Peter Schäfer: Kurze Geschichte des Antisemitismus
C.H.Beck Verlag, München 2020
334 Seiten, 26,95 Euro
Judenfeindschaft seit der Antike
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In seiner "Kurzen Geschichte des Antisemitismus" gibt der Judaist Peter Schäfer einen historischen Überblick über Hass und Feindschaft gegen die Juden: unaufgeregt, sachlich, aber entschieden.
"Ein kühnes Unterfangen" nennt Peter Schäfer seine "Kurze Geschichte des Antisemitismus". Denn das Auftreten von Antisemitismus beginnt für den Judaisten, der an der Freien Universität in Berlin und an der Princeton University gelehrt hat, bereits in der griechisch-römischen Antike. Allein über diese geschichtliche Periode hat er bereits 2010 ein umfangreiches Werk publiziert.
Davon ausgehend nimmt Schäfer nun auf knapp 300 Seiten die Ausdrucksformen von Judenhass und Judenfeindschaft über einen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren in den Blick. Das hat durchaus Vorteile. Sein Buch ist als "Sachbuch für ein breiteres Publikum" gedacht, es informiert kenntnisreich und ohne sich in den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen zu verlieren, aus denen Schäfer gewinnbringend Kenntnisse zusammenträgt.
Anfänge in der Antike
Geprägt wurde der Begriff "Antisemitismus" erst im 19. Jahrhundert. Schäfer trennt ihn jedoch bewusst nicht von der antiken Praxis der Ausgrenzung und Vernichtung oder vom christlichen Antijudaismus, die er als Teil des vielschichtigen Systems der Judenfeindschaft versteht, "das sich im Laufe seiner Geschichte ständig mit neuen Facetten anreichert (…) und immer wieder neu erfindet."
Das biblische Buch Esther, vermutlich um 300 v. Chr. verfasst, gilt ihm als das älteste Dokument zum Antisemitismus: Juden wird darin die Absonderung von anderen Völkern vorgeworfen, das Befolgen eigener Gesetze, Gottlosigkeit, Heimtücke und Verbrechen. In der Konsequenz seien sie als Volk auszurotten.
Diese, dem persischen König Artaxerxes in den Mund gelegten "Argumente" spielten dann in der Folge eine zentrale Rolle für das Verhältnis der Griechen und Römer zu den Juden und bilden sich bis heute als antisemitische Stereotype ab. Zu diesen gehört auch der Vorwurf des Kannibalismus, der bereits unter dem Seleukidenkönig Antiochus IV. aufkam und im Mittelalter aktualisiert wurde. "Die Wiege des Antisemitismus", so Schäfer, stand im hellenistischen Ägypten des 3. Jahrhunderts v. Chr.
In acht Kapiteln führt Schäfer Erscheinungsformen des Antisemitismus in den folgenden Jahrhunderten aus. Dabei betrachtet er sie immer im Kontext, setzt Akzente, erhellt historische Hintergründe. Der Ton ist unaufgeregt sachlich, aber entschieden, so auch bei der genauen Lektüre des Matthäus- und Johannesevangeliums. Das eine nimmt die Juden als Volk für den Tod Christi in Haftung, das andere erklärt sie zu Abkömmlingen des Teufels, zu "Söhnen der Finsternis".
Moderne Kontinuitäten
Auch im letzten Kapitel des Buches, das der Autor nach seinem Rücktritt als Direktor des Jüdischen Museums in Berlin begonnen hat, plädiert Peter Schäfer um Differenzierung beim Umgang mit dem Begriff Antisemitismus, der in tagespolitischen Auseinandersetzungen mittlerweile gerne als moralischer Kampfbegriff verwendet wird.
Elemente des islamischen Antisemitismus, dessen Existenz der Autor keineswegs in Abrede stellt, führt er zurück auf einen christlich determinierten Antisemitismus. Und auch die BDS-Bewegung unterzieht er einer kritischen, doch nicht einseitigen Betrachtung,
Schäfers "Kurze Geschichte des Antisemitismus" macht deutlich, dass der Antisemitismus unserer Gegenwart sich aus Traditionen der Vergangenheit speist. Und dass diese – in der Wissenschaft wie im öffentlichen Diskurs – virulent bleiben, solange diffuse Gefühlen mehr zählen als rationale Argumente.