Permafrost und Plagegeister
Seit fast 20 Jahren erforscht Hans-Wolfgang Hubberten die Dauerfrostböden Sibiriens: An den arktischen Küsten nagen Wind und Wellen mit Urgewalt. Wo einst die Menschen sicher lebten, rutschen Wege, Hütten, Siedlungen ins Meer.
Schon als Kind wollte Hans-Wolfgang Hubberten verstehen, was unsere Welt im Innersten zusammenhält. Er grub Fossilien und Minerale aus den Grotten und Höhlen seiner schwäbischen Heimat. Feuerberge zogen ihn magisch an. Doch der Zufall führte den Mineralogen in die Kältezonen unseres Planeten:
"In Tübingen habe ich studiert. Und habe schon sehr früh drei Jahre Diplomarbeit machen dürfen auf Santorin. Vulkanologie gemacht, war wunderschön. Dann bin ich für fünf Jahre nach Mexiko gegangen. Da war es schön warm, hat mir gut gefallen. Und da kam eine Annonce in der Zeitung, dass sie am Alfred-Wegener-Institut jemanden suchen, der ein Isotopen-Labor aufbaut. Und da bin ich vom Tropenforscher und Hardrock-Geologen da hingekommen und musste plötzlich Meeresgeologie machen und mich mit Schlamm beschäftigen."
In ihren staubreinen Labors auf dem Potsdamer Telegrafenberg präparieren Mikrobiologen des Alfred-Wegener-Instituts Proben, die sie in Sibirien gesammelt haben. An den Wänden ringsum: Landkarten, Tabellen mit Messwerten und Fotos von den Feldeinsätzen in Arktis und Antarktis. Eines zeigt den weit gereisten Institutsleiter vor einem kalbenden Gletscher. Hubberten steht dort dick eingemummelt in Hose, Windjacke, Fellmütze. Nur sein Gesicht schaut hervor.
Seine Nase rötet sich im Wind. Eiszapfen hängen in seinem ergrauten
Walross-Schnurrbart. Mit lachenden Augen schaut der schlanke Mittsechziger in die Ferne. Als gebürtiger Schwabe hält sich Hubberten mit Gefühlsausbrüchen zurück. Doch der noch kaum erforschte Kosmos extremophiler Bakterien bringt auch ihn immer wieder zum Staunen:
"Wir hatten jetzt schon Entdeckungen gemacht, die mich unheimlich überrascht haben. Dass es also wirklich Mikroorganismen gibt, die selbst bei Minustemperaturen noch Kohlenstoff umsetzen und Treibhausgase bilden können. Mikroorganismen, die im schon seit Jahrtausenden gefrorenen Permafrost immer noch leben. Und sobald es ein bisschen wärmer wird, wieder zum aktiven Leben erweckt werden können."
Mehrmals im Jahr reist Hubberten an den Rand der bewohnbaren Welt.
Knapp eine Stunde braucht der Hubschrauber von der Hafenstadt Tiksi im Nordosten Sibiriens bis hinaus zur Forschungsstation Samoylov. Sie liegt auf einer Insel im Mündungsgebiet des Flusses Lena, das sich über hunderte Kilometer hinaus ins Nordpolarmeer schiebt. Um einen hölzernen Flachbau gruppieren sich Holzhütten, Zelte, die Waschküche, das Plumpsklo. Tief im Dauerfrostboden unter der Station gibt es einen Eiskeller. Dort lagern Sedimentproben, Mammutknochen und die kostbaren Wodka-Reserven des deutsch-russischen Forscher-Kollektivs:
"Wenn man im Frühjahr und Herbst da unten ist, dann muss man raue Witterung gewohnt sein. Im Sommer ist man froh über raue Witterung. Das liegt an den Plagegeistern, im Juli wird man aufgefressen von Mücken. Man muss wenigstens Handschuhe und Mütze anziehen. Wenn man dann marschiert, ist es anstrengend, feucht, holprig. Dann schwitzt man. Das ist im Sommer nicht so schön wie im Winter."
"Die Tundra kocht": So beschreiben die Russen den kurzen arktischen Sommer.
Es grünt und blüht, es kreucht und fleucht. Doch alles Leben wird im langen Winter wieder eingefroren. Gut ein Viertel des Kohlenstoffs auf unserer Erde lagert im Permafrost. Taut dieser ganzjährig gefrorene Untergrund, können sich die bislang noch sicher gebundenen Treibhausgase Kohlendioxid und Methan auf ihren Weg in die Atmosphäre machen.
Wasserproben, Wetterdaten: Der Forscheralltag ist von Monotonie und Routine geprägt. Der Saunagang bietet da ein wenig Abwechslung. Und er weckt die Lebensfreude der Gelehrten:
"Unsere Techniker reparieren jedes Jahr von Neuem die Sauna, damit man einmal die Woche sich waschen und säubern kann. Öfter geht nicht. Die Banja ist wie in Russland üblich sehr heiß: 110 oder mehr Grad. Man sitzt und schwitzt und springt dann raus in den See, um sich abzukühlen. Das ist immer ein tolles Ereignis, wenn man eine Woche geschwitzt hat und mit Mückenmittel eingerieben, dann kann man sich nicht mehr so gut riechen."
Seine Tochter sei als Berliner Staatsanwältin ein wenig aus der Art geschlagen, lacht Hubberten. Doch mit seinen beiden Söhnen und mit seiner Frau Ulrike teile er Reiselust und Forschergeist:
"Ich bin deswegen noch nach 36 Jahren Ehe glücklich verheiratet, weil ich jedes Jahr zwischen vier Wochen und drei Monaten unterwegs bin. Und diese Ruhepause unserer Ehe unheimlich gut tut. Als ich das erste Mal von Grönland in die Tundra kam war ich erschüttert: Diese dreckige Landschaft - schön ist das nicht. Heute fasziniert mich diese Landschaft. Man hört keine Geräusche. Man macht sich im Kopf frei. Man beginnt zu überlegen, warum man diese ganzen Dinge ernst nimmt. Dann geht man nach Hause und könnte sich ärgern, weil jemand falsch geparkt hat."
Programmhinweis: Am Samstag 7. Januar 2012 um 0.05 Uhr sendet Deutschlandradio Kultur die Lange Nacht "Wettlauf in die Kälte", in der auch Hans-Wolfgang Hubberten zu Wort kommt.
"In Tübingen habe ich studiert. Und habe schon sehr früh drei Jahre Diplomarbeit machen dürfen auf Santorin. Vulkanologie gemacht, war wunderschön. Dann bin ich für fünf Jahre nach Mexiko gegangen. Da war es schön warm, hat mir gut gefallen. Und da kam eine Annonce in der Zeitung, dass sie am Alfred-Wegener-Institut jemanden suchen, der ein Isotopen-Labor aufbaut. Und da bin ich vom Tropenforscher und Hardrock-Geologen da hingekommen und musste plötzlich Meeresgeologie machen und mich mit Schlamm beschäftigen."
In ihren staubreinen Labors auf dem Potsdamer Telegrafenberg präparieren Mikrobiologen des Alfred-Wegener-Instituts Proben, die sie in Sibirien gesammelt haben. An den Wänden ringsum: Landkarten, Tabellen mit Messwerten und Fotos von den Feldeinsätzen in Arktis und Antarktis. Eines zeigt den weit gereisten Institutsleiter vor einem kalbenden Gletscher. Hubberten steht dort dick eingemummelt in Hose, Windjacke, Fellmütze. Nur sein Gesicht schaut hervor.
Seine Nase rötet sich im Wind. Eiszapfen hängen in seinem ergrauten
Walross-Schnurrbart. Mit lachenden Augen schaut der schlanke Mittsechziger in die Ferne. Als gebürtiger Schwabe hält sich Hubberten mit Gefühlsausbrüchen zurück. Doch der noch kaum erforschte Kosmos extremophiler Bakterien bringt auch ihn immer wieder zum Staunen:
"Wir hatten jetzt schon Entdeckungen gemacht, die mich unheimlich überrascht haben. Dass es also wirklich Mikroorganismen gibt, die selbst bei Minustemperaturen noch Kohlenstoff umsetzen und Treibhausgase bilden können. Mikroorganismen, die im schon seit Jahrtausenden gefrorenen Permafrost immer noch leben. Und sobald es ein bisschen wärmer wird, wieder zum aktiven Leben erweckt werden können."
Mehrmals im Jahr reist Hubberten an den Rand der bewohnbaren Welt.
Knapp eine Stunde braucht der Hubschrauber von der Hafenstadt Tiksi im Nordosten Sibiriens bis hinaus zur Forschungsstation Samoylov. Sie liegt auf einer Insel im Mündungsgebiet des Flusses Lena, das sich über hunderte Kilometer hinaus ins Nordpolarmeer schiebt. Um einen hölzernen Flachbau gruppieren sich Holzhütten, Zelte, die Waschküche, das Plumpsklo. Tief im Dauerfrostboden unter der Station gibt es einen Eiskeller. Dort lagern Sedimentproben, Mammutknochen und die kostbaren Wodka-Reserven des deutsch-russischen Forscher-Kollektivs:
"Wenn man im Frühjahr und Herbst da unten ist, dann muss man raue Witterung gewohnt sein. Im Sommer ist man froh über raue Witterung. Das liegt an den Plagegeistern, im Juli wird man aufgefressen von Mücken. Man muss wenigstens Handschuhe und Mütze anziehen. Wenn man dann marschiert, ist es anstrengend, feucht, holprig. Dann schwitzt man. Das ist im Sommer nicht so schön wie im Winter."
"Die Tundra kocht": So beschreiben die Russen den kurzen arktischen Sommer.
Es grünt und blüht, es kreucht und fleucht. Doch alles Leben wird im langen Winter wieder eingefroren. Gut ein Viertel des Kohlenstoffs auf unserer Erde lagert im Permafrost. Taut dieser ganzjährig gefrorene Untergrund, können sich die bislang noch sicher gebundenen Treibhausgase Kohlendioxid und Methan auf ihren Weg in die Atmosphäre machen.
Wasserproben, Wetterdaten: Der Forscheralltag ist von Monotonie und Routine geprägt. Der Saunagang bietet da ein wenig Abwechslung. Und er weckt die Lebensfreude der Gelehrten:
"Unsere Techniker reparieren jedes Jahr von Neuem die Sauna, damit man einmal die Woche sich waschen und säubern kann. Öfter geht nicht. Die Banja ist wie in Russland üblich sehr heiß: 110 oder mehr Grad. Man sitzt und schwitzt und springt dann raus in den See, um sich abzukühlen. Das ist immer ein tolles Ereignis, wenn man eine Woche geschwitzt hat und mit Mückenmittel eingerieben, dann kann man sich nicht mehr so gut riechen."
Seine Tochter sei als Berliner Staatsanwältin ein wenig aus der Art geschlagen, lacht Hubberten. Doch mit seinen beiden Söhnen und mit seiner Frau Ulrike teile er Reiselust und Forschergeist:
"Ich bin deswegen noch nach 36 Jahren Ehe glücklich verheiratet, weil ich jedes Jahr zwischen vier Wochen und drei Monaten unterwegs bin. Und diese Ruhepause unserer Ehe unheimlich gut tut. Als ich das erste Mal von Grönland in die Tundra kam war ich erschüttert: Diese dreckige Landschaft - schön ist das nicht. Heute fasziniert mich diese Landschaft. Man hört keine Geräusche. Man macht sich im Kopf frei. Man beginnt zu überlegen, warum man diese ganzen Dinge ernst nimmt. Dann geht man nach Hause und könnte sich ärgern, weil jemand falsch geparkt hat."
Programmhinweis: Am Samstag 7. Januar 2012 um 0.05 Uhr sendet Deutschlandradio Kultur die Lange Nacht "Wettlauf in die Kälte", in der auch Hans-Wolfgang Hubberten zu Wort kommt.