Persiflage auf den Kunstbetrieb

15.06.2010
Ein eigentlich abgeschmacktes Thema: Serge Gainsbourgs einziger Roman handelt von einem Künstler, der an chronischen Blähungen leidet, die ihn letztlich das Leben kosten. Auf dem Sterbebett schildert er rückblickend seinen Werdegang.
Schon als Kind litt er unter diesem Gebrechen. "Sämtliche Spiele meidend, welche sich dem Ausstoß von Magenwinden so förderlich erweisen wie das gezielte Werfen von Murmeln, aber auch das Versteckspiel, bei dem mich meine Furze unweigerlich verraten hätten, sonderte ich mich von den anderen ab."

So legte er es darauf an, sich andere Leute auf fast menschenfeindliche Weise vom Leib zu halten. Als das nicht mehr klappte, schaffte er sich einen rosa Bullterrier an, der ihm, wenn er sich "seiner Gase entledigte", als Alibi diente. Was aber bleibt ihm in seiner Einsamkeit? Er wird Künstler und nutzt das Beben, das die Blähungen in seinem Körper hervorrufen, um mit der Kaltnadel Linien auf die Leinwand aufzutragen. Gasogramme nennt er seine Werke, die mittels dieser neuen Maltechnik entstehen und die ihm das Interesse eines großen Galeristen bescheren und ihn schließlich weltberühmt machen.

Was sich bestenfalls als Persiflage auf den Kunstbetrieb liest, auf die Mechanismen des Marktes, der, egal welcher Couleur das Ausgefallene sein mag, den Skandal sucht, ist mehr als ein pubertärer Scherz. Natürlich ist das Buch auch eine Parodie auf den Künstlerroman, obwohl einem diese Genrebezeichnung auf den ersten Blick nicht in den Sinn kommt. Trotz seiner nur 60 Seiten schreitet es doch in epischer Genauigkeit von der Wiege bis zur Bahre sämtliche Stationen aus Glück und Elend, Aufstieg und Fall einer Künstlerexistenz ab, die aus ihrer Malaise ein Meisterwerk macht. Es versteht sich, dass mit dieser "Passionsgeschichte" auch jede Art von Geniekult ad absurdum geführt wird. Erstaunlich daran ist, dass Gainsbourg den rundum unappetitlichen Vorgang in solch leichtfüßiger Sprache beschreibt, mit geradezu stilistischer Eleganz, dass sich etwaige Verbindungen zu Charlotte Roches Schockbestseller "Feuchtgebiete" von selbst verbieten.

Dabei gefiel sich der Komponist mit den Segelohren und dem Dreitagebart, der sich selbst als "Fresse mit Kohlkopf" bezeichnete, der Macho-Poet und Kampftrinker, im Gestus des permanenten Provokateurs. Als der Miniroman über den Künstler Evgenij Sokolov entstand, hatte er neben dem Duett mit Jane Birkin ("Je t'aime ... ") 1980 die halbe Nation mit einer Reggae-Version der Marseillaise auf die Palme gebracht und jede Menge Affären und Abstürze in den Alkohol hinter sich.

Wie sein Held begann auch Gainsbourg seine künstlerische Laufbahn an einer Akademie der Schönen Künste, die er bald beendete, denn ein zweiter Picasso wollte aus ihm nicht werden. Genau wie Sokolov wollte auch Gainsbourg hoch hinaus und gab zu diesem Zweck das pöbelnde Enfant terrible, skandalsüchtig und vulgär. Dass der Blumenbar Verlag nun dieses autobiografisch inspirierte Zeugnis in einer vorzüglichen Neuübersetzung wieder auf den Markt gebracht hat, war vielleicht nicht unbedingt nötig, aber lustig ist es schon.


Besprochen von Edelgard Abenstein

Serge Gainsbourg, Das heroische Leben des Evgenij Sokolov,
Aus dem Französischen von Hartmut Zahn,
Blumenbar Verlag, Berlin 2010, 60 Seiten, 12,90 Euro