Peter Handke: "Vor der Baumschattenwand nachts. Zeichen und Anflüge von der Peripherie 2007-2015".
Verlag Jung und Jung, Salzburg 2016.
424 Seiten, 28 Euro
Radikal verknappt
Peter Handkes Sammlung "Vor der Baumschattenwand nachts" bündelt Gedankensplitter, Beobachtungen und spielerische Dialoge aus den Jahren 2007 bis 2015. Im Zentrum stehen dabei Überlegungen zur Tätigkeit des Schreibens.
Peter Handke ist ein Schreiber. Er hat immer Papier und Bleistift dabei, und er notiert, was ihm auffällt. Ein wichtiger Bestandteil seines Werks sind schon immer die Tagebücher gewesen, und er hat mit seinem österreichischen Widerpart Thomas Bernhard gemein, dass er die eher intimeren Schriften nicht bei seinem Stammverlag Suhrkamp, sondern in Salzburg veröffentlicht. So erscheinen die "Zeichen und Anflüge von der Peripherie 2007-2015" nun wieder im dortigen Verlag Jung und Jung.
Schon dieser Untertitel verweist aber darauf, dass es sich beileibe nicht um gewöhnliche Tagebücher handelt. "Vor der Baumschattenwand nachts" sind äußerst verknappte Gedankensplitter, Beobachtungen, spielerische Dialoge und manchmal auch regelrechte Aphorismen.
Von den "Aufzeichnungen" die zuletzt im Jahr 2005 erschienen sind, unterscheiden sich die jetzigen Sätze durch ihre radikale Reduktion. Die Subjektivität, das sich in längeren Sätzen selbst vergewissernde Selbst- und Weltgefühl tritt hier zurück. Im Vergleich zu früheren Tagebüchern gibt es kaum mehr solch suggestive Passagen über Wanderungen und das Schwimmen in Flüssen.
Die Subjektivität probiert sich nach wie vor aus, aber sie versucht sich meist in Zuspitzungen und Abstraktionen. Oft steht am Schluss ein Fragezeichen, oft mündet das Ganze in ein allgemeines Suchen und in Gegenfragen.
Überlegungen zur Tätigkeit des Schreibens
Im Zentrum stehen Überlegungen zur Tätigkeit des Schreibens. Es gibt dabei mehrere Versuchsanordnungen. Eine davon ist, Sätze mit "und" zu bilden und diesem Und nachzuhorchen, einmal wird dieses "Und" auch definiert: es sei "Zwischenraum und Geheimnis". Das sind Schlüssel- und Lieblingsbegriffe von Handke, und er findet immer neue konkrete Bilder dafür.
Ein anderes Leitmotiv ist die Suche nach einem Verb für eine ganz bestimmte, poetische Situation. Als Verb für das "Wirkliche" findet er einmal "es wuchtet", als Verb für das Rotkehlchen "es flaumt" und für das Grünen "es zählt". Eine dazu passende Zeile heißt: "'Leises Grün': Kann man so sagen? Ja". Das Sich-selbst-ins-Wort-Fallen, das Nachhorchen ist charakteristisch, und als Bestreben ist deutlich erkennbar, der Sprache immer neue Nuancen abzugewinnen, frisch und überraschbar zu bleiben.
Vom Polemiker, vom Wüterich Handke ist aber auch etwas zu spüren. Er setzt sich von den "opportunistischen Künstlern" ab und hofft: "Das lieblose Bürgerum – Thomas Mann – darf nicht siegen. Aber was heißt schon 'siegen'?" Dennoch geht es hier nicht um Politik, es geht um Fragen nach der Kunst und auch um einen Rückblick auf die Beschäftigung mit der Kunst, es hat etwas von Wilhelm Meisters Wanderjahren.
Selbstironisch und verspielt
Es ist sehr hübsch, dass einer der Einträge lautet: "Der Goethe der 'Wanderjahre', nach der Luftigkeit der 'Theatralischen Sendung' und der 'Lehrjahre', hat etwas von einem 'Gruftie'".
Das hat etwas von Selbstironie, von etwas Verspieltem, das Handke auch in den hymnischsten Naturversenkungen, pathetischen Anleihen und Gebets-Anwandlungen zu eigen ist. Er betreibt seine Wanderjahre auf jugendliche Weise, wobei die "Wanderjahre" mittlerweile vor allem die des Bleistifts auf dem Papier sind.
Diese Notate haben etwas Selbstreferenzielles, sie haben auch etwas Manieristisches: Sie messen den Kosmos des Handke'schen Weltzugangs immer wieder neu aus und kümmern sich nicht um aktuelle Zuweisungen an die Literatur. Dieser Schreiber schert sich nicht um Peinlichkeiten und mögliche Missverständnisse, er schreibt seine Gedanken erstmal hin, und wenn er Lust hat, lässt er sie einfach so stehen.
Typisch sind Nachsätze wie "Hab ich das nicht schon so ähnlich notiert? Und wenn - ". Aber auch große Sätze, die sich gegen sofortige Besser- und Bescheidwisser richten: "Ein kluger Dichter ist keiner". Nein, das ist kein Eigentor. Das fragt nur unbeirrbar weiter danach, was das Poetische denn eigentlich ist.