Peter Stephan Jungk: "Marktgeflüster. Eine verborgene Heimat in Paris"

Das Unbehauste als Ideal

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Das Cover des Buches von Peter Stephan Jungk, "Marktgeflüster. Eine verborgene Heimat in Paris" auf orange-weißem Hintergrund.
Peter Stephan Jungk schreibt über den Pariser Marktes d’Aligre - und dabei auch ein Bild des Lebens. © Deutschlandradio / S. Fischer
Von Helmut Böttiger |
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Als Kind konnte der Schriftsteller Peter Stephan Jungk nirgendwo heimisch werden. In einem faszinierenden Buch lässt er nun den Pariser Marché d'Aligre zu einer Klang-Bild-Collage und einem Ort der autobiografischen Recherche werden.
Auf den ersten Blick ist der Marché d’Aligre in Paris ein großer, lauter und hektischer Markt. Und nach den ersten Seiten von Peter Stephan Jungks erstaunlichem Buch, das fast naturgemäß keine Gattungsbezeichnung hat, glaubt man auch, dass es vor allem darum geht: Wir begegnen zum Beispiel dem Obst- und Gemüsehändler Hamza und lernen die verschiedensten Typen aus den unterschiedlichsten Ländern kennen, und dazu noch die Bars und Cafés am Rand, die alle ihre eigene Atmosphäre haben.
Langsam entsteht eine Sogwirkung, aufgeschnappte Satzfetzen und farbige Schnappschüsse machen aus dem Text auch eine Klang-Bild-Collage – und doch entwickelt sich langsam noch etwas ganz Anderes.

Ein ganz eigener Kosmos

Peter Stephan Jungk ist als Kind ständig an neue Orte verfrachtet worden, seine Eltern wohnten in Städten wie Los Angeles, Paris oder Wien, ein internationaler Jet-Set, der den Autor nirgends heimisch werden ließ. Auch an seinem langjährigen Wohnort Paris wies ihn sein amerikanischer Pass immer als einen Fremden aus.
Da entwirft der Markt d’Aligre fast zwangsläufig ein Ideal des Nichtzuhauseseins, das Hin und Her der Lebenswege wird geradezu gefeiert.
Peter Stephan Jungk sieht hier etwas eingelöst, was in seiner Biografie als Möglichkeit immer angelegt war, er sieht in diesem Markt seine wahre Heimat: Die Beziehungen zu den Verkäufern und Café-Betreibern, die sich im Lauf der Jahre entwickelt haben, entsprechen auf verblüffende Weise dem, was man sich lange unter einem Dorfleben vorgestellt hat, das es längst nicht mehr gibt.
Diesen Markt aber gibt es, und Jungk schafft mit ihm seinen ganz eigenen Kosmos.

Unvergessliche Personenporträts

Unter der Hand ist "Marktgeflüster" eine sehr ungewöhnliche Form der autobiografischen Recherche. Der Autor erinnert sich an einschlägige Szenen seines Lebens und setzt sie zu dem Alltag des Marktes d’Aligre in Beziehung.
Im Nachhinein spektakulär wirkt die kurze Freundschaft mit dem noch völlig unbekannten Charles Bukowski in Los Angeles, der Jungk ein paar einschlägige Merksätze mit auf den Weg gab, oder die kurze Zeit in einer repräsentativen Villa auf der Hohen Warte in Wien, in der der Autor prägende Kindheitserfahrungen machte. Solche Skizzen, in denen auch entscheidende Frauenbeziehungen thematisiert und literarisiert werden, sind den Markterlebnissen auf raffinierte Weise eingelagert.
Jungk zeichnet unvergessliche Personenporträts, die Cafébetreiberin Madeleine oder den scheinbar grobschlächtigen Bretonen Albert. Er geht auf Treibjagd mit dem Wildmetzger Romain Charbon und fährt noch mitten in der Nacht mit dem Ägypter Abdel zum Großmarkt Rungis. Der Markt d’Aligre wird dadurch allmählich zu einem Bild des Lebens, zu einer großen Allegorie – manche Protagonisten verschwinden, neue kommen, und man hält sich an etwas fest, von dem man weiß, dass auch das sich ändern wird.

Peter Stephan Jungk: "Marktgeflüster. Eine verborgene Heimat in Paris"
S. Fischer, Frankfurt am Main 2021
222 Seiten, 24 Euro

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