PeterLicht: "Ja okay, aber"

Officeworker-Kot im Siebträger

05:30 Minuten
Tassen mit dem Logo des Coworking-Unternehmens WeWork stehen nebeneinander in einem Regal.
Zwischen Floskeln und Selbstoptimierungslügen: Die schöne neue Arbeitswelt der Co-Working-Spaces ist in PeterLichts "Ja okay, aber" schlicht furchtbar. Aber wussten wir das nicht längst? © Unsplash / Dan Gold
Von Stefan Mesch · 14.12.2021
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PeterLichts erster Roman "Ja okay, aber" erzählt vom Alltag in einem Co-Working-Space. Das Buch fängt gut an, findet unser Kritiker Stefan Mesch. Doch letztlich blieben die Figuren läppisch ungefähr und die Erzählwelt kulissenhaft.
Offen bleibt, in welcher Stadt das spielt, wie der Ich-Erzähler heißt und was exakt er täglich am Computer tut. Offen bleibt, ob er gut darin ist. Ob er ganz andere Wünsche, Möglichkeiten hat oder hatte. Jetzt gerade sitzt, kniet, stolpert oder schleicht er durch eine Kammer, die er in einem Gemeinschaftsbüro gemietet hat.
Im Space, beim Co-Working macht jeder seins, und die Gespräche (meist: ausweichende Schwätzchen) auf dem viel zu engen Flur und vor der teuren Kaffeemaschine sollen nicht lange dauern oder groß aufhalten und niemanden belasten. Alles okay? Alles okay! Also, fast alles okay. Also, na ja. Schon okay. Ja okay, aber.

Vom Sonnendeck in die Floskelhölle

PeterLicht hatte 2001 einen Hit mit "Sonnendeck", nahm sechs, sieben Alben auf und schreibt fürs Theater.
Beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis 2007 gewann er den Publikums- und den 3sat-Preis für einen Monolog, in dem eine namenlose Figur leicht, heiter und zunehmend eskalierend betont, dass alles okay sei – das meiste jedenfalls, vom riesigen Loch in der Wohnung, den militärischen Vergeltungsschlägen, Trümmer- und Leichenbergen vielleicht abgesehen. Doch die, schickt der Erzähler nach, gibt es eben auch nicht alle Tage pausenlos, und bis zur nächsten Verwüstung ist es noch ein paar Stunden hin, jetzt also erstmal Zeit für ein schönes Frühstück.
Nach drei Büchern mit kürzeren Texten ist "Ja okay, aber" PeterLichts erster Versuch, solche Stimmungswelten, Kipppunkte und Irritationen in Romanlänge, fast 240 Seiten lang, zu verkaufen. Die ersten 20 Seiten dabei machen Spaß – weil sie klug einfangen, wie Menschen sich in Büros, Spaces einmieten, um in die richtigen Stimmungen – Headspaces – für produktive Arbeit zu kommen.
Nähe ist erwünscht – doch dabei eben nur ganz bestimmte Sätze, Fragen, Wortwechsel. Sonst wird man ausgebremst, abgelenkt, und der ganze selbstverwaltete Arbeitstag, die Existenz, das Selbstbild wankt.

Die teure Kaffeemaschine liefert den Treibstoff

Die Floskeln, Selbstoptimierungs-Lügen und die Behauptung, viel erreichen zu wollen, obwohl die Tage komplett verrinnen: Nach 40, 60 Seiten ist das Muster klar, und wer das als clevere, charmant entlarvende "Kapitalismuskritik" lobt, hat dieselben Schönrede- und Floskel-Probleme wie der Erzähler. "Lieder vom Ende des Kapitalismus" hieß ein PeterLicht-Album von 2006, "Wir werden siegen! Buch vom Ende des Kapitalismus" eine Textsammlung (auch 2006), und klar müsste 2021 eher noch mehr, noch dringender und kritischer gefragt werden, ob eine teure Kaffeemaschine vor allem "Treibstoff" für brave Lohnarbeit liefert und wie sich Räume, Sprache, Innenwelten unter Dauer-Produktivitätsdruck grotesk verformen.
Als witzig trocken vorgetragener Lesungstext, als süß-bitteres Häppchen macht das oft Spaß. Auf Romanlänge fehlt fast alles: Die Figuren bleiben läppisch ungefähr und die Erzählwelt so kulissenhaft, langweilig fadenscheinig, dass kein Abgrund, keine (Alb-)Traumsequenz und kein tristes Episödchen eine Rolle spielt, weil alles eh dauernd umgeschichtet, ins Vage geschwafelt wird – und damit doch wieder vor allem: entpolitisiert. Wir gehen auf ein Konzert. Aber dann doch lieber in einen Imbiss. An der Imbissdecke hängt ein Fernseher. Der Fernseher ist verkrustet vom Fett gestorbener und gebratener Tiere. Das Konzert ist vorbei. Im Saal liegen jetzt lauter Erschossene. Oder doch nicht. Na ja.

Der Markt will solche Bücher

2001 schrieb Rainer Merkel einen (damals fand ich: grandiosen) Roman über die Floskeln in einem Konzern, bei dem zunehmend unklar ist, was dort eigentlich produziert wird: "Das Jahr der Wunder". 2003 schrieb Lukas Hammerstein einen (bis heute finde ich: müde möchtegern-aufrüttelnden) Roman über eine wochenlange New-Economy- und Kunst-Medienszene-Party, die vorhersehbar und überzeichnet eskaliert: "Die 120 Tage von Berlin".
Dass PeterLicht noch heute Blumentöpfe will für Bildwelten, Möchtegern-Schrecksekunden, Möchtegern-Schocks und Möchtegern-"Zeitkritik" aus denselben Bausteinen, entlarvt, immerhin, mal wieder den Kapitalismus. Denn stell dir vor, der Markt will Bücher, in denen frustrierte Officeworker in den Siebträger der teuren Kaffeemaschine koten. Stell dir vor, du musst sie schreiben, immer von vorne. Oder sie lesen, im siebten, im fünfzehnten Aufguss. Urks.

PeterLicht: "Ja okay, aber"
Klett-Cotta, Stuttgart 2021
240 Seiten. 20 Euro

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