Peter Braun: "Ilse Schneider-Lengyel. Fotografin, Ethnologin, Dichterin. Ein Porträt"
Wallstein-Verlag, Göttingen 2019
284 Seiten, mit Fotos, 24,90 Euro
Wie ein geheimes Zentrum der Kulturgeschichte
06:31 Minuten
Ilse Schneider-Lengyel hatte in den 20er-Jahren in Paris Kunst studiert. Im Umfeld des Bauhauses widmete sie sich der Kunstfotografie und betrieb ethnologische Studien. Autor Peter Braun ist es zu verdanken, dass sie wiederentdeckt wird.
Dass es sich bei Ilse Schneider-Lengyel um etwas Besonderes handelt, konnte man schon länger ahnen. In die Literaturgeschichte ist sie eingegangen als Gastgeberin des ersten Treffens der "Gruppe 47". Doch konkretere Erinnerungen bezogen sich immer nur darauf, dass sie mit ihrer exotisch anmutenden Erscheinung und ihren vom Surrealismus geprägten Gedichten gar nicht zu dieser Gruppe passte. Bald verlor sich ihre Spur.
Der Schriftsteller Gerhard Köpf hat ihr in seinem Roman "Innerfern" 1983 ein spätes Denkmal gesetzt, das Rätsel um ihre Person damit aber nur noch größer gemacht. Dass jetzt ein ausführliches biografisches Porträt von Ilse Schneider-Lengyel erscheinen kann, ist das Ergebnis des langjährigen Forschungsinteresses von Peter Braun.
Veröffentlichte 1934 erstaunlichen Fotoessayband
Braun ist bereits mit einer ausgeprägten Vorliebe für die Verbindung von Ethnologie und Literatur hervorgetreten. Er skizziert Ilse Schneider-Lengyel als zu früh Gekommene, als Vorläuferin von Hubert Fichte und den "Ethnopoetics" in den USA. Ausgangspunkt sind die wenigen erhalten gebliebenen Blätter aus dem Nachlass der Autorin.
Zu rekonstruieren ist: Sie wurde 1903 in München geboren, wuchs in einem liberalen, bildungsbürgerlichen Elternhaus auf und studierte in den 20er-Jahren zunächst an der Pariser Kunstschule Grande Chaumière, an der zur selben Zeit auch Alberto Giacometti Kurse belegte. Sie hörte in München Kunstgeschichte und zog dann Ende der 20er-Jahre weiter nach Berlin, wo sie sich im Umfeld des Bauhauses vor allem der Kunstfotografie widmete und parallel dazu ethnologische Studien betrieb. 1934 konnte noch ihr erstaunlicher Fotoessayband "Die Welt der Maske" erscheinen, bevor sie mit ihrem ungarisch-jüdischen Mann Lászlo Lengyel nach Paris emigrierte.
Brauns Darstellung ist atmosphärisch dicht und sehr instruktiv, immer mehr bedauert der Leser so wie der Autor selbst, wie wenig man über Schneider-Lengyels Leben in Berlin, München und Paris weiß. Auffällig ist, dass sie während der Nazibesetzung zwischen Paris im Winter und dem heimischen Bannwaldsee im Sommer wechselte. In der Nachkriegszeit musste sie angesichts ihrer Prägungen in Deutschland wie ein Fremdkörper wirken.
Stirbt völlig verarmt und zerstört
Braun zeichnet das Faszinierende ihrer Person intensiv nach und beschreibt ausführlich ihre Projekte im Nachlass, die ab Mitte der 50er-Jahre keine Öffentlichkeit mehr fanden – obwohl 1952 ein vielbeachteter Lyrikband in Alfred Anderschs berühmter Reihe "studio frankfurt" erscheinen konnte. Symptomatisch ist, dass sie zu den wichtigsten Vertrauten des erst später mythisch gewordenen jungen Kleinverlegers Rainer Maria Gerhardt gehörte, der 1954 früh und verzweifelt Suizid beging.
Schneider-Lengyel selbst starb 1972, völlig verarmt und zerstört, in einer psychiatrischen Anstalt in Konstanz. Peter Braun zeigt mit seiner Recherche einen beeindruckenden Spürsinn für das, was am Rande der offiziellen Kulturgeschichte stattfand und geeignet ist, im Nachhinein wie ein geheimes Zentrum zu erscheinen.
Schneider-Lengyel selbst starb 1972, völlig verarmt und zerstört, in einer psychiatrischen Anstalt in Konstanz. Peter Braun zeigt mit seiner Recherche einen beeindruckenden Spürsinn für das, was am Rande der offiziellen Kulturgeschichte stattfand und geeignet ist, im Nachhinein wie ein geheimes Zentrum zu erscheinen.