Peter Handke: "Das zweite Schwert"

Eine Rachegeschichte als Vorwand zum Umherschweifen

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Das Bild zeigt das Cover von Peter Handkes neuem Roman. Er heißt "Das zweite Schwert. Eine Maigeschichte".
Konzentriert auf die Innenwelten des Ich-Erzählers: Peter Handkes neuer Roman. © Suhrkamp / Deutschlandradio
Von Sieglinde Geisel |
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In "Das zweite Schwert", dem neuen Buch von Peter Handke, bricht der Ich-Erzähler zu einem Rachefeldzug gegen eine Journalistin auf. Sie soll für den Selbstmord seiner Mutter verantwortlich sein. Wie stets gibt es Ähnlichkeiten zwischen Autor und Erzähler.
Der Ich-Erzähler in Peter Handkes neuem Roman zieht aus, um Rache zu üben: Rächen will er seine "heilige" Mutter, die sich umgebracht hat, nachdem in einem Zeitungsartikel offengelegt wurde, wie sie den NS-Truppen beim Anschluss auf dem Heldenplatz zugejubelt hatte. Wer aber nun einen Plot und heftige Gefühle erwartet, geht dem Autor auf den Leim.
Die Rachegeschichte dient nur als Vorwand für jenes Umherschweifen und Wahrnehmen, das man von Handkes Prosa ebenso kennt wie die Manierismen ("nicht und nicht", "oft und oft" oder "anders schön", "anders leibhaftig"). Der Selbstmord der eigenen Mutter ist nur eine von vielen Gemeinsamkeiten, die den Ich-Erzähler mit dem Autor verbinden, er wohnt in einem Haus südwestlich von Paris, und kaum ist er von einer Reise heimgekehrt, bricht er schon wieder auf.

Bewusste Selbstparodie oder unfreiwillige Komik

Wir werden Zeuge seines Erlebens in Tram, Ersatzbus und Gaststätten: "eine Endstation-Gaststätte wie nur je eine". Jede noch so banale Begebenheit wird sprachlich aufgeladen und ausgeweidet.
In der Nachbarschaft steigt Rauch aus zwei benachbarten Barbecue-Feuerstellen auf, und die Beschreibung kulminiert in "einer wahren Weltneuigkeit: die zweierlei Rauchsäulen trafen oben, kurz vor dem beiderseitigen Ganzdurchsichtigwerden und im Luftraum Verschwinden, sogar noch, für Augenblick um Augenblick, zusammen; verknüpften sich miteinander; verflochten sich ineinander, und das in einem fort, und immer wieder neu, in dem Maße, wie unten vom Rost die eine und die andere Rauchrakete aufstieg."
Wahre Empfindung oder leere Virtuosität? "Allerwärts brüllten die Raben, krächzten die Krähen, messerwetzten die Meisen, schrillten die asiatischen Papageien, trillerpfiffen die Amseln". Bewusste Selbstparodie oder unfreiwillige Komik?

Ab und zu geschieht ein kleines Wunder

Trotz gelegentlicher Gewaltfantasien gegen die Journalistin, die seine Mutter auf dem Gewissen haben soll, verfolgt der Ich-Erzähler den selbsterteilten Rache-Auftrag vollkommen planlos. Er lässt sich treiben, und dies gilt auch für den Text.
Themen tauchen auf und verschwinden, literarische Verweise sind locker in den Text gewebt, sei es Homer, von dem der Erzähler sich angesichts der endlosen Umwegfahrten ein "Epos der Ersatzbusstrecken" wünscht ("Wo bist du, Homer der Ersatzbusse?"), sei es Blaise Pascal anlässlich eines Aufenthalts in Port Royal. Oft drehen sich die inneren Mono- und Dialoge dieses unentwegt schauenden, hörenden, empfindenden Ichs um sich selbst: "Es war nicht eigens ein Betrachten, ein vorsätzliches oder willentliches. War’s denn ein Betrachten? Bewahre, das schon gar nicht."
Ab und zu geschieht ein kleines Wunder, dann nämlich, wenn diese Prosa den Modus des Selbstgesprächs verlässt. Dann nutzt Handke seine messerscharfe Beobachtungsgabe, um auf wenigen Zeilen einen Menschen lebendig werden zu lassen.

In der Innenwelt schwelgend

So etwa, wenn der Ich-Erzähler in der "Bar der drei Bahnhöfe" Emmanuel trifft, der sich in seiner Heimat Guyana als Jugendlicher ein Tattoo selbst gestochen hat, um sich zugehörig zu fühlen, oder den Manager, der seinen Abstieg vertuschen will, oder den mysteriösen Obdachlosen vom Bahnhof, der gerne im geräumigen Haus des Ich-Erzählers einziehen möchte.
Solche Ausflüge in die äußere Wirklichkeit sind allerdings rar und kurz: Sogleich zieht sich Handke auf sein gewohntes Terrain zurück und lässt seinen Ich-Erzähler in seiner Innenwelt schwelgen.

Peter Handke: "Das zweite Schwert. Eine Maigeschichte"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
160 Seiten, 20 Euro

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