Mr. Rockpalast wird 80
1977 gab es eine kleine Revolution im bis dahin leicht verschnarchten deutschen Fernsehen: Peter Rüchel startete seine legendäre Konzertreihe "Rockpalast": Die ganze Nacht hindurch konnte man mehrere Bands live spielen sehen. Ein Bombenerfolg für Rüchel, ein Geschenk für die Rockfans.
Peter Rüchel – mit weißem, immer noch schulterlangem Haar – war die meiste Zeit seines bislang achtzigjährigen Lebens ein gemächlicher Haudegen für die Belange der Jugendlichen.
In Berlin hatte er beim S-F-Beat gearbeitet: der ersten Jugendsendung im Radio – die sich (in den Sechzigern) mit der Realität der jungen Leute beschäftigte, für das ZDF dann ein Jugendmagazin für Lehrlinge gebastelt: "Direkt!", eine Sendung, in der Teens und Twens mit selbstgedrehten Gruppenfilmen gegen Ausbeutung und Bildungsmisere agitieren durften, wie DER SPIEGEL das beschrieb.
"Direkt!" wurde mehrfach prämiert, aber den ZDF-Oberen war die Sendung viel zu links, und 1974 wurden die Macher ausgetauscht.
Eine kleine Fernsehrevolution
Rüchel wurde flugs zum liberalen WDR gerufen als Leiter der Jugendredaktion (ein Schritt ins Freie!) und traf dort auf den Filmhochschüler Christian Wagner, der von einer im Fernsehen adäquat und LIVE präsentierten Rockmusik träumte. Und die beiden planten eine Fernsehrevolution.
Ganz frisch und frech fingen die beiden an, für kleines Geld der Redaktion in einem ebenfalls kleinen Studio (für 80 Leute) Konzerte aufzuzeichnen – ohne zu wissen, wann und wo die gesendet werden sollten. Und tatsächlich kriegten sie zwei Jahre später einen Sendeplatz dafür: 30 Minuten einmal im Monat!! Das war frustrierend, denn in diesem Miniformat waren die Konzerte immer schon zu Ende, bevor sie richtig begonnen hatten.
"Also, wir saßen da zusammen und dachten: Das muss ganz anders werden! Erstes Programm, Samstagnacht auf Sonntagmorgen, live, parallele Stereophonie im Radio – weil das Fernsehen konnte damals noch nicht in Stereo senden, Eurovision, ganze Konzerte, Ende offen – Ende offen war ja auch schon im Konzept mit drin..."
Und das war ziemlich gewagt. Aber Rüchel ging einfach mal zu seinem Abteilungsleiter (dem des Familienprogramms, in dessen Ressort das Jugendprogramm stattfand) und fragte nonchalant: Haben sie mal 20 Minuten Zeit? – Und damit war’s durch, dieses simple, aber revolutionäre Fernsehkonzept!
"Und dann haben wir angefangen, nächtelang zu telefonieren, um dann möglichst direkt an die Gruppen, die wir haben wollten, heranzukommen."
Die Manager am andern Ende waren alle freundlich und sagten: Ah, ruf uns doch nächste Woche nochmal an!
"Und ich nehme an, dass sie diese Zwischenzeit benutzt haben, um ihre Gewährsleute in Europa zu fragen: Sag mal, da hat mich so ein Irrer neulich Nacht angerufen... – nationwide German Television, Rockmusik im Fernsehen, pipapo..."
Umbaupause live im Fernsehen
Doch am 23. Juli 1977 startete dann tatsächlich die erste Nacht: Tagesschau, Wetterkarte, Wort zum Sonntag, Rockpalast: Rory Gallagher, Little Feat, Roger McGuinn Thunderbyrd.
"Wir waren Enthusiasten, blauäugig, und wussten über die konkreten Erfordernisse eines solchen großen Unternehmens noch nicht sehr viel."
Was dann gleich in der ersten Nacht zu einer Umbaupause von 40 Minuten führte, in der den Moderatoren bald der Moderationsstoff ausging:
"So dass man europaweit live nur hörte den Line-Check von Little Feat: One two. One two. Check check. One two...."
Und die Kamera zeigte währenddessen einen leeren weißen Flur....
Gerade dieses Unperfekte verschaffte dem Rockpalast Glaubwürdigkeit: Stallgeruch! Hier sind Verrückte am Werk, denen es nur um die Musik geht. Und die konnte man sehen: Die völlig nüchterne Kameraführung begleitete die Hände des Gitarristen beim Solo, fing die Schweißtropfen des Sängers ein: Das waren magische Nächte: das Wir-Gefühl, tatsächlich: Wir waren unter uns! Zwei Mal im Jahr.
In der Blütezeit gab es wöchentlich zwei kleine Rockpalastkonzerte und ein jährliches Festival auf der Loreley, aber der Knaller waren – eben die langen Nächte. Und bei der Rocknacht mit The Who und Grateful Dead waren 14 Länder über die Eurovision angeschlossen.
Mitte der Achtziger ging der Rockmusik die Luft aus
Aber Mitte der Achtziger ging der Rockmusik die Luft aus, die Bands wurden langweiliger, vor allem aber waren die privaten Fernsehsender an den Start gegangen – und plötzlich meinten auch die Öffentlichen-Rechtlichen, sie müssten vor allem – Quote einfahren.
"Herr Rüchel, wie war denn Ihre Quote?"
"Und ich hab gesagt: Ja, Doktor Struwe, 100%."
"Wie, 100%?"
"Ja, alle, für die Rockmusik ein Lebensmittel ist, haben zugeguckt. Aber das war nun längst nicht mehr die gültige Münze."
"Und ich hab gesagt: Ja, Doktor Struwe, 100%."
"Wie, 100%?"
"Ja, alle, für die Rockmusik ein Lebensmittel ist, haben zugeguckt. Aber das war nun längst nicht mehr die gültige Münze."
1986 wird der Rockpalast abgesetzt
1986 wurde der Rockpalast abgesetzt. Um schließlich, dank nicht abreißender empörter Zuschauerpost, nach vier Jahren wieder anzufangen. Und wieder war Peter Rüchel der zuständige Redakteur. Aber andere Gepflogenheiten hatten sich im Business durchgesetzt: Auch die Musikindustrie war im Umbruch. Und man spürte, dass die Verbundenheit verschwunden war.
Peter Rüchel ging dann 2003 in Rente, hat seitdem an der Aufbereitung von ausgewählten Konzerten für DVDs gearbeitet, tingelt mit einer Band von jungen Musikern über die Dörfer – und erzählt Anekdoten – aus dem kurzfristigen magischen Musik-für-Fans-Projekt "Rockpalast".