Queere Ikone aus São Paulo
"Bixa Travesty“, ein Dokumentarfilm über die brasilianische Künstlerin Linn da Quebrada, gewann vor wenigen Wochen auf der Berlinale den Teddy Award. Seit mehreren Wochen ist die Rapperin in Europa unterwegs, ihr letztes Konzert fand in Berlin statt. Ein eindrucksvoller Auftritt.
Mit ernster Miene, den Blick nach vorn gerichtet, betritt Linn da Quebrada zusammen mit ihrer Performance-Partnerin Jup do Bairro die Bühne. In der einen Hand eine Schüssel, gefüllt mit einer weißen Flüssigkeit. In der anderen einen Dildo, mit dem sie in der Schüssel rührt.
Die Künstlerin bezeichnet sich selbst als "Gender-Terroristin" und unterläuft sowohl auf der Bühne, als auch abseits davon die traditionelle Geschlechterordnung. Im Hintergrund ein großer Bildschirm, auf dem die Videos zu ihren Songs laufen.
"Was ich thematisiere, entspricht nicht immer der Realität"
"Mir wurde nie die Möglichkeit gegeben, Musik zu machen oder überhaupt Kunst. Eine meiner Lehrerinnen sagte mir mal, dass wenn ich so weitermache, mit meinen starren, kompromisslosen, Gedanken, dann würde ich es nicht schaffen, künstlerisch zu arbeiten. Ich habe das aber schon längst gemacht. Was ich in meiner Musik thematisiere, entspricht nicht notwendigerweise immer der Realität, so wie sie ist, sondern auch einer Utopie, so wie ich es gern hätte, so wie ich darüber denken möchte."
Das Publikum ist genau deshalb von der als neue queere Ikone gefeierten Künstlerin aus São Paulo begeistert. Das letzte Konzert ihrer Europatournee, im Berliner Theater Ballhaus Naunynstraße, war schon Wochen vorher ausverkauft, die Restkarten begehrt. Auf ihre Fans kann Linn da Quebrada zählen, bei ihrem Abschlusskonzert sind sie textsicher.
"Afro Funk Vogue" nennt Linn Da Quebrada ihren Musikstil. Wobei mit Funk nicht die Musik gemeint ist, mit der James Brown bekannt wurde, sondern der Baile Funk oder Funk Carioca, der aus den Favelas Brasiliens stammt und dort mittlerweile zum Mainstream gehört.
Linn da Quebrada durchbricht das Klischee
Wie in fast allen Musikrichtungen ist auch der Baile Funk weitgehend männerzentriert. Linn da Quebrada durchbricht das Klischee und stellt Fragen.
"Was denkst du, welche Körper wichtiger sind als andere? Wir wissen, dass diese Körper eine Farbe, eine ganz bestimmte Position und Haltung haben: Sie ist sexistisch, weiß, reich, elitär."
Dieser Dominanz sagt sie den Kampf an.
Die Stimmung schlägt um
Vergangene Woche ist die Politikerin Marielle Franco erschossen wurden. Hingerichtet, heißt es auch in brasilianischen Medien, weil sie, eine schwarze, lesbische Frau aus der Favela, Polizeigewalt kritisiert hat. Im Publikum halten einige Schilder hoch, auf denen "Marielle presente", Marielle ist anwesend,steht.
Die Party-Stimmung schlägt beim Konzert mit einem Mal in eine Demonstrations-Atmosphäre um, Linn da Quebrada hält ein schwarzes Plastik-Megafon in der Hand und spricht ihre Botschaft deutlich und klar.
Linn da Quebrada greift bei ihrem Konzert das Thema auf, fordert ein Ende des "Genozids gegen Schwarze", nicht nur in Brasilien, sondern weltweit. Spätestens jetzt ist allen klar, dass sie keine Kunst um der Kunst Willen macht.
"Ich glaube, es ist wichtig, dass wir alle hier sind", betont sie. Für viele, die hier sind, sei es die Frage des Überlebens, sagt die Künstlerin, bevor es mit der Show weitergeht.