Personalausweis

Erika Mustermann wird 70

Die neueste Version des maschinenlesbaren und angeblich fälschungssicheren Personalausweises, der ab 1. Januar 1986 erstmals ausgegeben werden soll, wird im Dezember 1984 vom Bundesinnenministerium in Bonn vorgestellt. Ob dies die entgültige Form des umstrittenen Ausweises sein wird, muß noch vom Bundestag entschieden werden.
Personalausweis von Erika Mustermann geborene Gabler. © dpa / picture alliance / Egon Steiner
Von Laf Überland · 11.09.2015
Am 12. September 1945 wurde der Inbegriff der Durchschnittsbürgerin geboren - zumindest ihrem Ausweis nach: Erika Mustermann, 1,60 Meter groß, grünäugig. Wir gratulieren einer Ikone der Bundesrepublik.
Von jedermann für absolut durchschnittlich gehalten zu werden, ist ein bisschen gemein: Schließlich steht "durchschnittlich" ja auch für "mittelmäßig" und "gewöhnlich".
Aber Erika Mustermann sollte eine beruhigende Wirkung auf die Bundesbürger (und Bundesbürgerinnen) haben, als sie im Jahre 1987 Reklame für den maschinenlesbaren Ausweis machte - diese in Plastik eingeschweißte Karte: Denn es sind ja die Abweichungen vom Gewohnten, die die Menschen verunsichern. Und damals, nach schrecklich verunsichernden eineinhalb Jahrzehnte in der Bundesrepublik mit Terroristen und Alternativbewegungen, galt Erika als mustergültige deutsche Bürgerin, wie man sie gern gewohnt war.
Man könnte meinen, dass sie die Tochter von Otto Normalverbraucher und seiner Frau Lieschen, geb. Müller, sei – aber Erika ist schließlich eine geborene Gabler.
"Gerade eine Hausfrau mit Familie sollte eine abgeschlossene Berufsausbildung in der Hand haben. Wenn die Kinder mal aus dem Haus sind oder es passiert irgendwas – dann habe ich nach zwei Jahren Jodelschule mein Jodeldiplom. Dann habe ich was in der Hand!"
Als Mitglied der neuen gebildeten Frauen-Generation jener Jahre setzte Erika sich in den Kopf, selbst etwas im Leben zu leisten... (Nein, kein Jodeldiplom!)
Große Wandlungsfähigkeit in den Folgejahren
Erika zeichnete sich durch große Wandlungsfähigkeit aus. Ob mit frecher Ponyfrisur und schulterlangem blondem Haar, 1997 dann noch mal akkurat geföhnt mit moderner Brille und dezentem Make-Up, in der Folgeinkarnation dann mit blonden Zuppelfransen und aktuell wieder meistens mit glatten blonden Haare.
Und mit bald jedem neuen Bild zog die Dame von der Plastikkarte um – von München nach Köln nach Berlin. Wahrscheinlich machte es ihr ziemlich zu schaffen, ständig erkannt zu werden. Denn bei jedem Technologiewechsel der Bundesdruckerei (maschinenlesbar, bunt, dann fälschungssicher und mit Wackelbild), sogar für Scheckvordrucke wurde fortan Erika Mustermann angeheuert, und sie konnte sich auch sonst nicht vor Aufträgen retten, weshalb sie schließlich ihre gesamte Verwandschaft in die Reklamebranche mit einbrachte:
Elfriede, Michaela, Markus und Manfred, Erik und Ute, natürlich Max und Prof. Hans Mustermann, Christiane, Marianne, Emil Erwin Georg Klaus Karl Otto Ralf und Martin Mustermann lächelten von Krankenkassen- und Kreditkarten.
Umzug in die Alters-WG
Und es kamen sogar offensichtliche Fälschungen in Umlauf, auf denen zwar Erikas Bild prangte, aber ausgestellt auf Namen wie Natasha Raskolnikowa und Irina Bulgakowa! Und sie wurde immer jünger: Jugendwahn – von Amts wegen!
Aber jetzt wird die originale Erika Mustermann 70, und allmählich darf sie sich zurückziehen, denn ihr Muster als Affirmation des Normalbürgertums dürfte bald ausgedient haben: Bei all den Daten, die im Internet gesammelt werden – über die Kevin Müllers bei Facebook und die Chantalle Meiers bei Google – gibt es demnächst keine Mustermänner und -frauen mehr, sondern nur noch exakt ausgelesene Individuen, denen man Reklamevorlagen mit ihren eigenen Namen zuschicken kann.
Und dann kann Erika ja in die Alters-WG ziehen, die einst Otto Normalverbraucher und Lieschen aufmachten, als man von ihnen keine Notiz mehr nahm. Vielleicht nimmt sie dann ja auch wieder ihren Mädchennamen an: Gabler. Erika Gabler.
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