Performance-Festival in Berlin

Späte Antworten auf die Kolonialisierung

Auf einem Militärstützpunkt in der deutschen Kolonie Kamerun wird von in Tropenanzüge gekleideten Männern eine Fahne gehisst (undatierte Aufnahme aus der Kolonialzeit). Von 1884 bis zum Ersten Weltkrieg war Kamerun eine deutsche Kolonie, dann wurde es 1916 unter Großbritannien und Frankreich aufgeteilt.
Thema im Hebbel am Ufer: die europäische Kolonialgeschichte. Hier ein Militärstützpunkt in der deutschen Kolonie Kamerun © picture-alliance / dpa
Von Gerd Brendel |
Vor 130 Jahren zogen die europäischen Großmächte die Grenzen ihrer Kolonien in Afrika mit dem Lineal. Das Berliner Hebbel am Ufer erinnert daran mit dem Performance-Festival "return to sender". Die Künstler kommen aus den ehemaligen Kolonien und haben Briefe an das Europa von heute mitgebracht.
130 Jahre ist es her. Da wurde auf der Berliner Konferenz die Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter den europäischen Großmächten besiegelt. In seiner Performance "2065 Bc" läßt der ägyptische Theatermacher Adham Hafez eine Art Superfrauen-Kollektiv zur Rettung der Welt tagen. In turmhohen Perücken verkünden sie eine gerechte Verteilung der Resourcen und nebenher die koloniale Aufteilung Europas im Namen der weiblichen Vernunft. Leider wirkt ihr Pathos so hölzern wie die Sonntagsreden auf einem UN-Gipfel der Gegenwart.
"2065 Bc" ist Teil des Performance- Festivals "Return to sender" . Es versammelt Künstler und Künstlerinnen aus den Weltgegenden, über deren Schicksal damals vor 130 Jahren in Berlin verhandelt wurde. Der Festival -Titel "Return to sender" - zurück an Absender - ist dabei ganz wörtlich zu verstehen. Festival-Kurator Ricardo Carmona:
"Wir haben das Festival mit unseren Partnern in Marokko, Ägypten, Äthiopien, Mosambik, Kongo und Südafrika zusammen gestellt. Uns war ihr Blickwinkel wichtig, und deswegen haben diese Künstler wiederum Kollegen zum Festival eingeladen."
Ratlos und enttäuscht
Die ausgewählten Künstler benannten nicht nur ihrerseits Festival-Teilnehmer. Sie wurden auch um Briefe gebeten, quasi als späte Antwort auf die Verträge und Marschbefehle, mit denen im 19. Jahrhundert die Europäer ihre Urgroßeltern zu stummen Befehlsempfängern degradierten. Der Südafrikaner Boyzie Cekwana hat seinen Brief an das Europa von heute adressiert. In der Vergangenheit hat Europa Geschichte gemacht, jetzt wird es Geschichte.
Auch Boyzie hat sich vom großen Polit-Theater einer Welt-Konferenz inspirieren lassen In der Performance: "Banana republics" inszeniert er zusammen mit der dänischen "Designforscherin" Nina Stöttrup Larsen Weltpolitik als Reality-TV-Show. Im leer geräumten Hebbel-Theater wird dazu der afrikanische Kontinent wortwörtlich in Stücke gesägt. Ein Performer spielt mit den Zuschauern "Reise nach Jerusalem". Dazu singt er immer wieder das Kinderlied von den "zehn kleinen Negerlein". Am Ende verlassen die Zuschauer den Raum ratlos und enttäuscht. Mehr als ein paar alberne Bilder sind dem Performance-Kollektiv zum Thema Ausbeutung und europäische Bevormundung nicht eingefallen.
Die marokkanische Choreographin Bouchra Ouizgen erkundet in ihrer Arbeit "Ha!" die kulturellen Wurzeln ihres Landes abseits von aus Europa importierten Theater-Vorstellungen, ohne dabei in die Folklore-Klischee Falle zu tappen. Schon vor zwei Jahren war sie mit ihrem Ensemble aus Aitas, traditionellen Nachtclub-Sängerinnen, zu Gast. Diesmal steht sie wieder mit den drei alten Damen auf der Bühne. Auf der stockdunklen Bühne hört man nur ihr rhythmisches Rufen. Es erinnert an die Rituale islamischer Mystiker und ihr "Lā ilāha" - "es gibt keinen Gott außer Allah".
Berliner Restaurant wird zum Nachtclub in Casablanca
Im Zwielicht erkennt man die weißen Kopftücher der Tänzerinnen , die sich immer schneller im Takt wiegen. Als die Lichter auf der Bühne angehen, lassen Bouchra und die Aitas erschöpft und hingebungsvoll die Hüften kreisen: Varieté-Choreographie trifft auf traditionelle Trance-Technik.
"Mich haben die Gedichte des Mystiker Rumi insperiert, genauso wie Popmusik oder Kino. Es geht um die Idee von Liebe",
sagt Bouchra Ouizgen. Ihre Performance spiegelt die Geschichte ihrer Kompagnie: Aitas tanzen auf der einen Seite auf traditionellen Hochzeiten, aber stehen auch für das zwielichtige Rotlichtmillieu. Sie leben am Rande der Gesellschaft. Ouizgen holt sie in die Scheinwerferwelt der Bühne. Und das marokkanische Publikum feiert sie dafür:
"Die Zuschauer erkennen vieles wieder, aber gleichzeitig sind sie erstaunt, so was auf der Bühne zu sehen. Aber vor allem sind sie es leid, immer wieder diese Karikatur von europäisch geprägter Moderne zu sehen, mit marokkanischen Tänzern die russisches Ballet tanzen."
Die Berliner teilen die Begeisterung. Nach der letzten Vorstellung geben die Aitias im Theaterrestaurant eine Zugabe: Ihre Version des Disco-Klassikers "Thats the way". Wie sagte Kurator Ricardo Carmona? Europa ist nicht mehr das Zentrum der Welt. Und an diesem Abend beim "return to sender"-Festival wird ein Restaurant in Berlin zu einem Nachtclub in Casablanca. Mindestens 130 Kusshände für die Postbotinnen aus Marokko.
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