Carolee Schneemann - Kinetische Malerei
vom 31. Mai 2017 bis 24. September 2017
im MMK1 in Frankfurt am Main
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Konkret gelebte, heilige Erotik
Mit drastischen Inszenierungen ihres eigenen Körpers sprengte Carolee Schneemann das körperfeindliche Gesellschaftsklima der 1960er auf. Jetzt widmet das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt der Performancekünstlerin eine Schau. Ihre Bilder irritieren auch heute noch.
Na klar, bei Carolee Schneemann geht es ordentlich zur Sache. Sie filmt sich und ihren damaligen Lebenspartner beim Geschlechtsakt. Sie bepinselt ihren nackten, schönen Körper mit Leim und wälzt sich dann genüsslich in Papierschnitzeln, um sich als Fleisch gewordene Collage zu präsentieren. Sie zeigt eine Tafel mit diversen Vagina-Darstellungen und lässt das weibliche Geschlechtsorgan über die Definitionen philosophieren, die ihm von der männlichen Kultur angehängt wurden. Aber ist das Grund genug, solche Arbeiten mit einem schwarzen Tuchvorhang zu verhüllen, wie es das Frankfurter Museum in der ansonsten so sorgfältig und aufmerksam präsentierten Ausstellung tut? Damit die Kinderseele oder empörungswillige Erwachsene keinen Schaden nehmen? Die prüden Zeiten sind zurück. Carolee Schneemann schüttelt den Kopf. Das erinnert sie an die frühen 60er-Jahre.
"Damals zeigten die Leute sehr gemischte Reaktionen. Denn es gab bis dahin nur Pornografie, keine Visualisierung von Vergnügen, wirklicher Intimität oder Genitalität, präsentiert von einer jungen Frau, die dabei mitmacht. Und ich wollte mit dem anmaßenden Mangel an männlicher Verletzlichkeit aufräumen."
Weibliche Identifikationsangebote in der Kunst
Schon früh hatte die Tochter einer Arztfamilie nach weiblichen Identifikationsfiguren in der Kunst gesucht. Und war vermeintlich fündig geworden in der französischen Kunstgeschichte:
"Als ich elf war, versuchte ich weibliche Künstler zu finden und stieß auf Cezanne. Ich dachte: ihr Name ist Anny, und Ces ist die französische Form davon. Das war mein Maskottchen, ich suchte nach Werken von Cezanne. Später, beeinflusst von seiner erstaunlichen strukturalen Analyse und wissend, was für ein Frauenfeind er war, dachte ich: Er hätte dieses bewundernde Kind gehasst."
Die Frankfurter Ausstellung zeigt die frühe Porträt- und Landschaftsmalerei von Carolee Schneemann, die sich ohne weiteres mit den Werken der damals angesagten Abstrakten Expressionisten messen kann. Doch die Künstlerin steigt aus. Und zieht sich aus. Sie macht ihr ganzes Atelier zum Aktionsraum, fotografiert sich mit Schlangen, die sich über ihren Körper ringeln: als verführerische Eva. Die Malerin, der die Anerkennung verweigert wird, macht sich selbst zum Subjekt der Bildinszenierung.
Gegen die Mauer der männlichen Kultur
"Ich war von einer Mauer männlicher Kultur umgeben, die jedes ernsthafte Werk weiblicher Künstler verleugnete und anschwärzte. Eine Frau kam für den autoritätsbewussten Kanon nicht in Frage. Sie würde immer eine Randfigur bleiben."
In gefilmten Performances wie "Meat Joy" von 1964, was soviel heißt wie Fleischeslust, inszeniert Carolee Schneemann ein ekstatisch erotisches Ritual von weiblichen und männlichen Darstellern, in dem es um Fleisch als Material, Form und Farbe geht. Das sind keine feministischen Zeigefingerübungen, sondern lustvolle Choreografien mit viel Spaß und selbstbestimmter Erotik.
"Das sind Bilder einer konkret gelebten heiligen Erotik. Und wenn die Kultur das nicht versteht – sei's drum."
Heilige Erotik
Und dieser Sinn für die "heilige Erotik" brachte und bringt Carolee Schneemann dann auch dazu, sich politisch zu äußern. Weil sie die ungeheure Barbarei des Vietnamkriegs nicht verstehen konnte und wollte. Weil sie die Traueranzeigen der Hinterbliebenen von 9/11 so gut nachvollziehen konnte. Grade beschäftigt sie sich mit Fotografien von Opfern des Syrienkrieges, die ein geflüchteter Reporter gesammelt hat. Was sie damit machen wird, weiß sie noch nicht. Aber die Bilder lassen sie nicht los. Das Leben in den USA, so Carolee Schneemann, sei derzeit jedenfalls nicht dazu geeignet, so etwas wie Seelenfrieden zu finden.
"Ich lebe in den Wäldern, an einem wundervollen Ort. Ich bin Künstlerin, ich bin Frau und wenn da ein Artikel erscheint mit den Begriffen Vagina, Blut, Sex ...- viele meiner Nachbarn sind verrückt, sie machen pausenlos Schießübungen. Es ist schön, es ist friedlich, aber darunter schwelt diese Energie, die für die neue Regierung gesorgt hat."