„Es geht darum, die Sehgewohnheiten zu trainieren“
34:09 Minuten
Weiße Tänzer in rosa Plüsch, die als Gangsterrapper posieren: Joana Tischkau setzt Klischees über kulturelle Eigenarten in Tanz um. Die Choreografin und Performerin macht aber auch Schwarze deutsche Musikgeschichte sichtbar – in einer Art Pop-up Museum.
Mal trägt sie eine blonde Perücke und tritt im Leoparden-Fitness-Outfit zu rhythmisch-treibender Musik vor die Kamera, mal rockend im Hillbilly-Kostüm inklusive Johnny-Cash-Shirt. In einem anderen Video stemmt Joana Tischkau im Dirndl Brezeln, strahlend wie in einer Zahnpastawerbung. "Colonastics" hat die Tänzerin und Choreographin diese Performances im Stil eines Fitness-Videos genannt, eine Kurzform für "Colonial Gymnastics".
Denn warum – so ihre Überlegung – sollten Entspannungslehren wie Yoga und Zumba immer aus anderen Kulturkreisen entlehnt werden? Und warum irritiert es, wenn eine Schwarze Performerin ausnahmsweise die andere Seite kultureller Zuschreibungen betrachtet?
"Es geht gar nicht so sehr darum, den Körper zu trainieren, sondern die Sehgewohnheiten", sagt Joana Tischkau. "Vermeintlich können ja auch weiße Männer nicht tanzen oder sich bewegen. Das ist ja ein System, was wir auch aufrecht erhalten mit den Bildern und Ideologien, die dann auch dahinterstecken."
"Im Tanz verhandeln wir ja auch alles über den Körper"
Von ihrer Performance "Colonastics" verspreche sie sich, "dass Leute ein Bewusstsein für ihr eigenes Weißsein bekommen." Ein Bewusstsein, das People of Color in einer weißen Mehrheitsgesellschaft beinah zwangsläufig haben müssen. Dabei spielt die 37-Jährige mit pauschalisierenden Zuschreibungen. "Es geht eher darum, dass man nachvollziehen kann, wie das ist, wenn man plötzlich mit so Verallgemeinerungen konfrontiert ist."
Tanz und Performance seien in der Auseinandersetzung mit Rassismus, mit Körpern und ihren Zuschreibungen ein gutes Mittel: "Im Tanz verhandeln wir ja auch alles über den Körper", sagt die gebürtige Göttingerin. "Im Zuschauen muss ich mich mit meiner eigenen Körperlichkeit auseinandersetzen, wenn ich einem anderen Körper zuschaue."
Tanz und Performance seien in der Auseinandersetzung mit Rassismus, mit Körpern und ihren Zuschreibungen ein gutes Mittel: "Im Tanz verhandeln wir ja auch alles über den Körper", sagt die gebürtige Göttingerin. "Im Zuschauen muss ich mich mit meiner eigenen Körperlichkeit auseinandersetzen, wenn ich einem anderen Körper zuschaue."
Die Bilder, mit denen wir uns umgeben
Joana Tischkau ist eine der Mitbegründerinnen des "Deutschen Museums für Schwarze Unterhaltung und Black Music", einem Archiv Schwarzer Deutscher Künstlerinnen und Personen des öffentlichen Lebens. Die "Black Lives Matter" Proteste des letzten Jahres hätten das Thema Rassismus in die breite Öffentlichkeit gebracht. Für sie und ihre Kollegin, die Theaterregisseurin Anta Helena Recke, sei "das Thema natürlich immer schon relevant gewesen".
"Die Frage: Was sind eigentlich die Repräsentationen von Schwarzen Menschen in Deutschland? Womit sind wir aufgewachsen? Was sind die Bilder, mit denen wir uns umgeben haben?" Sie hätten einen Raum schaffen wollen, "in dem das in seiner Gesamtheit zur Geltung kommt": mit einer Plattensammlung von Schlager über Hip-Hop bis Eurodance, Interviews mit Rappern wie dem Berliner Amewu, Exponaten zu Roberto Blanco oder dem Sofa, auf dem Anke Engelke in den 1990er-Jahren in der "Wochenshow" die Sängerin Ricky von TicTacToe parodierte. Später hat der Künstler Noah Becker dieses Sofa für eine eigene Performance genutzt.
"Man hat nicht das Gefühl gehabt, dass man da hingehört"
Aufgewachsen ist Joana Tischkau mit ihrem Zwillingsbruder in Göttingen, als Tochter einer weißen Mutter, die sich explizit nicht-weiße Kinder gewünscht habe. Ihren Vater, einen Ghanaer, hat sie nie kennengelernt. "Ich glaube, als Schwarze Person ist man doppelt konfrontiert, dass Menschen wissen wollen, warum man denn nun schwarz ist. ‚Wo kommst du her?‘ impliziert ja die Frage: ‚Warum bist du schwarz? Deine Mutter ist doch weiß.‘"
In ihrer Jugend in den 1990er und frühen 2000er-Jahren sei Schwarzsein in bestimmten Bereichen – im Musikfernsehen, im Hip-Hop – eher cool gewesen. In den meisten anderen Bereichen sei die gesellschaftliche Wirklichkeit aber nicht sichtbar geworden. Das merkt Joana Tischkau auch, als sie sich nach dem Abitur an Schauspielschulen bewirbt: Am Ende geht sie zu keinem einzigen Vorsprechen. "Im Nachhinein glaube ich schon, dass man das Bewusstsein hatte, dass man dort in dieser Welt nicht repräsentiert ist."
Schon als sie als Jugendliche Theater in Göttingen spielte, war sie meistens die einzige Schwarze Person auf der Bühne. "Man hat nicht das Gefühl gehabt, dass man da hingehört."
Bühnenkünstlerin ohne Bühne
Das ändert sich, als sie mit Mitte 20 ein Studium an der Coventry University in Großbritannien beginnt. Allein in ihrer Klasse habe es zehn andere Schwarze Frauen gegeben. "Das hat mich natürlich total bestärkt."
Heute lebt die Künstlerin in Frankfurt am Main und ächzt wie viele andere Kunst- und Kulturschaffende unter der Corona-Pandemie. Einige Veranstaltungen fänden zwar digital statt, aber das sei nur ein schwacher Ersatz: "Die Bühne fehlt mir schon sehr, sehr."
(era)