Der radikale Ansatz schießt möglicherweise über das Ziel hinaus
In Budapest sei die europäische Fahne ein sehr wichtiges Symbol, sagt Wilhelm Droste. "Ich glaube die Hälfte der Bevölkerung steht sehr dahinter. Das heute war aber eine zu isolierte, zu künstlerische, zu literarische Aktion um einen gemeinsamen Nenner herzustellen. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass das hier gescheitert ist. Wenn es zum Verfahren zur Überprüfung der Rechtstaatlichkeit in Ungarn ernsthafte europäische Zeichen gebe, dass das so nicht mehr weiter geht, dann wäre das ein Anlass, der viele Menschen auf die Straße treiben könnte."
Es sei vielleicht kein Zufall gewesen, dass sich niemand in Ungarn zu der heutigen Aktion habe motivieren lassen. Es wäre denkbar, dass die Menschen das nicht als Karikatur, als rein künstlerische Aktion in die Welt gesetzt haben wollten, weil dafür die Lage einfach zu ernst sei.
Die Verbindung von politischer Kultur zur Kulturszene müsse überall erstmal wachsen, sagt Fittkau. Auch in Frankfurt wäre die Resonanz ohne "Pulse of Europe" viel geringer ausgefallen. Marten Hahn: "Viele Menschen in Großbritannien wären glücklich, wenn sie in einem Europa mit Grenzen bleiben dürften. Der radikal-utopische Ansatz eines grenzenlosen Europa, der heute proklamiert wurde, mag da für viele über das Ziel hinaus geschossen sein."