Persönliche Texte von Natalia Ginzburg

Was sollte man seinen Kindern beibringen?

Die italienische Schriftstellerin Natalia Ginzburg im Jahr 1989.
Die italienische Schriftstellerin Natalia Ginzburg im Jahr 1989. © Imago/Leemage
Von Maike Albath |
Der Band "Die kleinen Tugenden" der italienischen Autorin Natalia Ginzburg entfalte "eine bezwingende Mischung aus Leichtigkeit und Tiefe", meint unsere Rezensentin. Die Essays und Erzählungen kreisen um Tugenden wie Nächstenliebe, Selbstlosigkeit, Wissensdurst.
Was sollte man seinen Kindern beibringen? Es geht um die großen Tugenden, stellt Natalia Ginzburg in ihren Essays fest: Freigebigkeit statt Sparsamkeit, Mut und Verachtung der Gefahr gegenüber statt Vorsicht, Nächstenliebe und Selbstlosigkeit statt Diplomatie, und auf gar keinen Fall Streben nach Erfolg, sondern Streben nach Sein und Wissen.
Die Schriftstellerin, vor hundert Jahren am 14. Juli 1916 in Palermo geboren und aufgewachsen in der piemontesischen Hauptstadt Turin, hat diese Überzeugungen ein Leben lang beherzigt. Ihre Essays, die eine bezwingende Mischung aus Leichtigkeit und Tiefe entfalten, mit viel Humor daher kommen und oft den Charakter von Erzählungen besitzen, legen davon ein eindrucksvolles Zeugnis ab.

Zeit der Verbannung

Natalia Ginzburgs Ehemann Leone zählte zu den prägendsten Intellektuellen Italiens, und um seinen Verlust kreist der erste Essay des Bandes. Im antifaschistischen Widerstand in Turin aktiv und außerdem Mitbegründer des Einaudi-Verlages, wurde Leone Ginzburg 1940 gemeinsam mit Frau und Kindern in die Verbannung in die Abruzzen geschickt. Das Ehepaar musste in einem kleinen Dorf ausharren.
Die Ginzburgs gingen im Schnee spazieren, hörten dem Tratsch der Einwohner zu, übernahmen deren Behördenkorrespondenz, denn Lesen und Schreiben konnte kaum jemand, kauften in dem einzigen Laden Apfelsinen ein, sehnten sich nach Turin und erzählten den Kindern von der großen Stadt, aus der sie kamen.
Die Monate vergingen in großer Gleichmäßigkeit, und erst im Nachhinein begriff Natalia Ginzburg, dass dies ihre glücklichste Zeit gewesen war. In wenigen Zeilen umreißt sie, was dann in ihr Dasein einbrach: Ihr Mann starb 1943 im römischen Gefängnis Regina Coeli. Dass er von den deutschen Gestapobeamten zu Tode gefoltert wurde, erwähnt sie nicht – es sei ein "grauenvoller, einsamer Tod" gewesen, heißt es nur.
Der Text stammt von 1944 und hat nichts von seiner Wucht verloren, was auch an der kristallinen Schärfe des Stils liegt. Ginzburgs Sprache ist sparsam instrumentiert, klar und transparent. Auch in einem dem Freund Cesare Pavese gewidmeten Porträt, das zugleich eine suggestive Beschreibung Turins ist, zeigt sich diese Prägnanz.
Die italienische Schriftstellerin Natalia Ginzburg nimmt im März 1984 an einer Demonstration "Frauen für den Frieden" teil.
Die italienische Schriftstellerin Natalia Ginzburg nimmt im März 1984 an einer Demonstration "Frauen für den Frieden" teil.© imago/Leemage

Berufung zum Schreiben

Feuilletons über England, wo Natalia Ginzburg mit ihrem zweiten Mann Gabriele Baldini in den Fünfziger-Jahren lebte und nie heimisch wurde, sind in dem von ihr selbst zusammengestellten Band ebenso versammelt wie ein hochkomischer Text über das Ehepaar Ginzburg-Baldini, das sich vor allem durch Gegensätze auszeichnete.
Auch der leichtfüßige Wechsel zwischen privaten Begebenheiten und allgemeinen, philosophisch-pragmatischen Betrachtungen, macht den Reiz der Texte aus.
Eine kleine Poetik legt sie in dem Essay "Mein Beruf" dar, den man jedem angehenden Schriftsteller an die Hand geben möchte. Denn für Natalia Ginzburg ist ihre Arbeit das, was das Zentrum der Existenz überhaupt ausmacht: eine Berufung, der man leidenschaftlich dient. Nichts anderes also als Liebe zum Leben.

Natalia Ginzburg: "Die kleinen Tugenden"
Aus dem Italienischen von Maja Pflug
Wagenbach Verlag, Berlin 2016
160 Seiten, 22 EUR

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