Victoria Eglau: "Man konnte in Peru schon immer gut essen. Aber die Peruaner haben erst in den letzten Jahren gemerkt, dass ihre Küche nicht nur gut, sondern exzellent ist und durch die unglaubliche Fülle an heimischen Zutaten so vielfältig wie kaum eine andere. Die internationale Anerkennung ihrer Kochkunst macht die Peruaner stolz. Spitzenköchen werden wie Popstars vereehrt und viele Jugendlichen wünschen sich nichts mehr, als eine Ausbildung zum Koch zu machen."
Essen wie Gott in Lima
Gut essen konnte man in Peru schon immer, doch inzwischen gibt es einen regelrechten Gourmet-Boom. So kann allein die Hauptstadt Lima drei Lokale vorweisen, die es auf die Liste der 50 weltbesten Restaurants geschafft haben.
Über den schmutziggrauen Strand von Lima trippeln Pelikane. Die Möwen kreischen an der Mole von Chorillos, einem kleinen Fischerhafen an der Pazifikküste von Perus Hauptstadt. Ein Fischer repariert hämmernd sein Boot, ein anderer bessert sein Netz aus. Morgens um fünf und nachmittags um zwei kehren die Männer vom Meer zurück und bringen ihren Fang zur Anlegestelle.
Ceviche - das wohl bekannteste Gericht Perus
"Hier bekommt man alles Mögliche: Barsch, Seezunge, Makrele und die bei uns in Peru sehr beliebte Chita. Den frischsten Fisch isst man hier im Hafen von Chorillos."
José Luis Rivera gehört das kleine Hafenrestaurant "Rosita" hinter der Mole. Plastiktische und -stühle stehen unter einer gelb-grünen Plane, die sich leuchtend vom grauen Himmel abhebt. Außer in den Sommermonaten ist das Wetter in Lima meist trüb. Der kalte Humboldtstrom lässt die warme Pazifikluft zu Nebel kondensieren. Ganz anders ist das Klima in den Anden, wo der Winter sonnig ist und es im Sommer oft regnet. Peru: ein Land mit zahlreichen Klima- und Vegetationszonen.
Restaurantbesitzer Rivera rückt seine weiße Schirmmütze zurecht und geht in die kleine, düstere Küche, um Perus wohl bekanntestes Gericht zuzubereiten.
"Ich mache nun ein Ceviche, aus rohem Fisch, ein ganz traditionelles Rezept. Zuerst schneide ich den Fisch in Würfel, es ist Seebarsch."
Rivera beugt sich über eine Anrichte und zerteilt mit einem scharfen Messer das weiße Fischfilet. Dann wäscht er die Stücke und mischt sie in einer Schüssel mit Salz, frischem Koriander, püriertem Knoblauch und einer kleingeschnittenen Chili-Schote. Schließlich presst er kleine, saftige Limetten aus und gießt den Saft über den rohen Fisch.
"Vier Limetten braucht man für ein Ceviche. Diese hier kommen aus dem Norden Perus, sie sind besonders sauer. Die Säure kocht den Fisch, das dauert nur ein paar Minuten. In der Zeit bereite ich den Teller vor, auf dem das Ceviche serviert wird."
In den Cevicherías essen Einheimische und Touristen
Die traditionelle Beilage des Ceviche besteht aus Stücken eines großkörnigen Maiskolbens und einer Süßkartoffel – beides gekocht. José Luis Rivera richtet alles auf dem Teller an, streut ein wenig Koriander darüber und bringt dem Gast die appetitlich aussehende Mittagsmahlzeit. Sie schmeckt frisch und exotisch. Die Marinade, Tigermilch genannt, verleiht dem Rohfisch eine zarte Konsistenz und eine dezente Schärfe.
Ceviche: Was Gourmets in Deutschland als Gaumenfreude gilt, ist für Perus Küstenbewohner ein Alltagsgericht. Und in der Pazifik-Metropole Lima gibt es immer mehr Cevicherías, in denen Einheimische und Touristen speisen. In den letzten zwanzig Jahren stieg die Zahl dieser Fisch-Restaurants von zweihundert auf rund zwanzigtausend: nur eine Facette des kulinarischen Booms, den Peru erlebt. Lima gilt heute als Gourmet-Hauptstadt Lateinamerikas und kann drei Lokale vorweisen, die es auf die diesjährige Liste der fünfzig weltbesten Restaurants geschafft haben – gekürt vom britischen Fachblatt "Restaurant Magazine".
Das "Central" gilt als das viertbeste Restaurant der Welt
Miraflores ist ein Stadtteil der gehobenen Mittelschicht von Lima. In einer ruhigen Wohnstraße befindet sich das "Central". An der modernen zweistöckigen Villa steht kein Name, sie ist von außen kaum als Restaurant zu erkennen. Laut Restaurant Magazine ist Central das viertbeste Restaurant der Welt und das beste in ganz Lateinamerika. Um hier zu speisen, muss man zwei Monate im Voraus reservieren – das Menü kostet gut hundert Euro, ohne Getränke.
"Wir servieren Ihnen heute das Degustations-Menü Alturas Mater. Es ist eine Reise durch Perus Artenvielfalt", sagt eine junge Frau mit hellblauer Bluse zur Begrüßung. Dann überreicht sie die Speisekarte des Siebzehn-Gänge-Menüs.
"Die Zahlen rechts neben jedem Gang zeigen an, auf welcher Höhe wir uns befinden. Jedes Gericht enthält Zutaten aus dem jeweiligen Ökosystem."
Die kurze Wartezeit bis zum Start der kulinarischen Höhenwanderung lässt Zeit, sich im Central umzusehen. Sechzig Personen können in dem Restaurant gleichzeitig essen. Und wer isst, kann zusehen, wie gekocht wird: eine gläserne Wand gibt den Blick auf die Küche frei. Die Einrichtung: schlicht und edel. Natursteinwände, dunkler Parkettboden, mit hellem Stoff bezogene Designerstühle. Edel ist auch die Präsentation der Speisen – kein Zweifel: hier isst das Auge mit. Es geht los: 120 Höhenmeter.
"Dieser Gang heißt: Mais-Vielfalt. Er besteht aus mehreren Mais-Sorten in verschiedenen Farben, zubereitet in unterschiedlichen Texturen. Dazu gehört ein Trank aus Mais und Tumbo, einer peruanischen Zitrus-Frucht aus der Gattung der Maracuja."
Menü mit 17 Gängen
Die Mais-Vielfalt gehört zu den Vorspeisen, es sind drei Häppchen, die auf einer grauen Steingut-Scherbe liegen. Statt auf elegantem Geschirr werden alle Gänge auf Ton, Holz oder Stein serviert. Die siebzehn Höhenlagen werden bunt gemischt. Nächste Station: Fünf Meter unter dem Meeresspiegel – Beerentang, Schnecken und Krebs. Dann: 2875 Höhenmeter, Knollengemüse wie Oca und kleine Anden-Kartoffeln. 1800 Meter: Quinoa und Rind, kombiniert mit dem Feigenkaktus Ayrampo. Siebzehn kreativ komponierte Miniaturgerichte, Dutzende von Zutaten aus ozeanischen Tiefen, Amazonas-Regenwäldern, grünen Tälern und dem kargen Anden-Plateau.
"In diesem Restaurant wird auf innovative Weise unser Land Peru mit seinem ganzen Artenreichtum dargestellt. Ich habe vorher im Ausland gearbeitet und ein großes Bedürfnis verspürt, meine Ursprünge, meine Wurzeln zu finden."
Sagt Virgilio Martinez, der Spitzenkoch, der das Erfolgsrestaurant Central vor sechs Jahren eröffnet hat: ein schmaler 38-Jähriger mit großen, dunklen Augen. Er trägt ein blütenweißes Hemd mit Stehkragen und ist für ein paar Minuten aus der Küche in die Bar gekommen.
"Früher habe ich Französisch gekocht, Japanisch und Italienisch. Mein Selbstbewusstsein war gering, weil ich als Peruaner nicht peruanisch gekocht habe. Mein Traum war, eines Tages Essen aus meinem Heimatland zu machen."
Gourmet-Köche werden in Peru verehrt wie Popstars
Virgilio Martinez ist berühmt in Peru. In einem Land, in dem die heimische Küche zunehmend identitätsstiftend wirkt, sind Starköche so bekannt wie Fußballspieler. Martinez gilt trotz seines jungen Alters als einer der Pioniere der peruanischen Gourmet-Küche. Sein Handwerk hat er in Spitzenrestaurants überall auf der Welt gelernt, denn als Martinez Mitte der neunziger Jahre beschloss, Koch zu werden, war es undenkbar, sich in Peru ausbilden zu lassen.
"Es waren schwere Zeiten damals in Peru. Das Land wurde von Terrorismus, Bombenanschlägen, Entführungen und Stromausfällen erschüttert. Die Leute gingen kaum in Restaurants. Für junge Menschen gab es wenig Hoffnung, ich musste raus aus Peru. Die Bewohner von Lima haben sich damals nicht für die Anden und das Amazonas-Gebiet interessiert. Diese Regionen Perus waren für uns mit Gefahren, mit Armut verbunden. Heute wissen wir, dass sich dort unser größter Reichtum befindet."
In der Restaurantküche des Central werden die Reichtümer Perus zerlegt, zerrieben, püriert, gequirlt, geformt, mariniert, geräuchert, filetiert, geröstet, gedünstet, gebraten und gebacken. Ein Heer von flinken und hochkonzentrierten Köchen und Köchinnen verwandelt die Ingredienzen aus allen Höhenlagen in kulinarische Kunstwerke. Der Chef Virgilio Martinez läuft durch sein Reich, prüft, korrigiert, gibt leise Anweisungen.
Blaualgen und essbare Tonerde aus den Anden
Karime López gehört zum Team der sechzehn Köche des Central. Die dunkelblonde, rundliche Frau ist Mexikanerin, 32 Jahre alt, und hat in dem Spitzenrestaurant eine besondere Aufgabe:
"Ich bin zuständig für die kreative Entwicklung unserer Menüs. Unser multidisziplinäres Team erforscht die Produkte der peruanischen Natur. Wir reisen durch das ganze Land, um essbare Pflanzen und Früchte verschiedener Ökosysteme kennenzulernen, und zu erfahren, wie man sie verarbeitet."
Karime López sitzt im ersten Stock, wo die experimentelle Arbeit des Restaurants stattfindet. Hinter ihr sind in einem Regal Dutzende von Gläschen aufgereiht, in denen sich Lebensmittel-Proben befinden, darunter Cushuro und Chaco.
"Cushuro sind Cyanobakterien, auch Blaualgen genannt. Sie wachsen in fließendem Wasser, in Höhenlagen. Je nach Lichteinstrahlung sind sie bläulich, grünlich oder fast durchsichtig. An einigen Orten in den Anden gehört Cushuro zu den Zutaten eines traditionellen Eintopfes. Chaco wiederum ist eine essbare Tonerde, ebenfalls aus dem Andengebirge. Wir verwenden sie unter anderem in Desserts und Vorspeisen."
(Virgilio Martinez:) "Unsere Küche ist innovativ und ständig auf der Suche nach neuen Zutaten. Und unsere Produkte sind, bis auf den Wein, zu hundert Prozent peruanisch. Das hilft auch unseren Produzenten. Manche wollten ihre Scholle verlassen und wir haben ihnen gesagt: 'Nein, bleibt dort, eure Arbeit ist wunderbar'."
Bio lohnt sich, auch in Peru
Zu den Zulieferern von Virgilio Martinez' Restaurant gehört der Obst-und- Gemüse-Betrieb "Biohuertos Santa Maria". Samstags hat er einen Stand auf dem ältesten Biomarkt von Lima, der in einem Park im bürgerlichen Miraflores stattfindet. Die Auslage ist üppig und farbenfroh: Süßkartoffeln, Maniok, Blumenkohl in weiß und lila, Avocado, Erdbeeren, Koriander, Minze, Basilikum und Rosmarin – alles aus biologischem Anbau. Doris Silvera trägt eine grüne Schürze, sie hat an ihrem Stand alle Hände voll zu tun.
"Virgilio hat früher hier auf dem Markt bei uns eingekauft, dann hat er sich unseren Obst- und Gemüsegarten angeschaut. Er war so begeistert, dass das Central seitdem bei uns bestellt."
Biohuertos Santa Maria ist eine knappe Autostunde von Lima entfernt. Der Familienbetrieb hat nicht immer ökologisch produziert, wie Doris Silvera erzählt.
"Meine Mutter stieg vor zwölf Jahren auf organische Landwirtschaft um, die wirklich rentabler ist. Vorher war unser Gewinn minimal. Jetzt produzieren wir weniger, aber Bio – und unsere Einkünfte haben sich verbessert."
Dass es in Lima immer mehr Biomärkte gibt, ist auch eine Folge des peruanischen Gourmet-Booms: Gut und gesund essen ist in Mode. Die im vergangenen Jahrzehnt gewachsene Mittelschicht gibt immer mehr Geld für Lebensmittel und Restaurantbesuche aus.
Mehr als 4000 Kartoffelsorten
Der Mercado de Surquillo ist einer der traditionellen Märkte von Perus Hauptstadt. Im Wettstreit um die Käufer bieten resolute Marktfrauen schreiend ihre Produkte feil: Gemüse und Obst, Fisch und Fleisch – alles frisch und günstig. Seit Lima als kulinarische Hauptstadt Lateinamerikas gilt, kommen nicht nur Limas Einwohner, die Limeños, in die malerische Markthalle, sondern auch immer mehr Touristengrüppchen.
Nicolás Rodriguez, ein Mann mit Koteletten und Karohemd, verkauft seit vierzig Jahren auf dem Surquillo-Markt. An seinem Stand liegen in Körben Produkte aus der von Lima mehr als tausend Kilometer entfernten Andenregion.
"In Peru gibt es mehr als viertausend Kartoffel-Sorten, von denen wir aber nur sechs oder acht essen."
Nicolás Rodríguez schneidet eine dunkelrote Knolle auf: das helle Kartoffel-Fruchtfleisch ist rot gesprenkelt.
"Diese Kartoffel wird Stierblut genannt, wegen ihrer roten Farbe. In der indianischen Quéchua-Sprache heißt sie Huayro Macho. Sie schmeckt sehr gut und hat jede Menge Nährstoffe. Man kann sie sogar mit Schale essen – köstlich!"
Im heutigen Peru und Bolivien bauten Andenvölker schon vor Tausenden von Jahren verschiedene Kartoffel-Sorten an. Erst nach der Conquista kam die Kartoffel aus Südamerika nach Europa. Nicolás Rodriguez verkauft auch noch anderes Knollengemüse: Oca, Mashua und Olluco, mit gemusterten Schalen in verschiedenen Rot- und Gelb-Schattierungen. Und natürlich hat er Ají im Angebot, die in der peruanischen Küche unverzichtbaren Chilischoten, von denen es rund fünfzig verschiedene Sorten gibt.
Besonders angesagt ist die Cevichería "La Mar"
Es ist ein Uhr mittags in Lima, die ideale Zeit für ein Ceviche. Besonders angesagt: die Cevichería "La Mar". Alle Tische und auch die Plätze an der Bar sind besetzt, Kellner tragen Platten mit Fisch und Meeresfrüchten aus der Küche. Das Restaurant ist chic und zugleich einfach möbliert, wie ein Strand-Lokal: einfache Holztische und Stühle, keine Tischdecken. Durch das Strohdach fällt Tageslicht in den großen Raum.
La Mar ist das jüngste Projekt des peruanischen Spitzenkochs und Gastronomie-Unternehmers Gastón Acurio: eine edle Version des in allen sozialen Klassen populären Ceviche-Restaurants. Aber nicht nur dieses traditionelle Rohfisch-Gericht kann man hier essen. Ein sachkundiger Kellner bringt eine andere klassische Vorspeise an den Tisch:
"Wir haben hier ein Tiradito: Thunfisch in dünnen Scheiben, mariniert in einer Tigermilch aus Honig und der Zitrusfrucht Tumbo. Dazu servieren wir weiße Rübe, feingeschnitten, und ein Aal-Sößchen. Tiradito ist eine peruanisch-japanische Fusion, denn die Fischschneide-Technik ist japanisch."
Einwanderer haben kulinarische Spuren hinterlassen
Die peruanische Küche ist traditionell eine sogenannte Fusionsküche. Einwanderer aus Japan, China, Spanien oder Italien haben ihre Spuren hinterlassen. Nicht wegzudenken aus der Gastronomie des südamerikanischen Lands sind die Chifas: Lokale, die chinesisch-peruanische Gerichte anbieten.
Ceviche, Fusionsküche und das kulinarische Erbe der indigenen Völker – für Gastón Acurio, Besitzer von mehr als vierzig Restaurants in Peru und im Ausland, macht all dies den großen Reiz des peruanischen Essens aus.
"Es liegt an uns selbst, den Mut, das Selbstbewusstsein und das Vertrauen zu haben, uns und andere davon zu überzeugen, dass die peruanische Küche wunderbar ist."
Weil er solche Dinge sagt und unermüdlich für die heimische Küche wirbt, schätzen die Peruaner Gastón Acurio. Der prominente Koch und Unternehmer gehört heute zu den beliebtesten Personen seines Landes.
"Wir Köche genießen so viel Rückhalt in Peru, weil wir uns ganz klar als Botschafter unseres Landes und unserer Kultur fühlen. Als ich mit neunzehn beschloss, Koch zu werden, war Frankreich mit seiner Haute Cuisine unser Mekka. Doch mir und anderen Köchen ist es gelungen, das wunderbare Handwerk, das wir in Frankreich erlernt haben – die Exzellenz, die Schönheit, die Kreativität und den Stolz – auf Peru anzuwenden: auf unsere eigene Küche, unsere Geschichte, unsere Produkte und unsere Menschen."
Der 47-jährige Gastón Acurio empfängt Besucher in einem von außen unscheinbaren Altbau in Limas Stadtteil Barranco. Die Büroräume seines Gastro-Imperiums sind im Vintage-Stil saniert, vor den Fenstern dröhnt der Großstadt-Verkehr vorbei. Acurio hat ein rundes Gesicht und dunkle Locken, trägt Jeans und T-Shirt. Vor zwei Jahrzehnten hat er in Lima sein erstes Restaurant eröffnet, das Gourmetlokal "Astrid & Gastón", gemeinsam mit seiner deutschen Frau Astrid Gutsche. Acurios Rezeptbücher, aber vor allem seine Auftritte im peruanischen Fernsehen machen den Spitzenkoch zum Star.
"Meine Kochshows und Bücher waren für mich Werkzeuge: nicht, um mich selbst zu promoten, sondern, um allen guten Köchen eine Plattform zu bieten. Warum? Um der peruanischen Küche insgesamt zur Anerkennung zu verhelfen. Früher sahen die Peruaner ihr gutes Essen als etwas Alltägliches – aber nicht als Chance, sich der Welt zu präsentieren."
Dass die Peruaner ihre Küche inzwischen als Chance begreifen, ist für viele Gastón Acurios Verdienst. Der Koch, den der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa sogar als möglichen Präsidenten ins Gespräch gebracht hat, hat eine klare Vision:
"Erstens kann unsere Küche das Image Perus in der Welt erneuern. Zweitens kann sie helfen, unsere Produkte zu verbreiten: unsere Meeresfrüchte, unsere Chili-Soßen oder unseren Pisco-Schnaps. Und drittens macht unsere Küche Peru noch attraktiver für Touristen."
Und noch ein Ziel hat Gastón Acurio vor Augen: die peruanische Küche soll einmal ein ähnlicher Export-Schlager werden wie die japanische oder italienische.
Ausbildungsstätte für Köche und Kellner im Armenviertel
Eine Fahrt in die Außenbezirke der Küstenstadt Lima bedeutet: eine Fahrt in die Wüste.
Die Neun-Millionen-Metropole ist von einer kargen, sandigen Landschaft umgeben. Vierzig Kilometer nordöstlich von Lima erstreckt sich die gigantische Armensiedlung Pachacutec, bewohnt von rund zweihunderttausend Menschen.
Pachacutec, benannt nach einem Inka-Herrscher, ist auf sandige Hügel gebaut. Die prekären Häuschen aus Sperrholz heben sich kaum ab vom beige-grauen Hintergrund. In dieser trostlosen Umgebung befindet sich eine der angesehensten Ausbildungsstätten für Köche und Kellner in Peru.
Sie gehört zum Campus der Stiftung Pachacutec, einer Ansammlung flacher Backsteinbauten, in denen Jugendliche aus armen Familien auch eine Friseur-, Elektriker- oder PC-Ausbildung machen können.
In der modernen und blitzsauberen Lehr-Küche der Koch-Schule bereiten drei Schüler ein "Saltado de pollo" zu, typisches Gericht der peruanisch-chinesischen Fusionsküche. Sie schneiden Hähnchenbrust, Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln und gelbe Chilischoten in Streifen, hacken Knoblauch und Koriander-Blättchen.
"Grundlegend in der peruanischen Küche ist, dass die Speisen gut gewürzt werden: fast immer mit Zwiebeln, Knoblauch und einer guten Chilischote. Und bei den meisten Gerichten darf ein Stück Fleisch oder Huhn nicht fehlen."
Jean Pierre Fernandez ist ein selbstbewusster Zwanzigjähriger, von oben bis unten weiß gewandet: weiße Haube, weißes Hemd und weiße Koch-Schürze.
"Unsere Geschichte und Gastronomie gehören zusammen"
Jean Pierre hat alle Zutaten in eine gusseiserne Pfanne mit sehr heißem Öl geschüttet und ein wenig Essig hinzugegeben. Flammen schlagen aus der Pfanne, sie sorgen für das leichte Räucher-Aroma dieses Gerichts. Nach wenigen Minuten ist das Saltado de Pollo fertig. Der Schüler richtet das Hähnchengericht, in dem Chilischoten und Tomaten farbliche Akzente setzen, auf einem Teller an.
"Als ich klein war, dachte ich: Wow, wie toll sind die USA, und ich, ich komme bloß aus Peru. Später verstand ich, wie viel Peru zu geben hat. Das Beste von allem wollte ich zu meinem Beruf machen: unsere Küche. Heute identifiziere ich mich voll und ganz mit meinem Land. Viele Menschen kennen Peru wegen der Geschichte der Inkas, wegen Machu Picchu. Unsere Geschichte und unsere Gastronomie gehören zusammen, und beides lässt mich stolz darauf sein, Peruaner zu sein."
Nach der Ausbildung will Jean Pierre Fernandez Erfahrung in Restaurants im Ausland sammeln – dafür könnte er ein Stipendium der Koch-Schule bekommen. Schirmherr der Ausbildung ist der Unternehmer Gastón Acurio. In seinen Restaurants, aber auch denen anderer Spitzenköche, machen die Schüler Praktika.
In Peru fehlt es an Mittelklasserestaurants
Ignacio Medina – hochgewachsen, Glatze, graumelierter Bart – leitet in Pachacutec die Kellner-Ausbildung, ehrenamtlich. Im Hauptberuf ist er Restaurant-Kritiker. Seit vier Jahren lebt Medina in Peru und kennt die Gastronomie-Szene in- und auswendig – auch ihre Herausforderungen.
"Spitzenköche wie Virgilio Martinez und Gastón Acurio stammen aus begüterten Familien, die ihre Elite-Ausbildung im Ausland bezahlen konnten. Aber auch Jugendliche aus der Mittel- und Unterschicht müssen die Chance bekommen, sich im Ausland zu perfektionieren. Denn sonst wird die peruanische Gastronomie nicht weiter wachsen."
Ignacio Medina legt den Finger in eine Wunde: In Peru wachsen Koch-Schulen wie Pilze aus dem Boden, Zehntausende von Jugendlichen eifern den Spitzenköchen nach, aber ihre Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten sind begrenzt.
"Peru hat fünfzigtausend Koch-Schüler! Das ist viel für ein Land, dessen Wirtschaftswachstum noch nicht konsolidiert ist. Die Löhne in der Gastronomie sind niedrig. Auch im Ausland sind Peruaner oft billige Arbeitskräfte. Für unsere Schülerwollen wir eine andere Perspektive. Sie sollen eine gute, internationale Ausbildung bekommen und das Erlernte in Peru einbringen. Die peruanische Haute Cuisine haben wir schon. Was wir dringend brauchen, sind Qualitätsrestaurants im mittleren und unteren Segment."
Kulinarischer Boom hat das Selbstbewusstsein Perus gestärkt
"La Red" ist ein solches Mittelklasse-Restaurant. Es befindet sich im Stadtteil Miraflores, öffnet nur mittags und ist immer gut besucht. Eine einfache Hausfrau aus Lima hat das Lokal vor mehr als dreißig Jahren eröffnet. Isolina Vargas, die alle Doña Isolina nennen, war damals vierzig, alleinerziehende Mutter und brauchte dringend eine Einnahmequelle.
"Ich fing mit Ceviche an. Eines Tages kam ich auf die Idee, auch Gerichte anzubieten, die ich zuhause für meine Kinder gekocht habe: grüne Bandnudeln mit Schnitzel, oder Rind mit Koriandersoße und weißen Bohnen. Die Leute kamen in mein Restaurant, nur um diese Hausmannskost zu essen."
Mit ihrer deftigen Lima-Küche hatte Doña Isolina solchen Erfolg, dass sie und ihre Familie heute noch zwei andere Restaurants betreiben. Der Durchbruch kam, als Gastronomie-Papst Gastón Acurio das Lokal La Red 2002 im Fernsehen empfahl. Plötzlich standen Schlangen vor dem Eingang, erinnert sich Juan, Sohn von Doña Isolina.
"Acurio hat als erster das Thema der peruanischen Küche richtig ernst genommen. Dank ihm ist unsere ganze Gastronomie gewachsen. Und wir Peruaner haben heute einen positiveren Blick auf unser Land."
Zukünftig Ceviche vegan?
Fünf bis sechs Tonnen Fisch kommen jeden Tag im Fischerhafen Chorillos an. An Perus dreitausend Kilometer langer Pazifikküste gibt es unzählige solcher Häfen. Die Fischer, die die Teller der Peruaner und Touristen füllen, arbeiten unter harten, oft gefährlichen Bedingungen. Und sie konkurrieren mit der industriellen Fischerei für die Herstellung von Fischmehl, Öl und Konserven. Das Meer wird ausgebeutet, seine Schätze sind nicht unendlich. Wie lange kann das so weitergehen? Spitzenkoch Gastón Acurio denkt bereits weiter.
"Alle wollen jeden Tag Ceviche essen. Die Welt hat angefangen, unser Ceviche zu lieben. Also müssen wir unseren Restaurantbesuchern erklären, dass Ceviche lediglich ein Konzept ist. Ceviche muss nicht aus Fisch bestehen, es kann auch mit Kartoffeln, Artischocke oder Süßkartoffeln zubereitet werden."
In Zukunft also Ceviche vegan? Gaston Acurio lässt keinen Zweifel daran, dass auch dies köstlich schmecken wird. Jedenfalls dann, wenn peruanische Köche Hand anlegen.