Peter Neumann: „Feuerland"
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Personen des 20. Jahrhunderts im Fokus
31:12 Minuten
Peter Neumann
Feuerland. Eine Reise ins lange Jahrhundert der Utopien. 1883-2020Siedler Verlag, München 2022304 Seiten
24,00 Euro
Der Philosoph und Journalist Peter Neumann stellt in seiner "Reise ins lange Jahrhundert der Utopien“ Personen vor das Politische. Doch er befasst sich mehr mit Biografischem und Anekdotischem als mit Utopischem.
Der Untertitel von Peter Neumanns Buch „Feuerland“ weckt Erwartungen: Versprochen wird eine „Eine Reise ins lange Jahrhundert der Utopien“.
Zunächst lässt der Autor in einem Kapitel seines Buches das 19. Jahrhundert zu Wort kommen. Die „Berliner Illustrierte Zeitung“ fragte 1899 ihre Leser, wie sie das vergangene Jahrhundert in Erinnerung behalten werden. Eine Mehrheit entschied sich für „Jahrhundert der Erfindungen“. Jedoch hat Neumann nicht dieses Kapitel an den Anfang seines Buches gestellt.
Er beginnt vielmehr mit der Schilderung eines Ereignisses, das am 26. August 1883 bis in den Norden Deutschlands für ein leichtes Beben sorgte. An diesem Tag war nämlich im weit entfernten Indonesien der Krakatau ausgebrochen, sodass in Hamburgs Kirchen die Kronleuchter schwankten. Doch weder ein Vor- noch ein Nachwort informiert darüber, in welchem Zusammenhang der Autor dieses Naturereignis zu den Utopien des 20. Jahrhunderts sehen will. Soll man sich als Leser fragen, ob sich nicht angesichts einer solchen Katastrophe die von Menschen erdachten utopischen Überlegungen als marginal erweisen?
Wittgenstein auf dem Weg zu Trakl
Da das in drei Teile und 19 Kapitel gegliederte Buch nicht geschichtlichen Zäsuren folgt, erfährt man von Hitlers Machtergreifung in einem Kapitel über Samuel Beckett, den 1936 eine Reise nach Deutschland führte.
Ganz bewusst belässt Neumann das Politische im Hintergrund, um im Vordergrund Personen agieren zu lassen. Ludwig Wittgenstein etwa macht sich im Ersten Weltkrieg auf den Weg, um den in einem Garnisonsspital liegenden Georg Trakl zu besuchen. Doch als der Philosoph dort eintrifft, ist der Dichter bereits tot. Trakl gehört zu den Opfern dieses Krieges. Sein Leben blieb – wie das Leben so vieler auf den Schlachtfeldern Gefallener – unvollendet. Doch worin das utopische Potenzial dieser und der meisten Geschichte liegt, die Neumann erzählt, verrät der Autor nicht.
Selten ist vom Utopischen die Rede
In einem Gespräch hat Neumann geäußert, dass er in seinem Buch „Geschichten von Personen“ erzählen will. Das ist ihm eindrucksvoll gelungen. Aber angesichts des Titels hätte man eine stärkere Beachtung der mit den Biografien in Zusammenhang stehenden Utopien erwartet. Viel zu selten ist von ihnen die Rede.
In erster Linie geht es in dem verlässlich recherchierten und gut zu lesenden Buch um Beziehungskonstellationen zwischen Schriftstellern, Künstlern und Philosophen. In Berlin begegnet Franz Kafka Else Lasker-Schüler, in London besucht Salvador Dalí Siegmund Freud, in Basel trifft Hannah Arendt Karl Jaspers. Theodor W. Adorno lädt Gottfried Benn zu einem Rundfunkgespräch ein und Christa Wolf schreibt Jürgen Habermas nach Frankfurt am Main.
Aber über Utopien sprechen sie nicht. Abgesehen von wenigen Ausnahmen fällt an den Geschichten auf, dass es sich eher um Dystopien als um Utopien handelt. Sollte der Autor allerdings der Überzeugung sein, dass das Katastrophale zum Utopischen gehört, hätte man darüber gern mehr erfahren.