"Zeitkapsel" heißt die Veranstaltungsreihe am Literaturarchiv Marbach, innerhalb der das Gespräch mit Peter Handke stattfand, aus dem Deutschlandfunk Kultur die hier zu hörenden Auszüge sendet.
"Ich halte das schon fest für die Welt"
29:45 Minuten
Autor Peter Handke schreibt leidenschaftlich Tagebuch: Immer hat er ein Heftchen dabei. Entgegen seiner Regel, nicht über seine Texte zu sprechen, tat er das 2017 in Marbach doch – über eben diese Notizen, die er "eine Art von Schnuppen" nennt.
Der jüngst mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete österreichische Schriftsteller Peter Handke scheut normalerweise die Öffentlichkeit. Vor allem, weil er findet, dass das Mündliche, also das Sprechen über seine Texte, oft an seine Grenzen komme. Man solle sie lieber lesen. Nun machte er allerdings eine Ausnahme, an einem besonderen Ort.
Dem Literaturarchiv in Marbach hat Handke 2017 den zweiten Teil seiner Tagebücher überlassen. Der erste Teil ist dort bereits seit 2005 untergebracht. 151 solcher Hefte, über 30.000 Seiten, hat er allein in den letzten 25 Jahren gefüllt.
Kein Notizbuch gleicht dem anderen
Und diese präsentierte Marbach nun der interessierten Öffentlichkeit in einer Veranstaltung, die schon optisch faszinierte. Denn es handelt sich keineswegs um kostbare, beispielsweise in Leder gebundene Bücher – vielmehr gleicht keines dieser Notizbücher dem anderen.
"Ich nehm, was kommt. Nur keine Moleskine. Manchmal sogar Moleskine, wenn sonst nichts da ist", sagte Peter Handke im Gespräch mit Ulrich von Bülow. Der wies darauf hin, dass in vielen der Bücher Einlagen enthalten seien.
"Ja, es passiert halt. Federn, die man findet. Die müssen nicht unbedingt von Falken sein oder Adlerfedern. Adlerfedern sind überhaupt selten. Die wären auch zu groß für die kleinen Notizbücher. Aber Falken und Spechte, wo halt der Blick hinfällt. Ich kann schon vieles liegen lassen. Aber keine schönen Federn."
Auch Zeichnungen sind in den Tagebüchern enthalten. Einige davon hatte Handke vorab herausgelöst und unter dem Titel "Vor der Baumschattenwand nachts" publiziert und auch in einer Berliner Galerie gezeigt.
Trainiert, die Schnuppen festzuhalten
Seit 1975, also sei über 40 Jahren führt Handke Tagebuch. Begonnen hatte er mit sogenannten Arbeitsbüchern, die auf eines seiner Projekte bezogen waren.
"Und dann habe ich gemerkt, dass das zu bedauern ist, denn vieles, das so als Sprachform einem begegnet, ist im Moment da und verschwindet wieder – man muss ja nicht sagen Sternschnuppe, aber wie eine Art von Schnuppe, die vorbeigeht. Und dann habe ich mich trainiert, diese Schnuppe in der besonderen Form, die es nur einmal gibt, für mich jedenfalls, festzuhalten."
Wie der Held in einem Western seine Waffe, so habe er in einem solchen Augenblick dann ein solches Notizbüchlein gezogen. Die seien im Laufe der Zeit so klein geworden, dass sie bequem in seine linke – immer in die linke – Hosentasche passen.
Seither trägt er immer eines mit sich herum und notiert darin alles Mögliche: Alltagsbeobachtungen, Aphorismen, literarische Skizzen, Reisenotizen – besonders aus der Zeit, als er drei Jahre lang keinen Wohnort hatte und herumreiste – oft zu Fuß.
"Ich halte das schon fest für die Welt… Ich will was geben. Ich will was überliefern."
Poetische Gültigkeit ist der Anspruch
Poetische Gültigkeit sollten die Notizen also haben. Der Ausdruck Tagebuch führt deshalb auch in die Irre, denn Persönliches oder Äußerungen über andere Personen finden sich darin nicht. Auch Politisches kommt kaum vor. Beim Blättern in einigen der Bücher konnte nicht immer auf Anhieb alles entziffert werden.
"Was heißt eigentlich VS? VS? Nein, US – für unwillkürliches Selbstgespräch."
Solche Einblicke in die Arbeitsweise von Handke gab es in Marbach. Der Schriftsteller betonte: "Ich kann ihnen versichern, es ist keine Manie, ich bin nicht besessen davon, es tut mir einfach gut."
Erstsendedatum: 9. Februar 2019