Peter Handke: "Mein Tag im anderen Land. Eine Dämonengeschichte"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
94 Seiten, 18 Euro
Von den Dämonen befreit
05:59 Minuten
Peter Handkes "Mein Tag im anderen Land" ist durchzogen von biblischen und mythologischen Verweisen. Man ist geneigt, die schmale Erzählung über einen Schriftsteller und ehemaligen Obstgärtner als subtiles autobiografisches Psychogramm zu lesen.
Ja, das waren Zeiten, als neue Werke Peter Handkes – "Mein Jahr in der Niemandsbucht" oder "Der Bildverlust" zum Beispiel – bis zum Erscheinen wie geheime Kommandosachen unter Verschluss gehalten wurden und Rezensenten ganz vergeblich um Vorabexemplare buhlten. Derartige Anflüge von Lektüregier gibt es in Sachen Handke kaum noch, und die quälenden Diskussionen um seine Kür zum Nobelpreisträger haben das offenkundig befördert.
Umso entspannter lässt sich nun sein neues Buch betrachten, eine schmale Erzählung, die als "Dämonengeschichte" firmiert. Der Icherzähler, ein Schriftsteller, erinnert sich an eine lange zurückliegende Zeit, als er noch als Obstgärtner arbeitete und publizistisch allenfalls mit der Schrift "Über die drei Arten, Spalierbäume zu ziehen" hervortrat. Was sich damals im Dorf eines "kleinen Landes" ereignete, weiß er nur vom "Hörensagen" und aus Berichten seiner Schwester.
Von Dämonen besessen, galt er damals zuerst als belächelter Außenseiter, der auf einem Friedhof zeltete, und dann sowohl als Verkörperung des Bösen, der schreiend mit einer "Ortsdurchquerungssuada" auffällt und die Schöpfung als Ganzes verflucht, und als auch als Orakel, der den Dörfler den Spiegel vorhielt.
Bedeutung der "Schwellen"
Zwei Kapitel und eine Art Epilog umfasst Handkes Geschichte. Mit dem Ende des ersten Teils sieht sich der Erzähler plötzlich einer Gruppe von Fischern, darunter einem "Guten Zuschauer", gegenüber. Dieser befreit ihn von den Dämonen – ein epiphanieartiger Moment, der als "Erlösung" empfunden wird – und beauftragt den Geretteten, einen See zu überqueren und im "anderen Land" von seiner wundersamen Erfahrung zu berichten.
Unverkennbar knüpft Handke damit an die "Schweineepisode" aus dem Markusevangelium an, in der Jesus einen Besessenen von den Dämonen befreit und diese nicht in die Hölle, sondern in eine Schweineherde fahren lässt. Wie hier ist Handkes ganzer Text durchwoben von biblischen und mythologischen Verweisen – und nicht zuletzt von solchen auf sein eigenes Werk.
Wenn der Erzähler als "Schwellenhocker" auftritt, erinnert man sich so daran, welche aufgeladene Bedeutung "Schwellen" – in "Der Chinese des Schmerzes" etwa – seit jeher für Handke haben, und ist letztlich sogar geneigt, die "Befreiung" des Obstgärtners als subtiles autobiografisches Psychogramm zu lesen.
Das "Widerständische" geht verloren
Denn die Seligkeit, die der Erzähler im "anderen Land" erfährt, hat damit zu tun, dass Wut und Ungeduld für ihn nun keine Rolle mehr spielen und er von seinen "Nebenmenschen" angenommen wird, symbolisiert in einem gemeinsamen Festmahl.
Handkes Text, den es mit aller Langsamkeit zu lesen gilt, arbeitet wieder einmal mit aufgeladenen, vieldeutigen Bildern, ohne in falsches Pathos zu verfallen. So beglückend die Momente jenseits des Sees sein mögen, sie lösen die Widersprüche nicht auf. Verliert der einstige Wüterich, sobald er in der Gemeinschaft aufgeht, nicht die unverzichtbare Kraft der Auflehnung, das "unausrottbar Widerständische im Wesen"?
Vielleicht ja liegt am Ende nur ein Segen darin, wenn alles durch die Schrift gebannt wird – programmatisch formuliert in einem auf Tania Blixens "Geschichte des Schiffsjungen" zurückgehenden Satz: "Er lebte, um die Geschichte zu erzählen."