Pestizide mit der Kraft der Zitrone

Von Udo Pollmer |
Den neuen Daten des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zur "Nationalen Berichterstattung Pflanzenschutzmittel-Rückstände" liegen vor. Da steht zum Beispiel drin, dass tierische Lebensmittel insgesamt weniger Rückstände enthalten als pflanzliche.
Eindeutig am besten schnitt Säuglingsnahrung ab, gefolgt von Bio. Am schlechtesten waren die Ergebnisse bei Maracujas, frischen Kräutern, Grünkohl, Johannisbeeren und - Zitrusfrüchten.

Die Zitruswirtschaft wird sich damit wohl noch lange herumschlagen müssen: Weil sich neben den üblichen Krankheiten und Schädlingen breitet sich die Huanglongbing rasant aus. Das ist die Gelbe Drachenkrankheit, eine bakterielle Infektion, die von Zitrusflöhen übertragen wird und zu ungenießbaren, kleinen grünen Früchten führt. Es kein Mittel dagegen, außer die aggressive chemische Bekämpfung des Zitrusflohs und die sofortige Vernichtung der betroffenen Plantagen. Zigmillionen Bäume sind der Krankheit bereits zum Opfer gefallen. Ganze Landstriche mussten den Zitrusanbau völlig aufgeben.

In den USA gilt der Erreger als so gefährlich wie Beulenpest oder Milzbrand. Er gilt dort als Biowaffe; nur noch Hochsicherheitslabors dürfen damit arbeiten. Bisher ist keine resistente Sorte bekannt, nun hoffen die Landwirte in aller Welt auf Gentechnik und neue Pestizide, um ihre Pflanzungen zu retten. Vielleicht lässt sich damit ja genug Zeit gewinnen, um biologische Methoden zu entwickeln.

Insofern sind die Tabellen des Bundesamtes mit den Pestizidrückständen nur eine Art Wetterleuchten, das am Horizont der Verbraucherpolitik seine Schatten wirft. Zugegeben: Viele Rückstände haben noch einen anderen Hintergrund. Zitrusfrüchte verschimmeln leicht. Bereits kleine Schalenverletzungen genügen, und die erste befallene Frucht steckt die gesunden Orangen an. Deshalb werden Zitrusfrüchte auch noch vor dem Transport mit Pestiziden behandelt.

Zunächst werden die Orangen mit Ethylen entgrünt, das ist ein Pflanzenhormon, dann in Schimmelschutz getaucht und schließlich gewachst. Manche Obstbauern sprühen ihre Früchte noch kurz vor der Ernte auf dem Baum ein, andere gegeben die Mittel dem Wachs zu, wieder andere imprägnieren die Papiereinlagen in den Kisten. Bekanntlich werden Schimmelpilze nach einiger Zeit resistent, also werden die Mittel immer wieder mal gewechselt. Früher fand man oft zuviel Benomyl auf der Schale, heute sind es Guazatin und Imazalil. Dadurch versuchen die Betriebe, die erlaubten aber deklarationspflichtigen Mittel wie Thiabendazol oder Orthophenylphenolat zu umgehen.

Könnte man die Früchte nicht mit biologischen Mitteln vor Schimmel schützen? Schließlich bildet die Schale auch selbst etwas Schimmelschutz. Namentlich das Limonen und das Citral. Limonen ist ein Insektengift, es tötet beispielsweise Flöhe. Citral hingegen macht vielen Schimmelpilzen den Garaus. Also ein typischer Fall von natürlichen Pestiziden. Und wo werden diese Pestizide verwendet? Nein, nicht um Orangen haltbar zu machen, ha - um Geschirrspülmittel mit Zitronenduft zu versehen.

Und jetzt kann es sein, dass Sie Ihren Ohren nicht mehr trauen: Denn genau vor dieser Verwendung warnt nun das Umweltbundesamt. Ich zitiere: "Limonen ist ein Gefahrstoff, der als sensibilisierend und als umweltgefährlich eingestuft ist. Es kann Allergien auslösen und ist sehr giftig für Wasserorganismen. Citral ist als Stoff sensibilisierend und kann somit ebenfalls Allergien auslösen." Aha, deshalb sind diese Stoffe nicht als Pflanzenschutzmittel zugelassen. Aber für Küche und Kosmetik sind sie gut genug – auch wenn die Zitruskraft beim Putzen außer Allergien rein gar nichts bringt.

Wer also in seiner Küche das Geschirr mit Zitrusölen spült, kann sich ganz gelassen zurücklehnen, wenn wieder einmal irgendwo Spuren von Pflanzenschutzmitteln nachgewiesen werden. Mahlzeit!


Literatur
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Nationalen Berichterstattung Pflanzenschutzmittel-Rückstände 2008. Presseinformation 4. Januar 2010
Albrigo LG et al: Critical pests and diseases imperil world citrus. Chronica Horticulturae 2009; 49: 11-14
Deus-Neumann B: Gelbe Drachenkrankheit bedroht Zitrusanbau. Naturwissenschaftliche Rundschau 2008; 61: 583-584
Scordino M: LC/MS/MS detection of fungicide guazatine residues for quality assessment of commercial citrus fruit. European Food Research Technology 2008; 227:1339–1347
U.S. Environmental Protection Agency: R.E.D. Facts Limonene. EPA-738-F-94-030, 1994
Rodov V: Preformed antifungal compounds of lemon fruit: Citral and its relation to disease resistance. Journal of Agricultural & Food Chemistry 1995; 43: 1057-1061
Umweltbundesamt: Mit Zitronen gehandelt: Nicht jeder Naturstoff in Reinigern ist gesund und umweltfreundlich. Presseinformation 24/2009