Peter Handke: "Wer sagt denn, dass die Welt schon entdeckt ist?" 5 Prosawerke
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
493 Seiten, 24 Euro
Unerhörte Bilder
05:48 Minuten
Der Nobelpreis für Peter Handke ist wegen des Äußerungen zum Jugoslawienkrieg äußerst umstritten. Der Suhrkamp Verlag gibt nun, kommentar- und nachwortlos, fünf Prosawerke Handkes in einem Band heraus. Eine Aufforderung zur Wiederlektüre des Autors.
Wie wohltuend es doch sein kann, sich ganz allein auf Buchstaben und Wörter zu konzentrieren, erhellenden Sätzen zu folgen und Geschichten zu lesen, die die Welt als ständig neu zu erobernde betrachten. Und wie gut tut es, sich nach dem Getöse, das Peter Handkes Kür zum Nobelpreisträger hervorgerufen hat, auf sein singuläres Werk zu konzentrieren und zu vergessen, was oft literaturferne Moraltrompeter und Tugendprediger in den letzten Wochen mit rätselhaftem Furor zum Besten gegeben haben.
Handkes Hausverlag Suhrkamp, der auf der Frankfurter Buchmesse beschämend dezent auf die Auszeichnung seines Autors reagierte, bündelt nun, kommentar- und nachwortlos, fünf seiner essentiellen Prosawerke, die bis auf "Versuch über den geglückten Tag" (1991) allesamt aus den 1970er-Jahren stammen: "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter", "Wunschloses Unglück", "Der kurze Brief zum langen Abschied" und "Die linkshändige Frau". Sie spiegeln – da voluminöse Romane wie "Mein Jahr in der Niemandsbucht" oder "Der Bildverlust" naturgemäß keinen Platz in diesem Sammelband finden konnten – nicht die Bandbreite des Prosaisten Handke wider, doch sie machen in der Wiederlektüre deutlich, auf welche Weise Handke von seinen Anfängen an schreibend die Wirklichkeit neu "entdecken" wollte.
Einsamkeit der Protagonisten
"Der Tormann, der einem grellgelben Pullover anhatte, blieb völlig unbeweglich stehen, und der Elfmeterschütze schoss ihm den Ball in die Hände" – bereits der Schlusssatz aus Handkes bald zur Schullektüre gewordenen "Tormann"-Erzählung (die nur Unbedarfte für einen Fußballtext halten) zeigt in seiner Empirieferne an, dass es nicht um Realitätsverdopplung geht, sondern um unerhörte Bilder, die die Einsamkeit der Protagonisten vor einem gleichsam metaphysischen Hintergrund beleuchten.
Leichtfertig steckte man damals Handkes Prosa dieser Jahre, vor allem "Die linkshändige Frau", in die schnell beschriftete Literaturgeschichtsschublade "Neue Subjektivität/Innerlichkeit" – übersehend, dass es ihrem Autor nicht um das Wiedergeben apolitischer Befindlichkeiten ging.
Permanente Suche
Auch "Wunschloses Unglück" (1972) zählt nur oberflächlich gesehen zu den zahlreichen Väter-Mütter-Söhne-Töchter-Texten jener Jahre. Wie der Erzähler sich erinnernd seiner Mutter, die sich das Leben genommen hat, annähert, wie er ein "Leben das nach Individualität strebte und gleichzeitig gefangen war von dem, was dafür an Freiraum gegeben wurde", beschreibt, dient nicht als literarische Therapiemittel, bannt "nichts für das nächste Mal". Folglich kommt das Bestreben, auf den Grund der Welt zu gelangen, nie ans Ziel.
Handkes großartiger, diesen Band abschließender "Versuch über den geglückten Tag" ist Beispiel dieser permanenten Suche, unterscheidet skrupulös den "geglückten" vom "glücklichen" Tag und letzteren wiederum von der jahrhundertelang beschworenen Epiphanie des Augenblicks. Und bei aller feinsinnigen, sprachmächtigen Annäherung bleibt dieser Versuch vielleicht dennoch, so der Untertitel, ein "Wintertagtraum".