Peter Sloterdijk: Nach Gott. Glaubens- und Unglaubensversuche
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
364 Seiten, 28 Euro
Dichteste Lektionen für theologisch Interessierte
Ein Ritt durch die Geschichte der Theologie - und ein Ritt durch Peter Sloterdijks eigenes Schaffen: In "Nach Gott" stellt der Philosoph zahlreiche ältere Texte zusammen, die sich mit der Frage nach dem Subjekt zwischen Glaube und Skepsis befassen.
So kennt man Peter Sloterdijk: Er präsentiert seine betörend gelehrten Assoziationsfeuerwerke auch in diesem Buch in überbordender, teils überorigineller Rhetorik. Sein Selbstverständnis als Denker, so geht aus dem Eingangskapitel "Götterdämmerung" hervor, ist das eines Mediums: "Jeder inhaltlich fruchtbare Gedanke gehört der Sphäre des 'es denkt' an (allenfalls des 'es denkt in mir')."
Der Horizont der Moderne im Zeichen von "Gott ist tot"
Für "Nach Gott" hat Sloterdijk "es" allerdings nicht neu in sich denken lassen. Vom Suhrkamp Verlag in der Werbung lässig unterschlagen, handelt es sich abzüglich des Kapitels "Götterdämmerung" um ein Potpourri bereits veröffentlichter oder vorgetragener Texte - es reicht zurück bis 1997. Eine leitende These fehlt - was kein absoluter Mangel ist. Denn den Horizont der Moderne im Zeichen von "Gott ist tot" abzuschreiten und zugleich das vormalige, von Gott und Göttern bestimmte Menschen-Selbstbild auszuforschen – so etwas kann allenfalls fragmentarisch gelingen.
Für Sloterdijk klingt im jungen Martin Luther das "zweieinhalbtausendjährige Reich der Welt- und Lebensverneinung" nach, in dem von Gautama Buddha ("alles ist leidvoll") bis zur "de miseria hunanae conditionis"-Schrift von Papst Innozenz III. die Verdüsterung des Daseins dominiert. Der schwer neurotische Luther habe die Gläubigen mit seinem "sola gratia-Pathos" seinerseits zu einer "extremen Reue-Leistung" genötigt: "Das Bereuen-Können ist selbst schon Werk der Gnade. Du sollst verloren sein, als ob du gerettet wärest."
Doch für Sloterdijk hatte Luther, der "gleichsam einen christlichen Salafismus" predigte, weltgeschichtliches Glück. Der Reformation, die nach "dem Schema einer konservativen Revolution" abgelaufen sein soll - Motto: "Auf ihr Christen, vorwärts in die Vergangenheit" -, folgen von Bach ("Jauchzet, frohlocket!") über Nietzsche bis Martin Luther King "Virtuosen der Bejahung". Die "religiöse Entropie", so Sloterdijk, baute die "asketischen Überspannungen" von 2500 Jahren "unwiderruflich und in bemerkenswerter Eile ab". Die Aufklärung sei Teil dieser "Aufheiterung".
Jesus als schreckliches Kind
Womit wir im Stadium nach Gott wären. Sloterdijk aber geht in den längsten Aufsätzen des Buches noch näher auf das Stadium mit Gott ein. Er überblickt die antike Gnosis ("Die wahre Irrlehre") und beleuchtet das "In-Gott-Sein", das dem modernen In-der-Welt-Sein ohne Gott vorausging. Es sind dichteste Lektionen für theologisch Interessierte.
Zugänglicher, angreifbarer: Das Porträt Jesu als "des schrecklichsten Kindes der Weltgeschichte" im Kapitel "Der Bastard Gottes", übernommen aus dem Buch "Die schrecklichen Kinder der Neuzeit". Aus Sloterdijks Sicht deuten die differenten Anfänge der vier Evangelien auf "das Bestehen einer gravierenden Familiensinn-Störung bei dem jungen Kandidaten auf den Messias-Titel" hin: "Der Widerspruch zwischen der Lehre von der jungfräulichen Geburt des Messias und seiner Einbindung in die ältesten Herkunftsreihen bleibt unversöhnbar."
Eine Textur aus tausend roten Fäden
Allemal werde durch Jesu Wirken die "imitative Nachfolge" wichtiger als die Generationenfolge: "Wir zeugen nicht mehr, wir taufen und rufen auf. Wir pflanzen uns nicht fort, wir lehren und bekehren."
"Nach Gott" ist eine Textur aus tausend roten Fäden. Jedes Resümee wäre unzulänglich. Fest steht indessen: "Es" hat in Sloterdijk spektakulär gedacht. Mitdenken macht Mühe, die oft mit Durchblick belohnt wird. Kein Buch für alle und jeden!