Peter Fabjan: "Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard"

Ungestillte Sehnsucht nach Nähe

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Cover des Buchs "Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard. Ein Rapport" von Peter Fabjan.
Hat den Charakter einer halb ausgearbeiteten Materialsammlung: Peter Fabjans Buch über seinen berühmten Bruder Thomas Bernhard. © Suhrkamp / Deutschlandradio
Von Daniela Strigl |
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Thomas Bernhard war ein Egozentriker. Nun schildert dessen Bruder Peter Fabjan schwierigste Familienverhältnisse und einen Schriftsteller, der grausam, aber auch sehr charmant sein konnte.
Wer hätte schon gern einen Thomas Bernhard zum Bruder? Nach der Lektüre von Peter Fabjans "Rapport" über "Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard" dürfte die Attraktivität dieser Vorstellung nicht wesentlich zugenommen haben; und dies, obwohl der Autor sich redlich um Gerechtigkeit bemüht, indem er alle mildernden Umstände für den Schwierigen ins Treffen führt, die kleinstbürgerlich-kargen Verhältnisse der Familie, das Aufwachsen ohne Vater, das kühle Verhältnis zur überforderten (gemeinsamen) Mutter, die verkorkste Beziehung zum strengen Stiefvater Emil Fabjan. Und indem er nicht nur Bernhards unleidliche Egozentrik, ja seelische Grausamkeit gegen seine Nächsten darstellt, sondern auch seinen Charme, sein geselliges Unterhaltungstalent, seine ungestillte Sehnsucht nach Nähe. "Meine Krankheit ist die Distanz", schrieb Bernhard seinem sieben Jahre jüngeren Halbbruder, und genoss doch das Alleinsein im Ohlsdorfer Vierkanthof als "splendid isolation".

Eine Herztransplantation lehnte Bernhard ab

Vor zehn Jahren sagte Fabjan in einem Interview, die Literatur sei nicht seine Stärke. Bernhard habe ihm einmal gesagt, er habe die autobiografischen Bücher geschrieben, damit nach seinem Tod nicht seine Halbgeschwister (Peter Fabjan und Susi Kuhn) über ihn Auskunft gäben. Nun ist der Bruder also doch zum Rapport angetreten, und obwohl er sich prägnant auszudrücken versteht, wird man literarische Maßstäbe hier nicht anlegen dürfen. Das Buch hat vielmehr den Charakter einer halb ausgearbeiteten Materialsammlung, deren Porträtskizzen zu Vorfahren, Angehörigen und Freunden, deren Hintergrundberichte, medizinische Informationen, Briefzitate und Listen vor allem für Bernhard-Fans von Interesse sind. Der Forschung bietet sie, abgesehen von unbekannten Fotos, nicht allzu viel Neues.
Dass Fabjan seinen mit etlichen Damen befreundeten Bruder unumwunden als "asexuell" einstuft, deckt sich etwa mit bisherigen Vermutungen. Neu ist, was der Internist im Zusammenhang mit Bernhards fortgeschrittener Sarkoidose (einer Bindegewebserkrankung vor allem der Lunge) berichtet: Eine Herztransplantation lehnte der Kranke ab. Nach dem Tod seines "Lebensmenschen" Hedwig Stavianicek hatte er seinen Bruder ungeniert als Leibarzt und Retter in der Not in die Pflicht genommen. Fabjan begleitete ihn buchstäblich bis zum letzten Atemzug.

Fabjan gibt sich auch selbstkritisch

Mag der Untertitel "Rapport" auch Bescheidenheit suggerieren, geht es dem Meldegänger hier doch um einen Einspruch. Er anerkennt Bernhards Not und deren Verwandlung in Kunst, aber er sieht auch die permanente Selbstinszenierung. Er erlebte Mutter und Stiefvater als viel liebevoller und den vom Bruder vergötterten, tyrannischen Dichter-Großvater Johannes Freumbichler als viel problematischer. Er weiß um die künstlerische Freiheit, und meint doch, sachliche "Korrekturen" anbringen zu müssen. Und er zitiert Marcel Reich-Ranicki über Bernhard: "Wer ihn liebt, hat ihn unterschätzt, wer ihn hasst, hat ihn zu wenig gelesen!"
Seine eigene Rolle als unermüdlich engagierter Nachlassverwalter sieht Fabjan mit zarten Ansätzen zur Selbstkritik. Tatsächlich geht die Schließung des – nicht zuletzt wegen der 22-bändigen Gesamtausgabe – verdienstvollen Thomas-Bernhard-Archivs in Gmunden vor sechs Jahren auf seine Kappe. Der Nachlass befindet sich, obwohl die öffentliche Hand über die Jahre fürstliche Summen gewährte, nicht an der Österreichischen Nationalbibliothek, sondern wieder in Bernhards Gmundner Wohnung. Und das Werk wurde durch die Akademie der Wissenschaften zwar vollständig digitalisiert, ist aber nicht frei zugänglich.

Peter Fabjan: "Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard. Ein Rapport"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
195 Seiten, 24 Euro

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