Wenn Stationen und Krankenhäuser schließen
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Mangel an Ärzten und Pflegekräften, Zwang zur Effizienz, hohe Qualitätsstandards: Die Gründe für die Schließung von Stationen oder ganzen Krankenhäusern hierzulande sind vielfältig. Wie erleben Betroffene und ihre Familien diese Entwicklung?
10.000 Unterschriften zum Erhalt der Geburtenstation haben nichts bewirkt, erzählt Hildegard Slabik-Münter, Kinderärztin im Ruhestand: Der Kreis Vulkaneifel in Rheinland-Pfalz muss seit mehr als einem Jahr ohne Geburtshilfe auskommen, das Krankenhaus Maria Hilf hatte die Station kurzfristig dicht gemacht.
800 bis 1000 Geburten brauche eine Klinik jährlich, um kostendeckend arbeiten zu können, heißt es. 400 sind es im Einzugsgebiet des Dauner Krankenhauses.
"Die Geburtshilfen sind ja reihenweise zugemacht worden, das war in Zell, Prüm, Gerolstein", sagt Hildegard Slabik-Münter. "Also die rundherum sind schon alle geschlossen. Es sind weiterhin auch viele Krankenhäuser und Stationen noch bedroht."
Mit Vollgas ins Geburtskrankenhaus
Wie wichtig ein schnell erreichbares Geburtskrankenhaus ist, hat Tim Becker vor drei Monaten erlebt. Seine schwangere Frau bekam plötzlich starke Wehen, vier Wochen vor dem errechneten Geburtstermin.
"Wir sind dann mit Vollgas nach Mayen gefahren und haben das dann in den 28 Minuten geschafft, die durch Google angegeben werden", erzählt Tim Becker. "Wir waren keine zwei, drei Minuten im Kreißsaal, da hat sich die Plazenta meiner Frau abgelöst. Eine Viertelstunde später gab es einen Notkaiserschnitt, und ich hatte meine Tochter in der Hand."
In einer milden Winternacht – zum Glück. Hätten die Beckers an einer ungünstigeren Stelle im Landkreis Vulkaneifel gewohnt, oder wären sie von Schneefall oder Stau im Berufsverkehr aufgehalten worden ...
"Hätte ich meine Tochter verloren und meine Frau höchstwahrscheinlich auch. Da wird es dann sehr plastisch", sagt Tim Becker.
Ein Verein kämpft für die Wiedereröffnung
Genau deshalb engagiert sich der Sozialwissenschaftler und Publizist gemeinsam mit der Kinderärztin Hildegard Slabik-Münter und vielen Mitstreitern aus dem Dauner Verein Bürger für Bürger für die Wiedereröffnung einer Geburtshilfe. Dabei haben sie Vorbilder.
"Wir haben in Bayern und Baden-Württemberg vier Kliniken identifiziert, die wieder eine geschlossene Geburtshilfe wieder eröffnet haben, mit ähnlichen Geburtenzahlen wie hier in Daun, etwa um die 400, 500 Geburten", sagt Tim Becker.
Die beiden Länder haben Programme aufgelegt, "um kleine Geburtshilfen zu unterstützen", erklärt Tim Becker. "Da sind im vergangen Jahr die Förderbescheide rausgegangen über 20 Millionen Euro, die wieder hineingehen in Geburtshilfen."
Um solch ein Programm will sich die Dauner Interessengemeinschaft in Reinland-Pfalz auch bemühen. Unternehmen am Ort hätten finanzielle Mittel zugesagt, ein kommunaler Träger stehe bereit. Ärzte, Hebammen und Pflegekräften ließen sich finden, wenn man attraktive Arbeitsbedingungen biete, davon ist die Interessengemeinschaft Geburtshilfe überzeugt.
Mangel an spezialisiertem Personal
Doch insbesondere das hoch spezialisierte Personal ist knapp, beobachtet Markus Mai, Präsident der Pflegekammer Rheinland-Pfalz.
"Im Bereich der Neugeborenen-Intensivpflege, da haben wir häufig das Problem, dass wir nicht ausreichend qualifiziertes Krankenpflegepersonal haben und deshalb auch Betten geschlossen waren", sagt er. "Als Beispiel sei nur die Charité in Berlin genannt, wo durch Personalmangel in der Kinderonkologie Betten geschlossen wurden."
In Trier versorgt die Kinderonkologie neu an Krebs erkrankte Kinder seit zwei Jahren nur noch ambulant – zwei Kinderkrebsärzte fehlen für den vollen stationären Betrieb im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen. Für die Familie des 6-jährigen Mathieu war die Leukämiediagnose im vergangenen Frühjahr ein Schock. Zu hören, dass sie zur stationären Chemotherapie eine Stunde bis ins Uniklinikum des Saarlands nach Homburg fahren müssen - ein zusätzlicher Schlag, erzählt Mathieus berufstätige Großmutter Hannelore Sannier.
"Dann hieß es: 33 Tage Intensivtherapie in Homburg", sagt sie. "Das sind von Trier aus bis nach Homburg 105 Kilometer. Meine Tochter und mein Schwiegersohn sind gleich oben geblieben. Die kleine Jael, seine Schwester, musste ich mit nach Hause nehmen. Und dann hatte ich die kleine Jael sechs Wochen bei mir zu Hause, und die Eltern waren dann in Homburg."
Arbeitgeber bieten hohe Prämien
"Wir suchen nach wie vor insbesondere Onkologen", sagt am Telefon Christian Sprenger, medizinischer Geschäftsführer des Trierer "Mutterhauses ".
"Aber Sie brauchen auch eine gewisse Zahl an onkologischen Fachpflegekräften, und das ist auch schwierig, die zu finden", erklärt er. "Da kommt dazu, dass es ein engerer Markt ist. Es gibt ganz wenige Spezialisten für Kinderonkologie in Deutschland, die sich auf, ich glaube, 50 Zentren in Deutschland verteilen. Insofern ist es schwierig."
Das gezielte gegenseitige Abjagen von Pflegepersonal, wie es Michael Quetting, Pflegebeauftragter beim Verdi-Landesbezirk Rheinland-Pfalz-Saarland bei Krankenhäusern in Ballungsgebieten beobachtet, macht es nicht einfacher.
"Der Arbeitgeber lobt ja im Moment Prämien aus", sagt er. "Sie können bis zu 15.000 Euro kriegen, wenn Sie als Pflegekraft im Rhein-Main-Gebiet in ein anderes Haus wechseln."
Defizite bei der Ausbildung und im Finanzsystem
Besser wäre, die Krankenhausträger würden mehr in die Ausbildung von Pflegekräften investieren. Und auf eine Abkehr von den Fallpauschalen drängen, sagt Quetting. Denn nach diesem Finanzsystem von 2004 würden aufwendige Hightech-Operationen komfortabel honoriert, personalintensive konservative Therapien und Beratung aber nur unzureichend.
Das gehe in die falsche Richtung, findet der Pflegebeauftragte. Doch es tut sich etwas: Die Kosten fürs Pflegepersonal werden seit Anfang des Jahres nicht mehr über die Fallpauschalen vergütet, sondern in ihrer tatsächlichen Höhe erstattet. Dasselbe fordern die Ärztevertreter für die Arztkosten. Außerdem: mehr Studienplätze in der Humanmedizin.
In Rheinland-Pfalz haben soeben die beiden Trierer Krankenhäuser einen Kooperationsvertrag mit der Uniklinik Mainz unterzeichnet. Vom Wintersemester an sollen bis zu 30 Mainzer Medizin-Studierende das 10. Semester und ihr Praktisches Jahr an den Trierer Krankenhäusern absolvieren.
"Das sind natürlich Sachen, wovon wir uns versprechen, Studenten auch in dieser Region zu halten", so Christian Sprenger vom "Mutterhaus".
Bund und Länder in der Pflicht
Hannelore Sannier beruhigt das nicht. Sie fürchtet, dass es in Trier auch in Zukunft keine ausreichende stationäre Versorgung für neu diagnostizierte krebskranke Kinder gibt. Und dass ihr Enkel nicht schnell genug ein Krankenhaus erreicht, wenn sich seine Blutwerte verschlechtern. Michael Quetting, der Pflegebeauftragte der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, sieht Bund und Länder in der Pflicht: Sie müssten mehr tun, um Krankenhausschließungen zu verhindern.
"Ohne eine gesellschaftliche Planung werden wir die korrekte Versorgung gar nicht hinkriegen", sagt er.
Die Akteure des Krankenhauswesens müssten sich zusammensetzen und festlegen, was in ihrer Region gebraucht wird und was bezahlt werden soll.