Peru avanza - Peru geht voran

Von Dirk Fuhrig |
In Perus Hauptstadt Lima hat sich eine äußerst lebendige Kunstszene entwickelt. Auch ein Museum für zeitgenössische Kunst ist im Bau. Viele Künstlerinen und Künstler reflektieren die aktuelle Situation ihres Landes und mischen auch politisch mit.
Das Museum für zeitgenössische Kunst, lange geplant, ist jetzt im Bau – Indiz für den kulturellen Aufbruch, den der wirtschaftliche Aufschwung durch Rohstoff-Exporte und Tourismus im letzten Jahrzehnt befördert hat. In Sichtweite der monströsen Stadtautobahn, die Lima einmal komplett durchschneidet, entstehen auf Metallstützen mehrere elegante Pavillons in einer Wasserlandschaft.

Der Stadtteil Barranco war einst Sommerfrische der Hauptstädter, seit ein paar Jahren haben sich in den alten Kolonialhäusern Künstler und Galeristen niedergelassen. "Ochenta Metros Quadrados" - übersetzt: "80 Quadratmeter" - heißt die Galerie von Livia Benavides, zu der man eine Treppe halb unter eine Brücke hinabsteigen muss. Die Künstler, die sie vertritt, sind überwiegend zwischen 20 und Mitte 30. Und: Die meisten reflektieren die aktuelle Situation ihres Landes und haben den Wahlkampf mehr oder weniger aktiv begleitet:

Livia Benavides hat längere Zeit in Deutschland gelebt und vor drei Jahren die "80 Quadratmeter" übernommen. Die Szene in Lima ist überschaubar; es gibt nur etwa ein Dutzend erwähnenswerte Galerien für zeitgenössische Kunst.

Eine der Künstlerinnen, Claudia Martinez, hat Politiker als Krebse dargestellt, die in alle möglichen Richtungen laufen, bloß nicht geradeaus. Der ironische Titel der Arbeit: Peru avanza – Peru geht voran.

Bei aller Ironie, die Frage bleibt: Wird es weiter vorangehen mit dem Land, wird der neue Präsident, der durch linkspopulistische Enteignungsparolen im Wahlkampf viele verschreckt hat, die Wirtschaft - und auch den Kunstmarkt - abwürgen?

Livia Benavides: "Weil wir wissen nicht, was kommt. Die Leute, die für Humala gewählt haben, sind auch skeptisch. Aber jetzt gucken wir alle hin, wer er wirklich ist. Ob er ein Sozialdemokrat ist oder ein Nationalist oder ein Diktator. Ich denke, dass er ein Sozialdemokrat ist. Das ist eine große Chance für Peru."

Weitaus skeptischer ist Lucía de la Puente. Sie ist die Grande Dame der Kunstszene in Lima, ihre Galerie ist hell und modern. Ähnlich wie sie denken viele aus der bürgerlichen Mittelschicht. Sie fürchten, Humala könnte ein autokratischer Selbstdarsteller werden, wie sein Vorbild Hugo Chávez in Venezuela.

Lucia de la Puente: "15 Jahre lang konnte sich unsere Gesellschaft relativ kontinuierlich entwickeln. Das war ungewöhnlich für Peru. Die Länder hier in Südamerika sind alle instabil. Es gab Staatsstreiche und Militärregierungen, Diktaturen. Im Augenblick gibt es eine große Unsicherheit. Wir hoffen, dass es gut ausgeht."

Tatsächlich hat erstmals in der jüngeren Geschichte Perus der Wohlstand größere Bevölkerungsschichten erreicht. Allerdings ohne die indigenen Peruaner einzuschließen, worauf der Psychoanalytiker César Rodriguez Rabanal, einer der prominentesten auch politisch engagierten Intellektuellen des Landes, hinweist:

Rodriguez-Rabanal: "Die Spaltung ist nicht nur ein politisches Problem, sondern ein kulturelles. Die Armut, die unzureichende Bildung. Aber auch die ethnischen Schwierigkeiten, die Jahrhunderte lange Diskriminierung der Indios, also der Mehrheit Perus, die kaum an dem Entwicklungsprozess teilnehmen. Dass die kulturelle Diversität zur Geltung kommt, das ist ein ganz entscheidender Punkt."

Um kulturelle Teilhabe geht es auch Sebastian Solari. Für den Enddreißiger ist Kunst vor allem ein soziales Ereignis. Kunst hat für ihn zu tun mit Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt. Sein "Proyecto Barrio" – "Stadtteil-Projekt" – besteht darin, auch die alteingesessenen Bewohner des Viertels Barranco einzubeziehen und ein Gemeinschaftsgefühl zu kreieren.

Sebastian Solari: "Wir haben Straßenfeste organisiert, wir veranstalten einen Karneval, einen Zirkus, wir haben Mauern bemalt; seit mehr als zehn Jahren arbeite ich hier mit anderen Künstlern, mit Kindern, mit den Nachbarn. Es geht darum, gemeinsam etwas zu erleben. Bei uns geht es jedenfalls nicht um ein Publikum, das Kunst konsumiert oder sammelt wie in den neuen Galerien hier im Viertel."

Sebastian Solari malt und macht Videos. Mit seinem jungenhaften Charme und seinem engagierten Auftreten wirkt er ein wenig wie der junge Christoph Schlingensief auf peruanisch. Solari sorgt sich um die Gentrifizierung in Barranco, um den Schutz des Regenwalds. Und um die Rechte der indigenen Landbevölkerung.

Der neue Staatspräsident Ollanta Humala hat gerade auf dem Land Stimmen gewonnen. Zur Kulturministerin hat er die bekannte Sängern Susana Baca bestimmt, eine Angehörige der Minderheit der Afro-Peruaner. Die Ernennung einer schwarzen Ministerin könnte ein Zeichen sein, dass er die soziale, ethnische und kulturelle Vielfalt in Peru tatsächlich ernst zu nehmen versucht. Susana Baca sagt: "Ich werde dafür arbeiten, dass die Kultur nicht nur etwas für das Vergnügen Wohlhabender ist, sondern dass sie demokratisch ist und alle erreicht."