Pestizidfreies Gärtchen auf dem Dach
China hat bis jetzt nicht mit dem enormen Umweltbewusstsein seiner Mitbürger Schlagzeilen gemacht, ist aber immerhin der fünftgrößte Bio-Produzent der Welt. 1,5 Millionen Hektar Ackerland werden hier im Öko-Landbau bewirtschaftet.
Schätzungsweise 50 Millionen Menschen aus der gesundheitsbewussten chinesischen Mittelschicht kommen als Bio-Konsumenten in Frage, also ein Markt mit Zukunft. Umso mehr als konventionell hergestelltes Obst und Gemüse oft extrem belastet ist. Die Stadt Guangzhou, ganz im Süden des Landes hat sich zum Zentrum einer neuen Bio-Welle entwickelt.
Die Kiste mit Blumenerde wiegt schwer. Der schmächtige Yang Guo schleppt sie in den vierten Stock. Die Kundin dort wartet schon auf ihre neue Lieferung. Olympic Garden - so heißt die Wohnanlage im Süden von Guangzhou, der 10-Millionen-Metropole am Perlfluss, 130 Kilometer nordwestlich von Hongkong. Mehrstöckige Häuser liegen inmitten üppiger subtropischer Vegetation. Kleine Palmenhaine spenden Schatten. Eine Wohnung hier kostet umgerechnet 170.000 Euro. Hier leben wohlhabende Leute.
Die Kundin, Frau Wang, freut sich über die Lieferung, führt Yang Guo gleich hinauf auf die Terrasse. Hier gedeiht auf acht Quadratmetern ein kleiner Bio-Gemüsegarten - in großen rechteckigen Pflanzkästen. Yang Guo, der Gärtner, hat ihn angelegt. Er stellt den Kasten an der einzigen noch freien Stelle ab:
"Wir benutzen solche Kästen. Die Pflanzerde hier ist 15 Zentimer tief, für Blattgemüse. Kein Kunstdünger, keine Verunreinigung. Dort die großen Kisten sind für alle Art von Gemüse. Da haben wir Gurken und gelbe Melonen: Die sind schon weit gereift. Da die Tomaten auch. Die Kürbisse sind schon gelb geworden. Und da drüben sind noch ein paar Blumen. Die sehen schön aus."
Seit Januar erst betreibt Yang Guo seinen Bio-Bepflanzungsdienst, noch im Nebenjob. Doch jede Woche melden sich neue Kunden, erzählt er. Kreuz und quer tourt er durch Guangzhou, richtet Bio-Gärten auf Balkonen und Dachterrassen ein, in Vorstädten wie hier oder auf dreißigstöckigen Wohntürmen im Zentrum. Seine Kunden sind Leute wie Frau Wang. Sie ist 35 Jahre alt, Hausfrau mit einem 11-jährigen Sohn und einem gut verdienenden Ehemann, der im Maschinenhandel tätig ist. Sie gehört zur oberen Mittelschicht. Diese Bevölkerungsgruppe in China hat nicht nur Geld, sondern auch ein neues Gesundheitsbewusstsein. Ihr kleines Bio-Gärtchen hat Frau Wang umgerechnet 220 Euro gekostet:
"Jeder weiß ja aus den Medien von den Problemen mit der Lebensmittelsicherheit. Dieses oder jenes Gemüse überschreitet die Grenzwerte und so weiter. Vor allem bei Rohkost mache ich mir Sorgen, Salat zum Beispiel. Dieses künstlich gedüngte Gemüse schmeckt anders als das, was wir als Kinder gegessen haben."
Die meisten ihrer Freundinnen, erzählt Frau Wang, bauen jetzt Bio-Gemüse auf ihren Balkonen und Dachterrassen an. Yang Guo bestätigt diesen Trend:
"Viele reiche Leute in China entwickeln jetzt ein Bewusstsein für ihre Umwelt. Sie haben große Häuser oder Dachterrassen. Wir bepflanzen ihnen die. Viele waren früher Bauern. Jetzt leben sie in einer Stadt und sehen weit und breit kein Feld. Die fühlen sich besser, wenn sie grüne Pflanzen sehen."
Vor allem, wenn es Bio-Pflanzen sind. Biologisch erzeugte Nahrungsmittel erleben einen Boom in China – und das längst nicht nur auf Privatbalkonen. Pro Jahr werden auf dem heimischen Markt Bio-Produkte im Wert von rund 400 Millionen Euro verkauft, rechnet die chinesische Zertifizierungsagentur OFDC vor. Das Volumen dürfte sich in den kommenden Jahren verfielfachen, glauben Branchenvertreter.
Die Ursachen liegen auf der Hand. Chinesische Konsumenten haben allen Grund, Bio einzukaufen, sagt Jonathan Wong vom Hongkonger Organic Resource Centre:
"Alle Lebensmittel, die etwa in den USA oder in Deutschland in den Supermärkten erhältlich sind, erfüllen die offiziellen Qualitätsstandards. Man kann sie beruhigt konsumieren. In China ist das nicht der Fall. Lebensmittel ohne Bio-Zeichen oder ein anderes Zertifikat können stark mit Pestiziden oder Zusatzstoffen belastet sein."
Einer Greenpeace-Studie zufolge verfügt die Volksrepublik über weniger als 10 Prozent der weltweiten Ackerfläche, verbraucht aber 35 Prozent des Stickstoffdüngers. Ähnlich sieht es beim Pestizideinsatz aus. Viele Lebensmittel sind stark chemisch belastet. Kriminelle Machenschaften verschärfen die Lage noch.
Unzählige Skandale haben das Vertrauen der Verbraucher in ihre Lebensmittel erschüttert – allen voran der Milchskandal Ende 2008. Mehrere Firmen hatten ihren Milchprodukten den Stoff Melamin beigemischt, um einen höheren Eiweißgehalt vorzutäuschen. 300.000 Menschen kamen zu Schaden. Solche Fälle geben der Bio-Branche Auftrieb.
Die meisten Bio-Anbauflächen Chinas liegen im Südwesten des Landes, in rückständigen Provinzen wie Yunnan oder Guangxi. Diese Regionen sind wenig industrialisiert, das heißt Boden und Luft sind sauber. Doch auch außerhalb der Metropole Guangzhou, im verstädterten Perlflussdelta gibt es Bio-Betriebe.
Der Terrassenbepflanzer Yang Guo etwa bezieht seine Ware im Ort Conghua, anderthalb Autostunden vom Stadtzentrum entfernt. Dort befindet sich der landwirtschaftliche Betrieb von Au King Tai. Mit 140 Mitarbeitern bewirtschaftet dieser eine Anbaufläche von 130 Hektar. Das Bio-Geschäft boomt, bestätigt er. Der Anbau aber sei problematisch. Hier in der Region sei es schwierig, noch geeigneten sauberen Boden zu finden.
"Das Ackerland hier in der Provinz Guangdong nimmt rapide ab. Die Industrie verschmutzt den Boden, das ist ganz klar. Deshalb mussten wir in eine etwas entlegene unverdorbene Gegend der Provinz ziehen. Wir sind in Conghua, weil hier Trinkwasser gewonnen wird. Die Regierung achtet auf eine saubere Umwelt. Deshalb haben wir hier die Biofarm angelegt."
Einer Studie des Umwelt- und Bodenwissenschaftlichen Instituts von Guangdong zufolge sind 40 Prozent des Ackerlandes in der Provinz mit Schwermetallen verunreinigt. Angeblich nicht so hier in Conghua. Der Ort liegt in einem Tal in den Bergen.
Au King Tai beliefert von hier sowohl den heimischen als auch den Export-Markt. 100 verschiedene Produkte wachsen auf seinen Feldern. Von traditionellen chinesischen Kohl- und Gemüsearten über Möhren bis hin zu Pfirsichen und Plaumen. Nur der geringere Teil davon ist Bio. Doch es wird immer mehr, sagt Au King Tai. Er ist einer von mittlerweile 3500 Bio-Produzenten in China. Auch deren Zahl nimmt rapide zu.
Der Unternehmer arbeitet mit den Kleinbauern ringsum zusammen, hat sie mit Produktionsverträgen an sich gebunden und so einen Agrar-Großbetrieb geschaffen. In der chinesischen Bio-Branche ist das üblich. Nur die Großen können eine starke Marke aufbauen. Und das ist sehr wichtig, wenn man bei den chinesischen Bio-Konsumenten Erfolg haben will. Diese, sagt Au King Tai, trauen einem Unternehmen mehr als staatlichen Siegeln. Au hat sich unter den Bio-Liebhabern in der Region einen festen Kundenstamm erarbeitet. Schwieriger ist die Vertrauensbildung hingegen beim Export. Da zählen Kontrollen und Bio-Zertifizierungen.
"Viele im Ausland trauen chinesischen Produkten nicht. Das war schon immer so. Als Privatunternehmen müssen wir einfach unser Bestes geben. Wir exportieren nach Europa, nach Kanada, in die USA. Also haben wir uns auch um die Zertifizierungen dieser Länder bemüht und sie auch bekommen. Für die EU-Zulassung kam damals ein Deutscher hierher und hat die Produkte getestet."
Tatsächlich ist in China noch längst nicht immer Bio drin, wenn Bio draufsteht. Das liegt einerseits an Betrügereien, andererseits an mangelhafter Zertifizierung und Kontrolle. Drei- bis viermal im Jahr, erzählt Au King Tai, kommen die Leute von der staatlich anerkannten Bio-Zertifizierungsagentur auf seine Farm und kontrollieren den fachgerechten Öko-Anbau. Unangemeldet. Auch die Produkte im Handel werden regelmäßig untersucht.
Doch es gibt Dutzende solcher Zertifizierungsagenturen. Nicht alle sind gleichermaßen sorgfältig, professionell und integer. Immerhin existiert seit 2005 ein landesweit einheitliches Bio-Siegel. Die damit verbundenen Qualitätsanforderungen entsprechen dem weltweiten Mindeststandard , wie er vom internationalen Bio-Dachverband IFOAM festgesetzt wurde. Demnach müssen zum Beispiel mindestens 95 Prozent der Zutaten eines Produkts aus dem ökologischen Landbau stammen. Die Kriterien entsprechen damit in etwa dem EG-Standard. Der gesetzliche Rahmen ist also gesetzt.
Doch noch immer tauchen als Bio deklarierte Waren auf, die es nachweislich nicht sind. Die Akzeptanz des staatlichen Siegels in der Bevölkerung ist daher noch relativ gering. Das liegt auch daran, dass es parallel viele verschiedene Qualitäts-Siegel für Lebensmittel gibt. Viele Verbraucher sind verwirrt, sagt der Hongkonger Bio-Experte Jonathan Wong.
"In China gibt es sogenannte grüne Lebensmittel. Die unterliegen Kontrollen, wurden aber auch unter Verwendung von Pestiziden und Kunstdünger produziert. Dann gibt es das Bio-Siegel. Für solche Produkte sind chemische Stoffe verboten. Und dann gibt es noch die sogenannten umweltfreundlichen Lebensmittel. Die sind den grünen Lebensmitteln sehr ähnlich, also nicht pestizidverseucht."
Drei Siegel mit ähnlicher Ausrichtung. Das führt zu Konfusion. Viele Verbraucher, das hat eine Umfrage ergeben, halten die Grünen Lebensmittel für gesünder als die Bio-Produkte. Gesundheitsbewusste Chinesen setzen daher eher auf die Marke als auf das Siegel.
Früher Abend auf dem Dongchuan-Markt, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs von Guangzhou. Auf zwei Stockwerken verkaufen hier um die 80 Händler Lebensmittel. Jetzt nach Feierabend ist es voll hier. Auf dem Weg nach Hause kaufen viele Berufstätige noch schnell ein. Vor den Marktständen drängen sich die Kunden. Hände greifen nach Melonen und testen ihre Reife, prüfen das Gewicht von Kohlköpfen, ziehen Kräuterbündel heraus und legen sie zurück.
Zhou Xia diskutiert mit einer ihrer Stammkundinnen. Diese findet, dass das Blattgemüse heute nicht schön aussieht. Der Stand mit den Bio-Erzeugnissen gehört Au King Tais Agrarbetrieb. Hier ist seine wichtigste Verkaufsstelle in Guangzhou. Das Geschäft läuft, sagt Zhou Xia.
"Ich arbeite hier seit fünf Jahren. Anfangs waren die Leute nicht an Bio-Produkte gewöhnt. Aber durch Werbung und die Medien sind Bio-Lebensmittel und Bio-Gemüse viel beliebter. Wir haben immer mehr Kunden."
Die Nachfrage wächst, das Angebot und die Konkurrenz der Händler aber auch. Auf dem Markt bieten mehrere Stände kontrollierte Bio-Produkte an. Auch die großen Supermarktketten der Stadt führen mittlerweile biologisch angebautes Obst und Gemüse. Für die bessere Qualität nehmen die Kunden höhere Preise in Kauf.
Zhou Xia rechnet vor: Bei ihr am Stand kostet ein zertifizierter Bio-Maiskolben 90 Euro-Cent. An den konventionellen Ständen nebenan bekommt man dafür ein ganzes Kilo. Bio-Produkte sind hier etwa dreimal so teuer wie Nicht-Bio-Produkte. Sie kauft trotzdem hier am Stand, sagt die Kundin, eine Büroangestellte, auch wenn leise Zweifel bleiben.
"Ich weiß nicht. Wenn Bio draufsteht, habe ich mich dazu entschieden, dem Schild zu glauben. Aber sonst traue ich wenigen Behauptungen. Es gibt so viel Betrug und Fake-Produkte. Gefälschter Reis, gefälschtes Öl, gefälschte Milch, gefälschtes Salz. Bei Bio fühle ich mich sicherer. Aber mal ehrlich: Ich weiß nicht, wie Bio das wirklich ist."
Viele der Kunden wissen gar nicht genau, was es mit der Bezeichnung Bio auf sich hat. So kauft ein großer Teil der Leute hier am Stand ein, weil sie der Marke vertrauen. So auch die junge Ärztin.
"Ich fühle mich einfach sicherer. Das ist eine große Firma. Ich vertraue dieser Marke, die kenne ich aus den Medien. Ich esse ihre Produkte schon seit sieben oder acht Jahren. Im Monat gebe ich 30-50 Euro dafür aus."
Doch nicht nur aus Gesundheitsgründen kaufen viele Chinesen Bio. Unter den Wohlhabenden und im Geschäftsleben gibt es nun einen Trend, besonders schönes Bio-Obst und –Gemüse zu verschenken. Früher sollten vor allem Alkohol und Zigaretten dabei helfen, Geschäftsbeziehungen zu ölen. Doch im Zeichen eines neuen Gesundheitsbewusstseins gilt das heute als unpassend.
Das Verschenken von Uhren und Schmuck wiederum kann schnell als Bestechungsversuch interpretiert werden. Eine sündhaft teure Bio-Melone jedoch ist unverfänglich in jeder Hinsicht und gilt als schick. Branchenvertreter schätzen, dass mehr als die Hälfte der verkauften Bio-Produkte verschenkt werden.
Verschenken will Frau Wang nichts, und Bio kaufen auch nicht gern. Sie lässt sich lieber vom Gärtner Yang Guo erklären, wie sie am besten ihr eigenes Bio-Gemüse anbaut. Das ist am sichersten, sagt sie. So denken viele. Yang Guo blickt deshalb optimistisch in die Zukunft.
"Die Leute sehen im Bio-Anbau einen Beitrag zu einem gesunden Lebensstil. Ich denke genauso. Natürliche Lebensmittel sind am besten. Chemischer Dünger ist gegen die Natur. Ich glaube, wir werden in Sachen Naturprodukte den Europäern immer ähnlicher."
Für Frau Wang ist ihr Dachgarten aber noch mehr als nur ein Ort der Gemüseproduktion. Sie hat auch Freude an ihrer Mini-Landwirtschaft, sagt sie.
"Ich mag Pflanzen. Zunächst habe ich nur Blumen angebaut. Dann dachte ich: Wenn ich Gemüse anbaue, kann ich das ja roh essen und mich sicher fühlen. Am liebsten suche ich Samen in der Natur und lasse sie hier sprießen."
Ganz unbelastet dürfte aber wohl auch das Terrassen-Gemüse nicht sein. Guangzhou liegt inmitten eines der größten Industriegebiete der Welt. Die Luft ist hochgradig verschmutzt.
Sicher kein Bio-Regen, der da auf die Dachgärten niedergeht.
Die Kiste mit Blumenerde wiegt schwer. Der schmächtige Yang Guo schleppt sie in den vierten Stock. Die Kundin dort wartet schon auf ihre neue Lieferung. Olympic Garden - so heißt die Wohnanlage im Süden von Guangzhou, der 10-Millionen-Metropole am Perlfluss, 130 Kilometer nordwestlich von Hongkong. Mehrstöckige Häuser liegen inmitten üppiger subtropischer Vegetation. Kleine Palmenhaine spenden Schatten. Eine Wohnung hier kostet umgerechnet 170.000 Euro. Hier leben wohlhabende Leute.
Die Kundin, Frau Wang, freut sich über die Lieferung, führt Yang Guo gleich hinauf auf die Terrasse. Hier gedeiht auf acht Quadratmetern ein kleiner Bio-Gemüsegarten - in großen rechteckigen Pflanzkästen. Yang Guo, der Gärtner, hat ihn angelegt. Er stellt den Kasten an der einzigen noch freien Stelle ab:
"Wir benutzen solche Kästen. Die Pflanzerde hier ist 15 Zentimer tief, für Blattgemüse. Kein Kunstdünger, keine Verunreinigung. Dort die großen Kisten sind für alle Art von Gemüse. Da haben wir Gurken und gelbe Melonen: Die sind schon weit gereift. Da die Tomaten auch. Die Kürbisse sind schon gelb geworden. Und da drüben sind noch ein paar Blumen. Die sehen schön aus."
Seit Januar erst betreibt Yang Guo seinen Bio-Bepflanzungsdienst, noch im Nebenjob. Doch jede Woche melden sich neue Kunden, erzählt er. Kreuz und quer tourt er durch Guangzhou, richtet Bio-Gärten auf Balkonen und Dachterrassen ein, in Vorstädten wie hier oder auf dreißigstöckigen Wohntürmen im Zentrum. Seine Kunden sind Leute wie Frau Wang. Sie ist 35 Jahre alt, Hausfrau mit einem 11-jährigen Sohn und einem gut verdienenden Ehemann, der im Maschinenhandel tätig ist. Sie gehört zur oberen Mittelschicht. Diese Bevölkerungsgruppe in China hat nicht nur Geld, sondern auch ein neues Gesundheitsbewusstsein. Ihr kleines Bio-Gärtchen hat Frau Wang umgerechnet 220 Euro gekostet:
"Jeder weiß ja aus den Medien von den Problemen mit der Lebensmittelsicherheit. Dieses oder jenes Gemüse überschreitet die Grenzwerte und so weiter. Vor allem bei Rohkost mache ich mir Sorgen, Salat zum Beispiel. Dieses künstlich gedüngte Gemüse schmeckt anders als das, was wir als Kinder gegessen haben."
Die meisten ihrer Freundinnen, erzählt Frau Wang, bauen jetzt Bio-Gemüse auf ihren Balkonen und Dachterrassen an. Yang Guo bestätigt diesen Trend:
"Viele reiche Leute in China entwickeln jetzt ein Bewusstsein für ihre Umwelt. Sie haben große Häuser oder Dachterrassen. Wir bepflanzen ihnen die. Viele waren früher Bauern. Jetzt leben sie in einer Stadt und sehen weit und breit kein Feld. Die fühlen sich besser, wenn sie grüne Pflanzen sehen."
Vor allem, wenn es Bio-Pflanzen sind. Biologisch erzeugte Nahrungsmittel erleben einen Boom in China – und das längst nicht nur auf Privatbalkonen. Pro Jahr werden auf dem heimischen Markt Bio-Produkte im Wert von rund 400 Millionen Euro verkauft, rechnet die chinesische Zertifizierungsagentur OFDC vor. Das Volumen dürfte sich in den kommenden Jahren verfielfachen, glauben Branchenvertreter.
Die Ursachen liegen auf der Hand. Chinesische Konsumenten haben allen Grund, Bio einzukaufen, sagt Jonathan Wong vom Hongkonger Organic Resource Centre:
"Alle Lebensmittel, die etwa in den USA oder in Deutschland in den Supermärkten erhältlich sind, erfüllen die offiziellen Qualitätsstandards. Man kann sie beruhigt konsumieren. In China ist das nicht der Fall. Lebensmittel ohne Bio-Zeichen oder ein anderes Zertifikat können stark mit Pestiziden oder Zusatzstoffen belastet sein."
Einer Greenpeace-Studie zufolge verfügt die Volksrepublik über weniger als 10 Prozent der weltweiten Ackerfläche, verbraucht aber 35 Prozent des Stickstoffdüngers. Ähnlich sieht es beim Pestizideinsatz aus. Viele Lebensmittel sind stark chemisch belastet. Kriminelle Machenschaften verschärfen die Lage noch.
Unzählige Skandale haben das Vertrauen der Verbraucher in ihre Lebensmittel erschüttert – allen voran der Milchskandal Ende 2008. Mehrere Firmen hatten ihren Milchprodukten den Stoff Melamin beigemischt, um einen höheren Eiweißgehalt vorzutäuschen. 300.000 Menschen kamen zu Schaden. Solche Fälle geben der Bio-Branche Auftrieb.
Die meisten Bio-Anbauflächen Chinas liegen im Südwesten des Landes, in rückständigen Provinzen wie Yunnan oder Guangxi. Diese Regionen sind wenig industrialisiert, das heißt Boden und Luft sind sauber. Doch auch außerhalb der Metropole Guangzhou, im verstädterten Perlflussdelta gibt es Bio-Betriebe.
Der Terrassenbepflanzer Yang Guo etwa bezieht seine Ware im Ort Conghua, anderthalb Autostunden vom Stadtzentrum entfernt. Dort befindet sich der landwirtschaftliche Betrieb von Au King Tai. Mit 140 Mitarbeitern bewirtschaftet dieser eine Anbaufläche von 130 Hektar. Das Bio-Geschäft boomt, bestätigt er. Der Anbau aber sei problematisch. Hier in der Region sei es schwierig, noch geeigneten sauberen Boden zu finden.
"Das Ackerland hier in der Provinz Guangdong nimmt rapide ab. Die Industrie verschmutzt den Boden, das ist ganz klar. Deshalb mussten wir in eine etwas entlegene unverdorbene Gegend der Provinz ziehen. Wir sind in Conghua, weil hier Trinkwasser gewonnen wird. Die Regierung achtet auf eine saubere Umwelt. Deshalb haben wir hier die Biofarm angelegt."
Einer Studie des Umwelt- und Bodenwissenschaftlichen Instituts von Guangdong zufolge sind 40 Prozent des Ackerlandes in der Provinz mit Schwermetallen verunreinigt. Angeblich nicht so hier in Conghua. Der Ort liegt in einem Tal in den Bergen.
Au King Tai beliefert von hier sowohl den heimischen als auch den Export-Markt. 100 verschiedene Produkte wachsen auf seinen Feldern. Von traditionellen chinesischen Kohl- und Gemüsearten über Möhren bis hin zu Pfirsichen und Plaumen. Nur der geringere Teil davon ist Bio. Doch es wird immer mehr, sagt Au King Tai. Er ist einer von mittlerweile 3500 Bio-Produzenten in China. Auch deren Zahl nimmt rapide zu.
Der Unternehmer arbeitet mit den Kleinbauern ringsum zusammen, hat sie mit Produktionsverträgen an sich gebunden und so einen Agrar-Großbetrieb geschaffen. In der chinesischen Bio-Branche ist das üblich. Nur die Großen können eine starke Marke aufbauen. Und das ist sehr wichtig, wenn man bei den chinesischen Bio-Konsumenten Erfolg haben will. Diese, sagt Au King Tai, trauen einem Unternehmen mehr als staatlichen Siegeln. Au hat sich unter den Bio-Liebhabern in der Region einen festen Kundenstamm erarbeitet. Schwieriger ist die Vertrauensbildung hingegen beim Export. Da zählen Kontrollen und Bio-Zertifizierungen.
"Viele im Ausland trauen chinesischen Produkten nicht. Das war schon immer so. Als Privatunternehmen müssen wir einfach unser Bestes geben. Wir exportieren nach Europa, nach Kanada, in die USA. Also haben wir uns auch um die Zertifizierungen dieser Länder bemüht und sie auch bekommen. Für die EU-Zulassung kam damals ein Deutscher hierher und hat die Produkte getestet."
Tatsächlich ist in China noch längst nicht immer Bio drin, wenn Bio draufsteht. Das liegt einerseits an Betrügereien, andererseits an mangelhafter Zertifizierung und Kontrolle. Drei- bis viermal im Jahr, erzählt Au King Tai, kommen die Leute von der staatlich anerkannten Bio-Zertifizierungsagentur auf seine Farm und kontrollieren den fachgerechten Öko-Anbau. Unangemeldet. Auch die Produkte im Handel werden regelmäßig untersucht.
Doch es gibt Dutzende solcher Zertifizierungsagenturen. Nicht alle sind gleichermaßen sorgfältig, professionell und integer. Immerhin existiert seit 2005 ein landesweit einheitliches Bio-Siegel. Die damit verbundenen Qualitätsanforderungen entsprechen dem weltweiten Mindeststandard , wie er vom internationalen Bio-Dachverband IFOAM festgesetzt wurde. Demnach müssen zum Beispiel mindestens 95 Prozent der Zutaten eines Produkts aus dem ökologischen Landbau stammen. Die Kriterien entsprechen damit in etwa dem EG-Standard. Der gesetzliche Rahmen ist also gesetzt.
Doch noch immer tauchen als Bio deklarierte Waren auf, die es nachweislich nicht sind. Die Akzeptanz des staatlichen Siegels in der Bevölkerung ist daher noch relativ gering. Das liegt auch daran, dass es parallel viele verschiedene Qualitäts-Siegel für Lebensmittel gibt. Viele Verbraucher sind verwirrt, sagt der Hongkonger Bio-Experte Jonathan Wong.
"In China gibt es sogenannte grüne Lebensmittel. Die unterliegen Kontrollen, wurden aber auch unter Verwendung von Pestiziden und Kunstdünger produziert. Dann gibt es das Bio-Siegel. Für solche Produkte sind chemische Stoffe verboten. Und dann gibt es noch die sogenannten umweltfreundlichen Lebensmittel. Die sind den grünen Lebensmitteln sehr ähnlich, also nicht pestizidverseucht."
Drei Siegel mit ähnlicher Ausrichtung. Das führt zu Konfusion. Viele Verbraucher, das hat eine Umfrage ergeben, halten die Grünen Lebensmittel für gesünder als die Bio-Produkte. Gesundheitsbewusste Chinesen setzen daher eher auf die Marke als auf das Siegel.
Früher Abend auf dem Dongchuan-Markt, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs von Guangzhou. Auf zwei Stockwerken verkaufen hier um die 80 Händler Lebensmittel. Jetzt nach Feierabend ist es voll hier. Auf dem Weg nach Hause kaufen viele Berufstätige noch schnell ein. Vor den Marktständen drängen sich die Kunden. Hände greifen nach Melonen und testen ihre Reife, prüfen das Gewicht von Kohlköpfen, ziehen Kräuterbündel heraus und legen sie zurück.
Zhou Xia diskutiert mit einer ihrer Stammkundinnen. Diese findet, dass das Blattgemüse heute nicht schön aussieht. Der Stand mit den Bio-Erzeugnissen gehört Au King Tais Agrarbetrieb. Hier ist seine wichtigste Verkaufsstelle in Guangzhou. Das Geschäft läuft, sagt Zhou Xia.
"Ich arbeite hier seit fünf Jahren. Anfangs waren die Leute nicht an Bio-Produkte gewöhnt. Aber durch Werbung und die Medien sind Bio-Lebensmittel und Bio-Gemüse viel beliebter. Wir haben immer mehr Kunden."
Die Nachfrage wächst, das Angebot und die Konkurrenz der Händler aber auch. Auf dem Markt bieten mehrere Stände kontrollierte Bio-Produkte an. Auch die großen Supermarktketten der Stadt führen mittlerweile biologisch angebautes Obst und Gemüse. Für die bessere Qualität nehmen die Kunden höhere Preise in Kauf.
Zhou Xia rechnet vor: Bei ihr am Stand kostet ein zertifizierter Bio-Maiskolben 90 Euro-Cent. An den konventionellen Ständen nebenan bekommt man dafür ein ganzes Kilo. Bio-Produkte sind hier etwa dreimal so teuer wie Nicht-Bio-Produkte. Sie kauft trotzdem hier am Stand, sagt die Kundin, eine Büroangestellte, auch wenn leise Zweifel bleiben.
"Ich weiß nicht. Wenn Bio draufsteht, habe ich mich dazu entschieden, dem Schild zu glauben. Aber sonst traue ich wenigen Behauptungen. Es gibt so viel Betrug und Fake-Produkte. Gefälschter Reis, gefälschtes Öl, gefälschte Milch, gefälschtes Salz. Bei Bio fühle ich mich sicherer. Aber mal ehrlich: Ich weiß nicht, wie Bio das wirklich ist."
Viele der Kunden wissen gar nicht genau, was es mit der Bezeichnung Bio auf sich hat. So kauft ein großer Teil der Leute hier am Stand ein, weil sie der Marke vertrauen. So auch die junge Ärztin.
"Ich fühle mich einfach sicherer. Das ist eine große Firma. Ich vertraue dieser Marke, die kenne ich aus den Medien. Ich esse ihre Produkte schon seit sieben oder acht Jahren. Im Monat gebe ich 30-50 Euro dafür aus."
Doch nicht nur aus Gesundheitsgründen kaufen viele Chinesen Bio. Unter den Wohlhabenden und im Geschäftsleben gibt es nun einen Trend, besonders schönes Bio-Obst und –Gemüse zu verschenken. Früher sollten vor allem Alkohol und Zigaretten dabei helfen, Geschäftsbeziehungen zu ölen. Doch im Zeichen eines neuen Gesundheitsbewusstseins gilt das heute als unpassend.
Das Verschenken von Uhren und Schmuck wiederum kann schnell als Bestechungsversuch interpretiert werden. Eine sündhaft teure Bio-Melone jedoch ist unverfänglich in jeder Hinsicht und gilt als schick. Branchenvertreter schätzen, dass mehr als die Hälfte der verkauften Bio-Produkte verschenkt werden.
Verschenken will Frau Wang nichts, und Bio kaufen auch nicht gern. Sie lässt sich lieber vom Gärtner Yang Guo erklären, wie sie am besten ihr eigenes Bio-Gemüse anbaut. Das ist am sichersten, sagt sie. So denken viele. Yang Guo blickt deshalb optimistisch in die Zukunft.
"Die Leute sehen im Bio-Anbau einen Beitrag zu einem gesunden Lebensstil. Ich denke genauso. Natürliche Lebensmittel sind am besten. Chemischer Dünger ist gegen die Natur. Ich glaube, wir werden in Sachen Naturprodukte den Europäern immer ähnlicher."
Für Frau Wang ist ihr Dachgarten aber noch mehr als nur ein Ort der Gemüseproduktion. Sie hat auch Freude an ihrer Mini-Landwirtschaft, sagt sie.
"Ich mag Pflanzen. Zunächst habe ich nur Blumen angebaut. Dann dachte ich: Wenn ich Gemüse anbaue, kann ich das ja roh essen und mich sicher fühlen. Am liebsten suche ich Samen in der Natur und lasse sie hier sprießen."
Ganz unbelastet dürfte aber wohl auch das Terrassen-Gemüse nicht sein. Guangzhou liegt inmitten eines der größten Industriegebiete der Welt. Die Luft ist hochgradig verschmutzt.
Sicher kein Bio-Regen, der da auf die Dachgärten niedergeht.