Sojaanbau in Argentinien
Argentinien ist einer der größten Soja-Exporteure. Die Folgen für Menschen und Umwelt sind verheerend. © imago images / Zuma Wire / Patricio Murphy
„Wir wurden vergiftet“
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Während in Europa immer mehr Pestizide verboten werden, machen deutsche Firmen mit ihnen in Argentinien gute Geschäfte. Als Kinder an Krebs starben, haben sich die Mütter des Ortes Ituzaingó zusammengeschlossen, um gegen die Anbaumethoden zu kämpfen.
Amboy, ein kleines Dorf in Argentinien: Zwei Autostunden von Córdoba entfernt sieht man Sojafelder soweit das Auge reicht. In der Nähe befindet sich der zweitgrößte Stausee der Provinz, verseucht mit Quecksilber und Arsen.
„Wir stehen hier am Ufer des Stausees Río Tercero und gleich neben uns befindet sich eine Soja-Plantage“, sagt die Bewohnerin des Dorfs, Maria Godoy, und deutet auf das Wasser. „Es gibt ein Gesetz in Córdoba, das verbietet, neben Gewässern Pestizide anzuwenden. Aber sie machen es trotzdem.“
Auf einer Fläche dreimal so groß wie Bayern wird in Argentinien Soja angebaut. Von den jährlich 53 Millionen produzierten Tonnen stammt ein Drittel aus der Provinz Córdoba.
Tochter starb an Nierenfehlbildung
Sie ist nicht nur eines der wichtigsten Sojaanbaugebiete des Landes, sondern auch das Zentrum des Widerstands gegen Umweltgifte, die auf den Plantagen eingesetzt werden. Angeführt wird er von Frauen wie María Godoy und Sofía Gatica. „Ich habe 50 Meter von einem Soja-Feld entfernt gewohnt“, sagt sie. „Sie haben mit Pestiziden gesprüht, und jedes Mal, wurden die Kinder krank. Meine Tochter ist an einer Nierenfehlbildung gestorben. Den Tod des eigenen Kindes nimmt man nicht einfach so hin. Also habe ich nachgeforscht, was hier passiert. Viele Kinder in der Nachbarschaft haben Masken getragen, weil sie Leukämie hatten, und die Mütter Kopftücher wegen der Chemotherapie.“
Sofía Gatica lebte zum Beginn des Soja-Booms in den 1990er- und 2000er-Jahren in Ituzaingó am Stadtrand von Córdoba. Sie schloss sich mit 15 weiteren Mütter zusammen, um sich gegen den Einsatz von Umweltgiften auf den Sojaplantagen neben ihren Häusern einzusetzen.
142 Krebstote im Viertel
Heute sind die Frauen in ganz Argentinien bekannt: die Mütter von Ituzaingó. Sie protestierten auf den Straßen, sammelten Beweise und dokumentierten Krankheiten: Hautirritationen, Asthma, Fehlbildungen bei Neugeborenen oder Krebs. Nach einem jahrelangen Kampf erreichten die Frauen vor Gericht, dass Pestizide nur zweieinhalb Kilometer entfernt von Wohnhäusern eingesetzt werden dürfen. Zwei Männer wurden zu drei Jahren Haft verurteilt, weil sie Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel auf die Bewohner des Viertels Ituzaingó gesprüht hatten. Zu dem Zeitpunkt gab es bereits 142 Krebstote im Viertel. Das war 2012.
Im selben Jahr kündigte Monsanto an, Argentiniens größte Fabrik für genetisch verändertes Saatgut in Malvinas in der Provinz Córdoba zu bauen. Die Mütter von Ituzaingó besetzten gemeinsam mit den Bewohnern des Ortes fünf Jahre das Grundstück, auf dem die Fabrik gebaut werden sollte. „Es entstand eine große landesweite Bewegung“, erzählt Gatica. „Wenn in Malvinas etwas passierte, bewegte sich ganz Argentinien. Wir wurden geschlagen und bedroht. Aber dank des Durchhaltevermögens von uns allen haben wir es trotzdem geschafft.“
Höchster Glyphosat-Verbrauch pro Einwohner
Monsanto musste den Bau der Fabrik abbrechen. Aber der Kampf der Frauen aus Córdoba ist nicht zu Ende. 2016 bahnte der Bayer-Konzern den Kauf des Unternehmens an – inzwischen hat der Leverkusener Chemie-Riese den Namen Monsanto abgelegt. Geblieben ist der umstrittene Unkrautvernichter Glyphosat und das riesige Geschäft in Argentinien: Jährlich werden hier über 200 Millionen Liter versprüht, damit ist Argentinien das Land mit dem höchsten Glyphosat-Verbrauch pro Einwohner weltweit. Und auch mit gentechnisch verändertem Soja macht Bayer gute Gewinne.
84 Prozent gehen in den Export: als Bohne, Schrot, Öl oder Biodiesel. Während Sojabohnen und Soyaöl nach China exportiert werden, landet der Sojaschrot in Europa in den Futtertrögen in der Massentierhaltung.
Marcos Filardi ist Menschenrechtsanwalt und Mitglied des Lehrstuhls für Ernährungssouveränität der Universität von Buenos Aires. Auf der Buchmesse der Hauptstadt stellt er sein Buch vor, in dem er die Landwirtschaft kritisiert, die sich in Argentinien seit den 1990er-Jahren etabliert hat. „Dieses Modell des Agrobusiness, das von genmanipuliertem Saatgut und Agrargiften abhängt, startete mit zwei Versprechen“, sagt er. „Erstens sei diese neue Technologie notwendig, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen, und Argentinien müsse dazu einen Beitrag leisten. Das ist ein Mythos, denn der Hunger in der Welt hat nicht abgenommen, sondern sogar zugenommen. Das zweite Versprechen war, dass der Einsatz von Agrargiften abnehmen würde. Aber auch das war ein Mythos, denn er hat seit 1996 um 1500 Prozent zugenommen.“
Deutsche Firmen verkaufen Pestizide in Lateinamerika
Vier transnationale Unternehmen kontrollieren derzeit den weltweiten Pestizidmarkt. Zwei davon kommen aus Deutschland: Bayer und die BASF. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat ausgerechnet, dass die beiden Konzerne rund die Hälfte des weltweiten Jahresumsatzes mit Pestiziden erwirtschaften. Während in Europa immer mehr Pestizide verboten werden, verkaufen die Unternehmen sie stattdessen in Lateinamerika.
Deutsche Umweltorganisationen fordern deshalb den Exportstopp giftiger Wirkstoffe ins Ausland. Doch politisch ist das derzeit kaum ein Thema. Sofia Gatica, deren Tochter an einer Nierenfehlbildung gestorben ist, will deshalb weiterkämpfen. „Die Krankheiten und Fehlbildungen tauchen erst Jahre später auf. Wir wurden vergiftet und wir werden weiterkämpfen. Das hier wird nicht aufhören, nur, weil an einem bestimmten Ort nicht mehr mit Pestiziden gesprüht wird. Es wird erst aufhören, wenn die genetisch veränderten Pflanzen aus Argentinien verschwinden.“