Dubiose Dschungel-Droge mit Nebenwirkungen
Wohlhabende Reisende aus Europa und den USA schwören auf die spirituelle Droge Ayahuasca. Von dem Heilmittel peruanischer Schamanen versprechen sie sich Gesundheit und Erleuchtung. Doch der Pflanzen-Cocktail hat gefährliche Nebenwirkungen.
"Dieses Lied ist eine Medizin", sagt der 33-jährige Marcial Guerra. "Das ist der Vogel Huancabi, sein Gesang hilft dir, Deine emotionalen Probleme zu ordnen, zusammen mit der Wirkung des Ayahuasca." Marcial Guerra ist ein "curandero", ein Heiler, der sich mit den Pflanzen, Bäume, Rinden und Wurzeln seiner Heimat im peruanischen Regenwald auskennt. In Jeans und T-Shirt gekleidet, ein wenig stämmig gebaut, hat er so gar nichts von einem exotischen Schamanen an sich.
Dabei glaubt Marcial Guerra fest daran, dass jede Pflanze einen Geist hat, und dass dieser beschworen werden muss, damit eine Pflanze ihre heilende Wirkung entfalten kann. Dazu dienen die "Icaros", die Lieder, die er singt oder pfeift, während seine Patienten einen Pflanzentrunk einnehmen, den er zubereitet hat.
Vogelrufe wecken den Geist der Pflanze
Marcial Guerra: "Ein Icaro-Gesang ist der Geist einer Pflanze, er verbindet dich mit den Vögeln, durch den Gesang erreichen wir, dass der Geist einer Pflanze wirkt."
Curandero, "Heiler", wird man nicht, indem man eine Schulbank drückt oder auf die Universität geht. Heiler wird man, wenn ein anderer Heiler einen unter die Fittiche nimmt und wenn man die Wirkung der Pflanzen am eigenen Leib erfährt. Bei Marcial Guerra waren es sein Vater Pedro Guerra, ein bekannter Curandero, und sein Grossvater, die ihn begleitet haben, als er zweimal ein Jahr lang als Einsiedler im Wald lebte, sich nur von gekochten Bananen und Fischen ernährte und die Wirkung der Pflanzen ausprobierte.
Marcial Guerra: "Die Pflanzen lehren mich. Die Verbindung zum Geist der Mutter Pflanze bekommt man nur, wenn man fastet und die spirituelle Verbindung sucht. So wie jeder Mensch eine Seele hat, so hat auch jede Pflanze eine Seele. Die Pflanzen suchen sich die Menschen mit der Begabung, diese Energien zu spüren."
Wellness-Touristen versprechen ein gutes Geschäft
Früher mussten die "Curanderos" von Iquitos noch einem Brotberuf nachgehen, weil ihre Patienten aus den Dörfern arm waren. Seit sich immer mehr zahlungskräftige Europäer und Nordamerikaner auf der Suche nach Erleuchtung und Heilung in den Regenwald begeben, lässt sich damit ein Geschäft machen. So wurde auch Marcial Guerra zum Jungunternehmer. Auf einem drei Hektar großen Gelände außerhalb des Dorfes Timashiyacu hat er ein Gesundheitszentrum mit mehreren Holzhütten, einem Ess- und einem Gemeinschaftsraum errichtet. Hier "kuren" deutsche und Schweizer Touristen, sie halten Diät, nehmen die verschiedenen Pflanzenzubereitungen ein - und wenn sie wollen, probieren sie auch Ayahuasca.
In Deutschland ist von den vielen Pflanzen des Regenwaldes nur die Ayahuasca-Liane bekannt. Auch Marcial Guerra benutzt sie in seiner Naturapotheke. Allerdings nur sehr behutsam - und ohne das beigemengte Kraut Chacruna, das die Halluzinationen auslöst. Marcial Guerra kritisiert, dass viele Touristen nur Visionen suchen und keine ganzheitliche Heilung.
Der schnelle Weg zur Erleuchtung ist riskant
Marcial Guerra: "Das ist pures Geschäft. Sie lesen ein Buch, hören viel über Ayahuasca, aber haben keine eigene Erfahrung mit Fasten und Einsiedelei, machen keine Lehrzeit durch mit den Geistern im Rahmen einer Diät."
Allein im kleinen Tamshiyacu soll es 23 Ayahuasca-Zentren geben, im ganzen Departament Loreto sind 40 solcher Einkehrhäuser, in denen Ayahuasca-Zeremonien angeboten werden, registriert. Das große Geschäft mit dem Ayahuasca machen aber nicht die peruanischen Heiler, sondern die Ausländer. Die meisten Heilungszentren gehören Europäern oder Nordamerikanern, die wissen, wie man englischsprachige Webseiten professionell gestaltet und wie man das zahlungskräftige Publikum in ihren Herkunftsländern anlockt.
Einer der ersten "Gringos", die in Iquitos ein Ayahuasca-Zentrum aufgemacht haben, ist Alan Shoemaker. Der 65-jährige groß gewachsene schlaksige Nordamerikaner mit der Nickelbrille stammt aus Kentucky. In seinem Haus in einem Vorort von Iquitos sitzt er hinter einem abgewetzten Schreibtisch. Im Garten köcheln auf offenem Feuer Ayahuasca-Lianen und Chacruna-Blätter. Alan Shoemaker schwört auf Ayahuasca, seit er es vor vielen Jahren erstmals in Ecuador eingenommen hat.
Kräuter-Cocktail schafft das Ego aus dem Weg
Shoemaker: "Ayahuasca erlaubt deinem Geist, Antworten zu finden, zu denen Du normalerweise keinen Zugang hast. Diese Antworten kommen von sogenannten Schutzgeistern, die jeder hat und die zu Dir sprechen, aber Dein Ich will sie nicht hören. Ayahuasca ist wie ein Vehikel, um Dein Ich aus dem Weg zu schaffen und den direkten Zugang zu den Schutzgeistern zu erlauben."
Shoemaker gibt aber auch zu, dass die Einnahme von Ayahuasca mit dem halluzinogenen Chacruna Risiken birgt. Immer wieder kommt es zu Zwischenfällen, sogar mit Todesfolge. Denn die Bezeichnung "Heiler" ist in Peru nicht geschützt. Jeder darf hier Ayahuasca oder einen anderen Pflanzentrunk verabreichen. Wenn dann etwas passiert, ist dies ein Fall für die Staatsanwaltschaft.
So auch im Dezember 2015, als nach einer Ayhuasca-Zeremonie ein Kanadier im Streit einen Briten erstach. Die 37-jährige Staatsanwältin Diney Zamora ist bis heute mit dem Fall beschäftigt. Sie findet, dass der Ayahuasca-Boom in ihrer Stadt überhandgenommen habe.
Viele Touristen suchen bei Heilern nur den Rausch
Zamora: "Eine grosse Anzahl von Touristen sehen die Heilungszentren als Freifahrtschein, um Drogen zu nehmen. Dabei ist die Wirkung von Ayahuasca und Chacruna stärker als die von Marihuana oder Kokain. Die Fremden kommen und dröhnen sich voll, als ob es das Natürlichste der Welt wäre. Die Ausländer, die dahinter stehen, verdienen gutes Geld mit diesen sogenannten Heiler-Diensten."
In Peru gilt Ayahuasca als schützenswertes traditionelles Kulturgut. In Deutschland dagegen fällt das im Chacruna-Blatt enthaltene DMT unter das Betäubungsmittelgesetz und ist verboten. Das Ayahuasca weckt aber auch das Interesse vieler Wissenschaftler. Dr. Milan Scheidegger ist Psychiater und Neurowissenschaftler an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Zürich. Er bereitet eine Studie über Ayahuasca vor.
Mediziner erforschen die Kräfte der Dschungelpflanze
Scheidegger: "Uns interessiert, die reinen Wirkstoffe zu extrahieren und mechanistisch zu verstehen, wie die Wirkung von Ayahuasca im Gehirn zustande kommt. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Ayahuasca die kognitive Flexibilität steigern kann oder auch achstsamkeitsbasierte Fähigkeiten aus dem Bereich Mindfulness steigern kann, dass es Perspektivenwechsel anregen kann, zu Gefühlen von Mitgefühl oder Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz beitragen kann."
Vielleicht wird Ayahuasca eines Tages in Europa ganz legal im Rahmen einer Therapie eingesetzt. Bisher finden Ayahuasca-Zeremonien in Deutschland jedoch im privaten, halb-legalen Raum statt. Meist wird dazu ein Heiler aus Südamerika eingeflogen. Pedro Guerra, der Vater von Marcial Guerra, war schon oft in Europa und Nordamerika und hat in Peru unzählige "Gringos" behandelt.
Pedro Guerra: "In Europa haben viele Menschen emotionale Probleme, niemand ist glücklich, wenn er körperlich oder seelisch nicht im Lot ist. Die Menschen aus anderen Ländern sind emotional sehr empfindlich, es geht ihnen manchmal sehr schlecht. Dafür gibt es die Icaro-Gesänge. Der Heiler muss seine Gesänge genau kennen, sie sind für ihn das, was für einen Arzt sein Stethoskop und sein Skalpell sind. Um eine Person ins Lot zu bekommen, benutze ich einen Gesang. Das grosse Problem ist, dass die Menschen in Europa die alte Weisheit verloren haben, denn überall auf der Welt gab es diese Weisheit, Menschen mit grosser Weisheit, auch wenn sie nicht einen Tag in der Schule waren. Es ist traurig, denn wozu dient dir all dein Geld, wenn Du nicht gesund werden kannst."