Peter Demetz: "Diktatoren im Kino. Lenin - Mussolini - Hitler - Goebbels - Stalin"
Zsolnay, Wien 2019. 256 Seiten, 24 Euro
Über die Filmlust der totalitären Ideologen
05:15 Minuten
Kino kann die Massen mobilisieren oder ruhigstellen, das wussten schon Hitler, Mussolini und Stalin. In seinem Sachbuch "Diktatoren im Kino" erzählt Peter Demetz das Zeitalter des Totalitarismus als erkenntnisreiche Kinogeschichte.
Der in Prag geborene Literaturwissenschaftler Peter Demetz war bereits als neunjähriges Kind ein Filmfan - das war im Jahre 1931. Nun, ein ganzes Menschenleben später, hat der inzwischen 97-Jährige ein Buch vorgelegt, das man dennoch kaum als "Alterswerk" bezeichnen mag. Denn wie präzis und lakonisch ist Demetz' Stil, wie ansteckend seine immense intellektuelle Neugier, wie unerwartet der Erkenntnisgewinn des Lesers!
"Diktatoren im Kino. Lenin - Mussolini - Hitler - Goebbels - Stalin" ist nicht nur das profunde Resümee einer jahrelangen Beschäftigung mit der hoch ambivalenten Allianz zwischen Filmkunst und Tyrannei, sondern auch ein autobiografisch grundiertes Buch.
Autor hat verschiedene Regimes erlebt
Peter Demetz hatte als jüdischer Tscheche die nazideutsche Besatzung überlebt und war 1948, nachdem sich in Prag die Kommunisten an die Macht geputscht hatten, in die Vereinigten Staaten emigriert, wo er bis zu seiner Emeritierung an der renommierten Yale University lehrte. Er hat die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts somit am eigenen Leib erfahren und weiß deshalb doppelt, worüber er schreibt.
Obwohl sich Demetz auf eine historisch eingegrenzte Zeitspanne bezieht, kann der Leser gar nicht anders, als aktuelle Parallelen zu ziehen, die ebenfalls Bilder sind: Russlands Präsident Putin mit nacktem Oberkörper hoch zu Pferde oder in den hagiografischen "Dokumentationen" des Staatsfernsehens als Tiefseetaucher, Raubtierjäger, Kaukasus-Wanderer oder uniformierter Krieger.
Ähnlich hatte sich ein Dreivierteljahrhundert zuvor bereits Benito Mussolini präsentiert - in von ihm anbefohlenen "Wochenschau"-Filmen, die er sich danach im Kreis seiner Familie und der Adlaten genüsslich anschaute. Wie Stalin und Hitler (der einst in "Mein Kampf" noch gegen die vermeintlich jüdische Kinokultur gewettert hatte) war jedoch auch Mussolini erst nach seiner Machtergreifung zum Film-Aficionado geworden.
Ein sehr zweckgebundenes Filmverständnis
All diese Diktatoren einte dabei der utilitaristische Zugang: Beifall fand lediglich das, was der eigenen Machtdarstellung bzw. dem Machterhalt nutzte. Dies musste freilich keineswegs immer ein halbnackter Duce sein oder eine fesche Stalin-Darstellung in engelsweißer Uniform.
Um den Untertanen zusätzlich zur Parteipropaganda auch die vermeintlich apolitischen Wonnen von kalkuliertem Spiel und Scherz zu verschaffen, wurde gerade seichte Unterhaltung maßgeblich gefördert. Die Diktatoren hatten, obwohl - oder gerade weil - völlig unbeleckt von ästhetischen Erwägungen, einen geradezu siebten Sinn dafür, welcher Manipulations-Balance es dabei bedurfte.
Die jeweiligen Regisseure (oder Regisseurinnen wie Leni Riefenstahl) setzten dies dann nur zu gern um. Wichen sie einmal ab wie der Alpen-Kitschier Luis Trenker, so wurden sie kaltgestellt - beziehungsweise unter Stalin gleich erschossen.
Einem misstrauischen Ideologen wie Joseph Goebbels kam dabei die Aufgabe zu, fallweise auch den "Führer" vor sich selbst zu schützen. So wurde der von Hitler bewunderte Hollywood-Film "Viva Villa" nicht für das deutsche Publikum freigegeben; zu stark waren die Bedenken, dass die Taten und Schießereien des schnauzbärtigen mexikanischen Revolutionshelden Pancho Villa die Volksgemeinschaft allzu renitent machen könnte.
Propaganda-Bedeutung des Kinos war allen klar
Erwägungen, die ein Jahrzehnt zuvor Lenin noch nicht umgetrieben hatten; er interessierte sich eher für didaktische Lehrfilme über die hydraulische Torfproduktion. Dass die Filmindustrie mit als erste verstaatlicht werden musste, hatte dabei für Lenin außer Frage gestanden. Später ließ Mussolini nach Moskauer Vorbild ebenfalls eine staatliche Filmschule gründen und mit Cinecittà ein "italienisches Hollywood" aus dem Boden stampfen, das selbstverständlich unter seiner Kontrolle stand.
Dazwischen, quasi in den Filmpausen: Liebschaften mit Schauspielerinnen oder willkürliche Karrierehilfen, die mitunter auch tödlich endeten wie im Fall von Renate Müller, die Hitler und Goebbels 1937 aufgrund sogenannter "begangener Rassenschande" brutal fallen ließen.
Eine Kinoerzählung als Jahrhundertgeschichte. Was für ein Buch, was für ein Autor!