Die Lust, einen Autor vom Sockel zu stoßen
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Die Debatte um Literaturnobelpreisträger Peter Handke reißt nicht ab. Helmut Böttiger kritisiert, dass Handkes literarisches Werk dabei in den Hintergrund gerät – und zieht Vergleiche zu Skandalen um Günter Grass und Christa Wolf.
Seit die schwedische Akademie bekanntgegeben hat, an wen sie den diesjährigen Literaturnobelpreis verleiht, reißen die Debatten um Schriftsteller Peter Handke und seine pro-serbische Haltung nicht ab. Handke selbst spricht von einem "Tribunal".
Der Autor und Kritiker Helmut Böttiger findet diese Wortwahl durchaus angemessen: "Handke gilt als Angeklagter. Und es gibt Richter, die mit moralischer Empörung etwas aus seinem Werk herauspicken und darauf zeigen."
Handke-Debatte erinnert an Wolf oder Grass
Diese Entwicklung sei merkwürdig, da Handke den Nobelpreis für Literatur erhalten habe. "Man sollte annehmen, dass man dann über Literatur diskutiert. Man überlegt sich: Was ist das für ein Autor, was hat er geschrieben, hat er das verdient für sein literarisches Werk? Darauf kommt es ja letztlich an", so Helmut Böttiger.
Die Debatte erinnert den Kritiker an ähnliche Fälle wie Christa Wolf oder Günter Grass. Wolf sei in den 1980er-Jahren vom Feuilleton sehr bejubelt worden: "Die Kassandra-Vorlesungen in Frankfurt am Main, da lief sie wie eine Schamanin fast durch die Reihen, wurde wie eine Göttin verehrt."
Lächerliche Vorwürfe
Zehn Jahre später, als sich die politischen Rahmenbedingungen änderten, warf man Christa Wolf plötzlich vor, eine Staatsdichterin der DDR gewesen zu sein. Es sei die Rede von "Gesinnungästhetik" gewesen – laut Böttiger "lächerliche Vorwürfe".
Auch die Empörung über Günter Grass‘ Mitgliedschaft in der Waffen-SS 2006 sieht Böttiger kritisch: "Bei jedem anderen hätte man gesagt: 'Als 16-Jähriger überblickt man das nicht so.' Und vor allem ist Grass im Gegensatz zu vielen anderen dezidiert antifaschistisch aufgetreten, er hatte einen großen Anteil am Demokratisierungsprozess der Bundesrepublik."
Jüngere Autoren stören sich an Denkmälern
Es gehöre zu einer gewissen "Skandalisierungslust der Medien", einen berühmten Schriftsteller auch mal vom Sockel zu holen. "Bei Handke spielt es eine Rolle, dass Handke das Idol einer bestimmten Generation ist. Und es wachsen natürlich Jüngere nach, die sich an so einem Denkmal stören."
Handkes literarische Auseinandersetzung mit Jugoslawien in seiner Reportage aus Serbien sei eindeutig "eine Märchenerzählung, die in seinem literarischen Werk angelegt ist", so Böttinger.
"Jugoslawien war eine Kindheitslandschaft, eine Sehnsuchtslandschaft für ihn. Seine slowenische Mutter lebte an der Grenze zu Jugoslawien." Die Zerstörung Jugoslawiens sei auch die Zerstörung eines Kindheitstraums gewesen, auf die Handke allergisch reagiert habe, so Böttinger.
Aufspießen eines politischen Diskurses
"Und er hat sich dann da in etwas hineingesteigert, als er die Serben als die Widerständigen stilisiert hat. Darüber kann man streiten, das ist eine Art von romantischer Literaturauffassung."
Anstatt über Interviews zu reden, solle man sich mit den literarischen Texten befassen. "Wer über Handke redet, muss natürlich seine Texte kennen. Und dieses Aufspießen eines politischen Diskurses, um einen Autor dann damit vollkommen in ein bestimmtes Licht zu rücken, was mit seiner Literatur dann kaum mehr etwas zu tun hat – das ist ein Medienspektakel, das von der Literatur wegführt."