Peter Høeg: "Der Susan-Effekt"

Wenn Menschen die Wahrheit sagen müssen

Der dänische Schriftsteller Peter Hoeg.
"Der Susan-Effekt" ist der erste Krimi Peter Høegs nach "Fräulein Smilla" © picture alliance / dpa /Anders Birch
Von Wolfgang Schneider |
Im Kriminalroman "Der Susan-Effekt" von Peter Høeg sagt eine Zukunftskommission den Untergang Dänemarks voraus. Die Physikerin Susan ist einer Elite auf der Spur, die geheime Maßnahmen zur Evakuierung trifft. Ein düsteres Szenario, allerdings mäßig spannend erzählt.
23 Jahre nach "Fräulein Smilla" präsentiert Peter Høeg wieder einen Kriminalroman mit markanter Heldin. Und eine nicht ganz normale Familie in Schwierigkeiten: Die Experimentalphysikerin Susan Svendson hat einen zudringlichen Kerl mit Athletenstatur beinahe ermordet. Ihr Mann Laban, ein berühmter Komponist, wird von der indischen Mafia verfolgt. Die sechzehnjährige Tochter hat eine Affäre mit dem Priester des Kalitempels in Kalkutta, ihr Zwillingsbruder befindet sich in einer nepalesischen Grenzstadt in Haft wegen Antiquitätenschmuggels. Doch die dänische Vorzeigefamilie wird aus dem Schlamassel gerettet von dänischen Geheimdienstleuten. Die verfolgen allerdings ihre eigene Agenda: Sie wollen sich des Susan-Effekts bedienen.
"Ich rufe Aufrichtigkeit hervor", sagt Susan. Menschen müssen in ihrer Gegenwart einfach die Wahrheit ausplaudern, was bei einer Frau im Bus folgenlos bleibt, bei hochrangigen Politikern und Wissenschaftlern jedoch Probleme mit sich bringt. Nun geht es darum, die Protokolle einer Kommission aufzuspüren, die seit Anfang der siebziger Jahre die Gefahren der Zukunft erforscht hat und neben ökologischen Katastrophenszenarien auch konkrete Ereignisse wie den Irakkrieg oder die Finanzkrise prognostizierte.
Eine solch clevere Kommission ist sicher eine lobenswerte Einrichtung. Allerdings: Prophezeiungen von gestern, erst recht, wenn sie sich bewahrheitet haben oder nichts anderes verkünden, als was inzwischen alle gutwilligen Spatzen von den Dächern der Nachhaltigkeit pfeifen, sind nicht unbedingt aufregend. Høegs moralisch-ökologischer Impetus hat zu einer verwickelten, aber nicht ganz überzeugenden Handlungsidee geführt.
Verschwörungen und brutale Morde
Deshalb zündet der Autor eine zweite Stufe des Komplotts, die nun eher von Hollywood-Dramaturgien inspiriert ist. Die Zukunftskommission hat nämlich auch genaue Angaben darüber gemacht, wann der Untergang Dänemarks stattfinden werde. Eine Elite von 4000 Dänen hat ebenso aufwendige wie geheime Maßnahmen zur Evakuierung getroffen. Høeg malt keine Apokalypse à la Emmerich aus, aber er spielt mit dem düsteren Szenario, um eine mäßig spannende Thrillerhandlung zu motivieren. Susan ist der Verschwörung auf der Spur – allerdings ist jemand noch schneller als sie, denn ein Mitglied der Kommission nach dem anderen wird brutal ermordet.
Ein Reiz des Romans besteht in seiner klugen, wenn auch etwas umschweifigen Erzählkunst: Exkurse über Physik und Naturwissenschaften, dazu viele Familienaffären und eine heikle Ehe. Susan ist eine Ich-Erzählerin mit sprödem Charme und nicht ohne Witz – und eine Heldin, die Gendertheoretikern Freude machen dürfte: Eine erfolgreiche Wissenschaftlerin, die zugleich mit einem Kuhfuß umzugehen weiß, starken sexuellen Appetit auf jüngere Männer entwickelt, sich gegen männliche Aggression aber resolut verteidigt. Einen Vergewaltiger (zugleich ein Physik-Nobelpreisträger) hat sie mit einer Bohrmaschine geradezu gekreuzigt. Høeg bedient das inzwischen im Unterhaltungskino weit verbreitete Stereotyp der "starken" Frau – ebenfalls ein Geschlechterklischee, wenn auch ein neues.

Peter Høeg: Der Susan-Effekt
Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle
Hanser Verlag, München 2015,
400 Seiten, 21,90 Euro

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