Die Ausstellung "Peter Lindbergh – From Fashion to Reality" ist vom 13. April bis zum 27. August in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München zu sehen.
Vier Jahrzehnte fotografischer Arbeitswut
Er fotografiert fast immer in Schwarz-Weiß und er schaut mit der Kamera seinen Models in die Seele: Peter Lindbergh hat in den 80er-Jahren die Modefotografie revolutioniert. Die Kunsthalle München zeigt nun die umfassende Werkschau "From Fashion to Reality".
Großes Blitzlichtgewitter um einen kräftigen Senioren in einfachem schwarzem T-Shirt – Brille auf der Nase, weißer Bart. Wacher, scharfer Blick. Peter Lindbergh ist ein unprätentiöser Künstler, ein – ihn umweht freilich eine über Jahrzehnte gewachsene Aura der größten Models der Welt. Kate Moss, Claudia Schiffer, Naomi Campbell. Er hat sie unsterblich gemacht.
Jenseits der 70 hochproduktiv
Mit einem einfachen Prinzip, wie er sagt. Verantwortung gegenüber der Natürlichkeit von Frauen. Eine Tugend, die im Photoshop-Zeitalter weiter abnimmt.
"Jede Regung des Lebens, das sie vielleicht irgendwann einmal hatten. Jeden Gedanken, der sich vielleicht irgendwo manifestiert hat in einem Gesicht, was dann eigentlich positiv sein sollte. Das kann man alles wegtun. Da kann man also jeden Menschen auf Null reduzieren – und dann behaupten, das ist schön."
Ein Wertkonservativer spricht da auf der Pressekonferenz anlässlich seiner Ausstellung "From Fashion to Reality". Peter Lindbergh ist auch jenseits der 70 noch hochproduktiv. Heute freilich mit einer digitalen Kamera – und dem analogen Blick nach Natürlichkeit, nach dem Menschlichen in der kühlen Welt des Modeglamours. Lindbergh umarmt seine Models herzlich nach dem Shooting, wie ein alter Vater.
Diese Emotionalität bei der Arbeit zeigt der spannende Dokumentarfilm auf der Werkschau – neben natürlich den Fotografien selbst: Es sind ziemlich viele Bilder, die Peter Lindbergh in seinem persönlichen Archiv hortet – und ziemlich viel davon hat der kanadische Kurator Thierry-Maxime Loriot in die Ausstellung gestopft.
Models wie Kate Moss großgemacht
Verschiedene thematisch gegliederte Räume widmen sich Lindberghs Schaffen: Natürlich beginnt alles mit den Supermodels – einige Fotografien haben sich in die Geschichte der Populärkultur gebrannt: wie etwa die Gruppe um Tatjana Patitz, Estelle Léfebure und Linda Evangelista, wie sie ausgelassen in weißen Blusen und Slips am Strand von Malibu herumtollen. Wie ein ironischer Off-Kommentar zeigt die Ausstellung ein Foto vom selben Shooting 1988 – die Models stehen hier allerdings in neutraler Ernsthaftigkeit der Kamera gegenüber. Einige Models wie Kate Moss oder Christy Turlington hat er großgemacht. Hier zitiert sich die Klasse der Lindberghschen Models selbst – immer wieder in einer Art Klassenfotos.
Porträtierte sich selbst inszenieren lassen
Auch der politischen Seite seines Werkes ist ein Raum gewidmet. In metallenen Archiv-Regalen zeigt Lindbergh Kampagnen wie die im Magazin "Harper's Bazaar" 2004. Dem Kriegsgetrommel der Bush-Regierung setzten seine Models eine fotografische Friedensdemonstration entgegen. Komplexer wird Lindberghs Reflexion gesellschaftlicher Realität beim Spiel mit geschlechtlichen Identitäten, das er in vielen seiner Bilder festhielt. Peter Lindberghs Rolle dabei ist eine vordergründig stille.
Er lässt die Menschen sich selbst inszenieren, etwa in seiner Porträt-Serie über Designer, die er 1978 für den Stern fertigte – der schillernde Modezar Yves Saint Laurent hält in beiden Händen eine überdimensionierte, glänzende Schere – die das Blitzlicht wiederum grell reflektiert. Ein kluger ironischer Kommentar, den Lindbergh dieser bildlichen Choreografie mitgibt. Ist das noch Modefotografie – oder schon Kunst? – Lindbergh sieht die Frage, wie alles, sehr pragmatisch:
"Fotografie, Kunst oder nicht Kunst, es ist also ganz einfach. Die langweiligen Fotos, die wiedergekäuten Fotos, die enden alle im Papierkorb. Und die tollen, innovativen und engagierten Fotos, die enden im Museum. Ob man das nun Kunst nennt oder wie, ist eigentlich egal."
Surrealistische filmische Experimente
In letzter Zeit hat Lindbergh viel mit Film experimentiert. Heraus kamen surrealistische Filminstallationen wie das Projekt "The Unknown". In einem leeren Raum dreht sich ein Podest, das mit Swarowski-Steinen bestückt ist. An den Wänden sind verschwommene Tanzszenen in bläulichem Disko-Nebel zu sehen.
Eine große, vielfältige, aber schier erdrückende Werkschau ist die Lindbergh-Ausstellung geworden. Die Genialität einzelner Fotos geht in dieser inflationären Fülle leider unter – im Raum mit dem Titel "Dunkelkammer" hängen sie zu Dutzenden dicht an dicht. Vier Jahrzehnte fotografischer Arbeitswut sind nicht einfach zu dokumentieren.